Zeitgleich mit dem Ende der Sommerpause und kurz vor den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen, bei denen die Regierungsparteien zum Teil erdrutschartige Stimmenverluste befürchten müssen, wurde dem staunenden Publikum eine Bertelsmann-Studie darüber präsentiert, dass die vierte Regierung Merkel und die dritte Große Koalition besser seinen, als ihr Ruf. Die Bundesregierung arbeite „rekordverdächtig“ schnell und effizient. Nach nur 15 Monaten Regierungstätigkeit „hat sie bereits 61 Prozent ihrer Versprechen aus dem Koalitionsvertrag vollständig oder teilweise umgesetzt oder zumindest substantiell in Angriff genommen“, heißt es. Bei der Umsetzung der Wahlversprechen liegt die SPD vorne: 33 ihrer Vorhaben sind bereits realisiert, bei der Union sind es mit nur 14 nicht einmal die Hälfte. Von den gemeinsamen Versprechen sind 17 umgesetzt.
Warum nur haben die Wähler das Gefühl, dass die Regierung alle wirklich wichtigen Probleme vor sich herschiebt?
Das liegt am Koalitionsvertrag, der eine Erfindung der Merkel-Regentschaft ist. Vorher gab es lediglich lockere Koaltionsabsprachen. Man konzentrierte sich auf die während der Amtszeit anfallenden Probleme. Bei den Merkel-Regierungen wirkt der Koalitionsvertrag wie ein Panzer, der die Administration von den realen Problemen abschirmt. Man kann innerhalb der Koalitions-Blase immer auf Erfolge verweisen, egal wie das Land ringsum verfällt. Das erinnert an die Planerfüllungen in der DDR, aber der Vergleich ist bereits nicht mehr erlaubt.
Die Erfolgs-Kriterien der Studienersteller sind übrigens mehr als vage. Was heißt „teilweise umgesetzt oder zumindest substantiell in Angriff genommen“?
Nehmen wir die wieder neu präsentierte Initiative zur Mietpreisbremsung, die auf der ersten Kabinettssitzung nach der Sommerpause beschlossen wurde. Ein Ende der Mietsteigerungen hat also die Mietpreisbremse von 2016 nicht gebracht. Sind die neuen Maßnahmen, um den Mietenanstieg zu begrenzen, nun eine vollständige, teilweise oder nur substantiell in Angriff genommene Erfüllung eines Wahlversprechens?
Ein Blick auf die Vorhaben von 2016 ist da hilfreich. Die damalige Bundesbauministerin Barbara Hendricks hatte einen Zehn-Punkte-Plan präsentiert, der zur Bremsung der Mieten und der Ankurbelung des Wohungsbaus dienen sollte. Wie ein Experte im Deutschlandfunk gestern einschätzte, ist von diesen zehn Punkten keiner realisiert worden. Aber der Plan wäre von den Wissenschaftlern der Bertelsmann-Stiftung sicher als „substantiell in Angriff genommen“ beurteilt worden.
Nun wird das, was nicht realisiert wurde, erneut „substantiell in Angriff genommen“.
Obwohl schon 2016 bezweifelt wurde, ob die Mietpreisbremse ein wirkungsvolles Instrument sein könnte und sich seitdem die Zweifel bestätigt haben, wird unbeirrt an ihr festgehalten. Die wahren Ursachen für die Wohungsnot werden nicht beseitigt, denn es waren Beschlüsse der Politik, die das Bauen erheblich verteuert haben. Politisch festgelegte Maklerkosten und Notargebühren, Grundbuchkosten, Grunderwerbssteuern, die sich nach dem Kaufpreis der Wohnung richten, inklusive der Badgarnituren und der Kücheneinrichtungen, die nichts mit Grunderwerb zu tun haben, haben die Baunebenkosten in schwer bezahlbare Höhen von 30-35% der Bausumme getrieben. Hier könnte die Politik merklich gegensteuern, tut sie aber nicht. Man könnte das Bauen von Wohnungen auch mehrwertsteuerfrei stellen. Das würde die Mieten von neu gebauten Wohnungen deutlich senken.
Statt dessen wird die bestehende Mietpreisbremse bis 2025 verlängert und verschärft. Künftig sollen Mieter auch im Nachhinein zu viel gezahlte Miete vom Vermieter zurückfordern können, rückwirkend für zweieinhalb Jahre. Maßgeblich dafür ist die ortsübliche Vergleichsmiete, also die Kosten, die in einer Gemeinde in den vergangenen vier Jahren durchschnittlich für vergleichbaren Wohnraum gezahlt wurden. Der Betrachtungszeitraum soll sogar von vier auf künftig sechs Jahre verlängert werden. Diese Maßnahmen sind ein Angriff auf die Vermieter, keine Reduzierung der Baukosten. Wie trotzdem durch die Mietpreisbremse neue Wohnungen entstehen sollen, bleibt ein Geheimnis der Politiker. Die Haltungsmedien fragen auch nicht kritisch nach.
Was ist, wenn sich 2025 herausstellt, dass die Mietpreisbremse die Wohnungsnot nicht gemildert, sondern verschärft hat?
Kommt dann ein Vorschlag der Jungen Linken zum Zuge, der heißt, Wohnraum müsste solidarisch geteilt werden? Steht eines Tages eine freundliche Kommission vor meiner Tür, die meint, meine Wohnung sei für mich allein zu groß und ich müsste jemanden bei mir aufnehmen? Zwangseinweisungen hat es in der jüngsten Geschichte immer wieder gegeben. Die letzten Zwangseinweisungen, die Deutschland erlebt hat, waren eine Kriegsfolge, künftige Zwangseinweisungen wären die Folge des kompletten Politikversagens.