Von Gastautor Steffen Meltzer
Deutschlands Medien berichten, dass die Tafeln die vielen Bedürftigen nicht mehr ausreichend versorgen können. Die neuen und alten Probleme müssten eigentlich bekannt sein. Außer man ist in Bullerbü zu Hause… oder in Potsdam.
Auch in der brandenburgischen Landeshauptstadt Potsdam reichen die gespendeten Lebensmittel nicht mehr für alle aus. Ein Nachspiel, das ein altbekanntes Vorspiel hat. Mir war die Tafel mit ihren vielen fleißigen Mitarbeitern ziemlich gut bekannt. Da ein Anteil der Wartenden immer aggressiver auftrat, wurden an Ort und Stelle mit jeder Schicht Verhaltenstrainings durchgeführt. Die ansteigende Tendenz der unschönen Auseinandersetzungen muss bei den Verantwortlichen und Mitarbeitern einen teilweise beängstigenden Eindruck hinterlassen haben. Ich erhielt damals als Sicherheitstrainer den Auftrag, dort mal sehr genau hinzuschauen und mit den Mitarbeitern ein „Deeskalationstraining” durchzuführen.
Das erste Mal kam ich Ende Februar 2018 ins Staunen, als ich etwa anderthalb Jahre nach den ergriffenen Akut-Maßnahmen einen ZDF-Beitrag über die Potsdamer Tafel sah. Diese wurde als positives Gegenbeispiel zur Essener Tafel angepriesen. Zur Erinnerung: Die Essener hatten einen zeitweiligen Aufnahmestopp für Personen ohne deutschen Pass angeordnet. Vereinschef Jörg Sartor berichtete, die deutsche Oma und die Alleinerziehende hätten sich „zuletzt unwohl gefühlt durch die zunehmende Zahl ausländischer Männer“. Teilweise sei es zu Drängeleien gekommen.
Das ZDF ging deshalb in Potsdam gezielt der Frage nach, ob durch anstehende Migranten ebenso wie in Essen die Aggressionen zugenommen hätten. Der Tenor der Sendung: Von Sicherheitsbedenken könne keine Rede sein, hier ginge alles friedlich und geordnet zu. Die Lebensmittel reichten für alle aus. Der Moderator der Sendung und die zusammengeschnittenen Aufnahmen verstärkten im Gleichklang diese Aussagen. Der Beitrag wurde daraufhin auch in der ARD gesendet. Die umfangreichen praktischen Zustandsbeschreibungen der Mitarbeiter, die auch viele Beispiele enthielten, und meine eigenen Beobachtungen hingegen sagten etwas ganz anderes.
Und damit sind wir im Jahr 2022. An überlaufenen Essensstellen, in denen Mangel herrscht, geht es selten vornehm zu, sondern vorzugsweise mit Lautstärke, Ellenbogen und Ganzkörpereinsatz. Die Lokalzeitung Potsdamer Neueste Nachrichten (PNN) schreibt:
„Zusätzlich zu den 1.200 regulären Kunden pro Woche versorgt die Tafel mittlerweile auch 1.400 Geflüchtete aus der Ukraine, sagte Tafel-Geschäftsführerin Imke Eisenblätter den PNN. Das sei deutlich mehr als 2015, als viele Kriegsflüchtlinge aus Syrien in Potsdam aufgenommen wurden. Erschwerend kommt hinzu, dass derzeit wegen der gestiegenen Lebensmittelpreise auch mehr Rentner und Hartz-IV-Empfänger Hilfe suchten: Zehn bis 20 neue Tafel-Kunden seien das pro Woche.“
Rutschen einheimische Rentner ins Sekundäre ab?
Beim Lesen dieser Zeilen rieb ich mir die Augen. Die Ursprungsidee der Tafeln war, benachteiligten Menschen gleichrangig mit (fast) kostenlosen Lebensmitteln auszuhelfen, die Unternehmen spendieren. Ich konnte die Vorgänge mitten im Hochbetrieb verfolgen. Viele ehrenamtliche und fleißige Helfer sorgen dafür, dass jeder Berechtigte, der den Eingang betreten hat, gleichrangig behandelt wird, seine ersehnten Waren erhält und zufrieden nach Hause gehen kann. Keiner wird bevorzugt oder benachteiligt, unabhängig von seinem Alter, Geschlecht oder Nationalität.
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