Loser-State New York

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Von Hubert Geißler

Wer gelegentlich auch die US-amerikanische Presse verfolgt, dem dürfte auffallen, dass brisante Themen in den Vereinigten Staaten wesentlich kontroverser diskutiert werden als hierzulande. Das betrifft die Erfolgsaussichten des Ukrainekriegs, aber auch Debatten um den Grenzkonflikt in Texas, der vor Wochen hochgekocht ist, aber keineswegs eine Lösung gefunden hat. Allzu offensichtlich stehen sich hier die Biden-Regierung und die Trump-Anhängerschaft, dort in Form des republikanischen Gouverneurs Abbott gegenüber, im Grunde aber auch eine weitgehende Koalition republikanischer Gouverneure: „Fourteen Republican-led states have sent National Guard units to the southern border since 2021, including Arkansas, Iowa, Idaho, Florida, Nebraska, North Dakota, Ohio, Oklahoma, South Carolina, South Dakota, Tennessee, Virginia, West Virginia, and Wyoming. Im Februar allein haben vier republikanische Gouverneure ihre National Guard-Truppen zur Texas-Mexiko-Grenze entsandt, um Operation Lone Star zu unterstützen. Florida Gouverneur Ron DeSantis begann am 1. Februar damit und verpflichtete bis zu 1.000 Nationalgardisten für Texas als Reaktion auf das, was er als “Grenzinvasion” bezeichnete. (https://www.aol.com/know-texas-militarization-southern-border-024412825.html). „Loser-State New York“ weiterlesen

Denken ist ein Menschenrecht

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Wer sich heute über den rauen Umgang mit vom Mainstream abweichenden Meinungen wundert und meint, dies wäre ein Auswuchs der heutigen woken Intoleranz und es hätte so etwas früher nicht gegeben, der irrt sich gewaltig. Auch im Preußen von Friedrich dem Großen, in dem tatsächlich jeder nach seiner Facon selig werden konnte, gab es schon das, was heute Hass und Hetze genannt werden würde, wenn es denn von rechts käme. Eine Kostprobe gefällig?

Ein Hallenser Blättchen meldete am 12. Juli 1779:

„Dr. Bahrdt ist in die Stadt gekommen, der Pritschenmeister, der Eselskopf und Grillenfänger. Gott helf uns wider diesen Kritikaster und Verderber aller Sitten. Denn stellt euch vor: Kaum war dieser ewig schwatzende Klügling da, da hieben die Studenten das Schwarze Brett beim Rektor klein und fein […] Sie gingen auch am hellen Tag mit bloßem Hintern durch die Gassen. An heißen Tagen haben das die Bürger bequem gefunden und es nachgemacht.“

Man sieht, Geschichten erfinden, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen, ist kein Alleinstellungsmerkmal von correctiv. „Denken ist ein Menschenrecht“ weiterlesen

Abbau von Bürokratie durch Abbau des Rechtsstaats

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Von Ulrich Thurmann

14./24. Februar 2024

Die Spitzen der Bundestagsfraktion von CDU und CSU, Merz und Dobrindt, haben an den Bundeskanzler am 12.02.2024 einen Brief mit 12 Vorschlägen zur Belebung der Wirtschaft in Deutschland geschrieben. Unter Punkt 10 schlagen sie vor:

„…sollte eine Genehmigungsfiktion bei Planungs- und Genehmigungsverfahren eingeführt werden: Wenn ein genehmigungsfähiges unternehmerisches Vorhaben nach 3 Monaten nicht von den zuständigen staatlichen Behörden beschieden worden ist, so gilt es als genehmigt“

Das während der letzten Jahrzehnte entstandene Umweltrecht soll Mensch und Umwelt schützen. Die Aktivitäten von Industrie und Gewerbe sind Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand. Das bedeutet aber nicht, daß Firmen immer freiwillig von sich aus die Umweltvorschriften einhalten. Schließlich kostet das Geld. Hier sind Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden eingerichtet, die die Beachtung der Vorschriften sicherstellen. Besonders gefährliche Anlagen müssen vor Bau und Betrieb entsprechend geprüft werden. Wenn ja, wird eine Genehmigung erteilt. Wenn nein eben nicht. Das System hat sich seit Jahrzehnten bewährt.

Dieser Dienst staatlicher Beamter an Mensch und Umwelt soll nach dem Vorschlag von CDU und CSU nicht mehr stattfinden. Es soll auf jeden Fall auf die Erteilung einer Genehmigung hinauslaufen – und zwar sehr schnell. Die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens wird gegen Recht und Gesetz von vornherein unterstellt. Die Genehmigung wird wie in einem Automaten drei Monate nach Einreichen des Antrags erteilt: entweder parieren die Beamten innerhalb der drei Monate oder aber es kommt auf die im öffentlichen Interesse vorgeschriebenen Prüfungen sowieso nicht an. So stellen viele Unternehmer sich das vor. Ich kenne die Verhältnisse aus 31 Jahren Tätigkeit als leitender Genehmigungs- und Aufsichtsbeamter der Hessischen Landesregierung.

Das wäre die Abschaffung des Rechtsstaats durch CDU und CSU auf Wunsch der Industrie. Bürokratieerschwernisse wurden jahrzehntelang durch Gesetzesänderungen aller Parteien – auch der CDU/CSU – im Interesse immer neuer Schutzbedürfnisse aufeinandergehäuft. Ihre Komplexität überfordert inzwischen die Kapazitäten von Investoren und Behörden. Anstatt hier wieder sinnvoll abzubauen – was viel Fachkenntnis und Mut zum Bestehen der politischen Auseinandersetzungen mit Interessengruppen zur Voraussetzung hätte – soll der Gesetzesvollzug durch den Vorschlaghammer eines Gesetzes nach jeweils drei Monaten schlicht aufhören. Diese Politiker haben keine Ahnung von dem, was sie selbst angerichtet haben und was sie damit neu anrichten würden. Sie wollen es sich einfach machen und die verteuernde Tätigkeit von Behörden verhindern, die die gesetzlichen Anforderungen im öffentlichen Interesse durchsetzen. Das wäre die Abschaffung des Staates als Rechtsstaat und als Garant von Sicherheit.

Anders ausgedrückt: die Verzweiflungstat der Genehmigungsfiktion ohne geprüften Nachweis des Vorliegens der Genehmigungsvoraussetzungen ist das Eingeständnis dieser Politiker, daß sie den Rechtsstaat durch Überfrachtung allmählich selbst erstickt haben. Ihr laufendes Nachgeben gegenüber Gruppeninteressen ist ihnen über den Kopf gewachsen. Sie haben weder die Intelligenz noch den Willen, diese Vorschriftenknäuel schweißtreibend wieder selbst aufzulösen. Her mit der Axt.

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(Dieser Text ging als Leserbrief an den Wiesbadener Kurier. Es war ein Test, denn die Zeitung hatte sich in einem Kommentar von Sascha Kircher zu diesem Thema gleich am 12.02.2024 auf die Seite von CDU/CSU geschlagen:

 

„Die Union setzt ein Zeichen des Aufbruchs und Optimismus`. Die Maßnahmen, die Friedrich Merz und Alexander Dobrindt zum Ankurbeln der Wirtschaft vorschlagen, klingen größtenteils gut. Welcher vernünftige Mensch wird etwas gegen flexible Wochenarbeitszeiten einwenden oder die Regelung, dass Unternehmervorhaben automatisch als genehmigt gelten, wenn die zuständige Behörde nach drei Monaten nicht darüber entschieden hat? …“  )

Der Leserbrief wurde von der Zeitung bis heute (24.02.2024) nicht gebracht.

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Am 18.02.2024 schrieb ich folgende emails an die Spitzen der hessischen Landesregierung:

 

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Rhein,

Sehr geehrter Herr stellv. Ministerpräsident Mansoori,

ich war über drei Jahrzehnte leitender Genehmigungsbeamter der Hessischen Landesregierung. Auch im 23. Jahr meines Ruhestandes interessiere ich mich für neue Entwicklungen auf den Gebieten Rechtsstaat und öffentliche Verwaltung. Dabei fiel mir am 12. d.M. eine Zeitungsmeldung auf. Die Spitzen der Bundestagsfraktion von CDU und CSU, Merz und Dobrindt, haben an den Bundeskanzler einen Brief mit 12 Vorschlägen zur Belebung der Wirtschaft in Deutschland geschrieben. Unter Punkt 10 schlagen sie vor:

„…sollte eine Genehmigungsfiktion bei Planungs- und Genehmigungsverfahren eingeführt werden: Wenn ein genehmigungsfähiges unternehmerisches Vorhaben nach 3 Monaten nicht von den zuständigen staatlichen Behörden beschieden worden ist, so gilt es als genehmigt“

Da ich noch keine Stellungnahme hierzu von Ihnen gehört habe, frage ich Sie

  1. Ist die Hessische Landesregierung der Meinung, daß auf den Gebieten Arbeits- und Umweltrecht, d.h. zum Schutz von Mensch und Umwelt, ein Vorhaben mit Antragstellung als genehmigungsfähig und deshalb mit Ablauf von drei Monaten durch gesetzliche Fiktion automatisch als genehmigt gelten soll?
  2. Wie will die Landesregierung den Gesetzesvollzug durch zuständige Behörden und Gerichte sicherstellen, wenn eine sachgerechte und gesetzeskonforme Bearbeitung nicht mehr stattfinden kann?
  3. Kann eine Genehmigungsfiktion ohne vorherige ausreichende und abschließende Bearbeitung des Antrags über ein Bundesgesetz Bestandteil der Rechtsordnung werden?
  4. Wird die Landesregierung eine entsprechende Gesetzesinitiative der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Bundesrat unterstützen?
  5. Falls es zu einer entsprechenden Gesetzesänderung kommen sollte: wird die Landesregierung die hessischen Genehmigungsbehörden auflösen und ihr Personal anderen Dienststellen zuweisen?

In Erwartung Ihrer Antwort, die ich veröffentlichen werde, verbleibe ich …

Eine Antwort habe ich bisher (24.02.2024) nicht erhalten.

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Diese email habe ich auch an Freunde und Bekannte geschickt. Aus der CDU-Bundestagsfraktion erhielt ich freundlicherweise eine Antwort. Ich antwortete am 24.02.2024 wie folgt:

Meine nachfolgenden Bemerkungen basieren auf der Berufserfahrung im hessischen Wirtschaftsministerium von sieben Jahren als Leiter der hessischen Energieaufsicht unter Ministern von SPD und FDP und zehn Jahren als Leiter der hessischen atomrechtlichen Genehmigungsbehörde unter Ministern von FDP und SPD sowie anschließend im hessischen Umweltministerium von vierzehn Jahren als Leiter der hessischen Immissionsschutzverwaltung unter Ministerinnen und Ministern von CDU und Grünen.

Die Einführung einer Genehmigungsfiktion nach Ende einer willkürlich gesetzten Bearbeitungsphase bedeutet, daß die schwierigsten, umfangreichsten und deshalb am längsten dauernden und für Mensch und Umwelt gefährlichsten Investitionsvorhaben nicht zu Ende geführt und mit einer auch gerichtlich nachprüfbaren Verwaltungsentscheidung abgeschlossen würden. Sondern sie würden in einem willkürlichen politischen Akt zum finanziellen Vorteil der Antragsteller ungeprüft durchgewinkt. Gerade bei den umfangreichsten und gefährlichsten Investitionen würde die Kontroll- und Schutzfunktion der öffentlichen Verwaltung völlig aufgehoben. Was soll das? Wollen Sie das?

Der Bundesgesetzgeber würde es bei Einführung einer Genehmigungsfiktion zudem in die Hand der Antragsteller geben, eine solche Genehmigung ohne kostentreibende und nachvollziehbare staatliche Prüfungen und Auflagen durch schlichte Verzögerung der Einreichung der für ein Verfahren nötigen Unterlagen und damit Überschreitung der neuen gesetzlichen Frist automatisch zu erlangen. Das wäre nicht nur rechts-, sondern verfassungswidrig. Der Staat würde gegenüber den finanziellen Interessen der Wirtschaft abdanken.

Natürlich basiert unser Wohlstand auf der Wirtschaft – aber nicht auf einer von gesetzlichen Vorschriften befreiten Wirtschaft.

Sie halten „die Genehmigungsfiktion für ein wirksames Mittel, um die Verwaltung zu zwingen, an der Verschlankung und Vereinfachung dieser Verfahren mitzuwirken“. Man muß sich klarmachen, daß Sie damit die Leiter der Vollzugsbehörden meinen. Es sind dies von den regierenden Parteien eingesetzte Beamte. Die CDU unterstellt damit, daß von ihren Mitgliedern geleitete Behörden nicht alles tun, um nicht nur ordentlich, sondern auch schnell zu arbeiten. Das sollten Sie unter sich ausmachen. Ich gehe eher davon aus, daß die Vollzugsbehörden seit vielen Jahren versuchen, den immer weiter wachsenden gesetzlichen Vorgaben nachzukommen, aber angesichts knapper Ausstattung an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit angelangt sind.

Die Lösung besteht meiner Meinung nach darin, daß die Bundestagsabgeordneten selbst arbeiten, anstatt die Verantwortung für zuviel „Bürokratie“ ohne Nachdenken nach unten abzudrücken. Die „Verschlankung und Vereinfachung dieser Verfahren“ kann nicht von der gesetzesgebundenen Verwaltung geleistet werden.

Das Wort „Bürokratieabbau“ ist übrigens eine Fehlinformation. Die zu beachtenden Vorgaben für die „Bürokraten“ denken diese sich nicht selbst aus, sondern sie bekommen sie von den Parteien in den Parlamenten verbindlich vorgegeben. Eine bessere Bezeichnung wäre „Vorschriftenabbau“. Die Vollzugsbehörden können bei der Bearbeitung keinen Abschlag einräumen. Sie sind an Gesetz und Recht gebunden. Das wird von Gerichten äußerst akribisch nachgeprüft, wie ich aus zahlreichen Gerichtsverfahren weiß. Die Bundestagsabgeordneten müssen sich schon selbst die Mühe machen, diejenigen Vorschriften genau zu identifizieren, zu überprüfen und ggf. zurückzunehmen, bei denen der Personal- und Finanzaufwand bei Antragstellern und Vollzugshörden in keinem Verhältnis zum Ergebnis steht – nämlich einer nennenswerten Verbesserung für das Gemeinwohl.

Ich will das Thema „Bürokratieabbau“ bzw „Vorschriftenabbau“ und „Beschleunigung der Genehmigungsverfahren“ nicht abschließen ohne einen Hinweis auf den nach meiner Meinung entscheidenden Grund für die Verschlechterung der Leistung der öffentlichen Verwaltung. Über dieses Problem wird von Politikern nie gesprochen, weil sie es selbst geschaffen haben. Journalisten fallen als Aufklärer aus, weil sie zwar viel schreiben, aber von öffentlicher Verwaltung keinen Schimmer haben. Auch von der Verwaltungswissenschaft und den Standesvertretungen der Beamten würde ich mir mehr erwarten.

In einem Satz: Deutschland geht an der Parteibuchpolitik in Regierung und Verwaltung kaputt. Das ist nicht schnell änderbar, weil Regierung und Verwaltung von Beamten geführt werden, die auf den höchstbezahlten Stellen sitzen und als Lebenszeitbeamte nicht entlassen werden können. Sie werden bis ans Lebensende sehr gut bezahlt. Das ist das Hauptziel unzähliger Parteimitglieder nicht nur der Grünen. In diesen Leitungsfunktionen, die sie weder durch Ausbildung noch durch Erfahrung noch durch eine öffentliche Ausschreibung mit nachvollziehbarem Verfahren erlangt haben, lähmen solche Beamten die Tätigkeit des öffentlichen Dienstes bis zum Stillstand. Ein Vorgesetzter, der das nicht selbst bearbeiten kann, was er leiten soll, ist offenbar in der Wirtschaft denkbar, in der öffentlichen Verwaltung ist er fehl am Platze. Diese leitenden Beamten können sich mangels Ausbildung und eigener Erfahrung nicht an der Sache und am Recht und damit an den Arbeitsergebnissen ihrer Mitarbeiter orientieren, sondern sagen zur Absicherung ihrer Karriere immer das, was ihre politischen Vorgesetzten gerade gerne hören. Damit kann man keinen Staat führen, sondern nur an die Wand fahren.

Die CDU sollte sich genau überlegen, welche Rolle sie dabei spielen will.

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Nachtrag zum Thema Journalisten und Verwaltung.

In einem ausführlichen Artikel über die Gründe für den Niedergang Deutschlands fand ich folgenden Satz:

„Dazu kommt ein riesiger Wasserkopf an Bürokratie, die die letzten Lebenszeichen der kränkelnden Wirtschaft bald erstickt haben wird.“

Angesichts der hier behaupteten extremen Wirkung der Bürokratie ist es ein Armutszeugnis, daß diese Journalisten nicht näher erklären können, was sie unter dieser ungeheuer gefährlichen Bürokratie im einzelnen verstehen, wie sie wirkt und wer die Verantwortung hat.

 

Nacht/Gedanken aus der Provinz

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Die neueste Premiere am Theater Nordhausen war wieder ein Volltreffer. Gegeben wurden zwei Inszenierungen: „Les Noces“ von Igor Strawinsky in einer Choreografie von Martin Harriague und Nacht/Gedanken von Ivan Alboresi und Davidson Jaconello. Es stehen sich zwei Konzepte gegenüber: Während Harriague das Ballett-Ensemble ganz dicht an Strawinskys Musik agieren lässt, hat Alboresi eine Geschichte entworfen und den Tonkünstler Jaconello beauftragt, dafür die geeignete Musik zu entwerfen. Beide Teile waren beeindruckend, wenn auch auf unterschiedliche Weise.

Was Harriague der Truppe abverlangt und aus ihr herausgeholt hat, ist überwältigend. Das es bei Strawinskys Musik um eine russische Bauernhochzeit geht, wird zur Nebensache. Es beginnt mit einem Hochzeitsfoto und endet mit dem Auftritt des Brautpaares. Aber in den knapp zwanzig Minuten dazwischen wird ein Feuerwerk gezeigt, das nur gelingen konnte, weil alle Mitglieder des Ensembles über eine staunenswerte Körperbeherrschung und Elastizität verfügen und in der Lage sind, ihr Zusammenspiel exakt auf den Punkt zu bringen. Hatte man anfangs noch das Gefühl, die Darbietung könnte zu roboterhaft geraten, legte sich das sehr schnell und gab einer Faszination Raum, die sich steigerte und bis zur letzten Sekunde anhielt. Strawinsky wäre begeistert gewesen.

Alboresi dagegen erzählt die Geschichte einer Nacht, „die nie geschehen ist“. Inspiriert haben ihn zwei Personen: Die italienische Dichterin Alda Merini mit ihrem Nachtgedicht und Salvatore Dali, der eine eigene Methode entwickelte, seine Träume im Gedächtnis zu behalten. Da der Mensch in der Einschlafphase träumt und dann in den traumlosen Tiefschlaf fällt, setzte sich Dali auf einen harten Sessel, mit einem Schlüssel in der Hand, dessen Fall ihn weckte, bevor er in den Tiefschlaf fiel. Er notierte dann seinen Traum. Auch von Goethe wissen wir, dass er ein Notizbuch neben seinem Bett griffbereit platziert hatte, um seine Träume aufzuzeichnen. Alboresi übernimmt die Dali-Routine für seine Inszenierung. Hier ist es ein kleiner Ball. „Nacht/Gedanken aus der Provinz“ weiterlesen

Typisch deutsch- typisch grün

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Von Hans Hofmann-Reinecke

Noch nie hatte die Bundesrepublik eine Regierung, die so sichtbar bemüht war, sich von allem Deutschtum zu distanzieren, wie die aktuelle; und noch nie hatten wir eine, deren Repräsentanten so präzise dem Bild entsprechen, das man im Ausland vom Deutschen, vielleicht sogar vom „hässlichen Deutschen“ hat.

Die vollkommene Wahrheit

Zu diesem Thema soll zunächst Leo Tolstoi zu Wort kommen, in dessen Roman „Krieg und Frieden“ er den deutsche General Pfuel charakterisiert. Tauschen Sie diesen Namen nach Ihrem Gutdünken gegen den einer aktuellen Persönlichkeit aus, um zu sehen, ob Tolstois Eindruck auch noch heute zutrifft (ich wähle den Phantasienamen „Haber“).

Beginn des Zitats

Herr Haber war einer jener Leute mit einem unerschütterlichen, fanatischen Selbstvertrauen, wie man sie nur unter den Deutschen findet, weil nur die Deutschen Selbstvertrauen haben auf Grund einer abstrakten Idee – der Wissenschaft, das heißt, der angeblichen Erkenntnis der vollkommenen Wahrheit. Der Franzose hat Selbstvertrauen, weil er sich persönlich als Geist und Körper für unwiderstehlich bezaubernd hält, sowohl für Männer, als für Damen. Der Engländer hat Stolz und Selbstvertrauen darum, weil er ein Bürger des besteingerichteten Reichs der Welt ist und darum als Engländer immer weiß, was er zu tun hat und überzeugt ist, dass alles, was er als Engländer tut, unzweifelhaft gut sei. Der Italiener hat Selbstvertrauen, weil er von lebhaftem Temperament ist und leicht sich und andere vergisst. Der Russe hat Selbstvertrauen eben deshalb, weil er nichts weiß und nichts wissen will, weil er nicht glaubt, dass man irgend etwas sicher wissen könne. Der Deutsche besitzt ein stärkeres und widerlicheres Selbstvertrauen als alle anderen, weil er sich einbildet, er wisse die Wahrheit, die Wissenschaft, die er sich selbst erdacht hat, aber für absolute Wahrheit hält.

So war auch Herr Haber.

Zitat Ende „Typisch deutsch- typisch grün“ weiterlesen

Im Moralgefängnis

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Von Lothar Pawliczak

Der Autor ist Kolumnist u.a. bei der Berliner Zeitung, wo er mit dem Text „Wenn dies möglich ist, ist alles möglich“[1] eine Debatte zur Coronapolitik[2] ausgelöst hat, die leider sonst weitgehend ausgeblieben ist – ganz abgesehen von einer unabhängigen Evaluierung der Regierungsmaßnahmen.[3] Die Angst vor Corona, vor Klimaveränderungen, vor Zerstörern der Demokratie, vor moralischer Ausgrenzung lassen uns – so Michael Andrick – in ein Moralgefängnis laufen und er fragt: Wie können wir „aus diese unangenehmen Lage ausbrechen“ (S. 12)? Die moralisierende Debattenführung, die einen wirklichen Diskurs ausschließt, wird vielfach beklagt; deren Symptome auch in zahlreichen anderen Publikationen beschrieben. Antworten auf die Frage, wie das wieder aufzulösen ist, sind aber eher selten. Michael Andricks Buch ist besonders zu empfehlen, weil er die Vorgänge der sozialen Spaltung systematisch analysiert. Er diagnostiziert einen „Kulturvirus Moralin“ (S. 59-76) und die Heilung ist wohl mehr ein sozial-psychologisches Problem, aber um das Problem zu verstehen und ggf. zu lösen bedarf es klarer Begriffe. Und damit wird es zur Sache der Philosophie, nämlich die Begrifflichkeiten zu analysieren – vorausgesetzt, man versteht unter Philosophie die „Arbeit am Begriff“ (Hegel).

Es hätte wohl der brillanten Analyse noch zu mehr Klarheit verholfen, wenn der Autor den Begriff der Gemeinschaft und den Begriff der Gesellschaft exakt definiert und voneinander unterschieden hätte.[4] Er benutzt die Worte „Gemeinschaft“, „Gesellschaft“ und „Gemeinwesen“ oft als Synonyma, das Wort „Gesellschaft“ aber auch als Oberbegriff und zugleich als Artbegriff in Unterschied zur Gemeinschaft. Die Gemeinschaft (von Familie, in Organisationen, Vereinen oder in einer Partei, im Staate) ist beseitigt, wenn sie gespalten ist, während natürlich jede Gemeinschaft der Staatsbürger immer aus unterscheidbaren Gemeinschaften und Gesellschaften besteht und jede Gesellschaft aus gegenüber dieser selbständigen Personen.

Die Frage, „sind wir nicht bereits in einer gespaltenen Gesellschaft?“ (S. 10), erfordert Aufklärung des „schillernden Begriff[5] »Spaltung«“ (S. 11) Und wird zunächst der „Irrtum über das Wesen gesellschaftliche Spaltung“ (S. 46) aufgeklärt: Das Wort (!) „Spaltung“ hat eine doppelte Bedeutung, bezeichnet „einen Sachverhalt und seine Entstehung, Produkt und Prozess, einen eingetretenen Schaden, aber zugleich auch den Akt (oder die Akte) der Verursachung dieses Schadens. […] Mit »Spaltung« ist ein Zustand und somit ein Ergebnis gemeint […] und zugleich auch die Arbeit oder die Unachtsamkeit, die zu diesem Ergebnis führt.“ (ebd.)[6] Der Autor analysiert, „auf welche Weise und mit welchen Mitteln“ (S. 47) die Gemeinschaft(en) in Deutschland gespalten wurden. Es ist eine diskursfeindlich Einrede und intellektuelle Ausrede, daß die Spaltung daher kommt, weil Menschen unterschiedlicher Meinung sind. „Wäre Meinungsverschiedenheit schon Spaltung, dann wäre jede meinungsplurale Gesellschaft zu jeder Zeit gespalten“ (S. 50). Wir haben es vielmehr mit „spalterischem Handeln“ zu tun, das die Kommunikation schädigt und im „allerletzten Extrem, dem Bürgerkrieg, dazu führen [kann], dass die Kommunikation wirklich zum Erliegen kommt“ (S. 55). „Im Moralgefängnis“ weiterlesen

Deutschlands Probleme mit den Wasserstoff-Partnerschaften

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Von Dagmar Jestrzemski

Deutschland und die meisten EU-Länder sowie Norwegen haben sich für eine Wasserstoffwirtschaft als wichtigen Baustein auf ihrem nationalen Pfad der Transformation zu einer sogenannten klimaneutralen Energieversorgung entschieden. Jedoch hat sich kein Land außer Deutschland für den problembehafteten, teuersten und für eine Anwendung in größerem Umfang noch unerprobten Energieträger Wasserstoff als Kernelement seines zukünftigen Energiesystems entschieden. Mit Unmengen an Wasserstoff-Importen aus Ländern überwiegend im globalen Süden will Deutschland seine Energiewende fortsetzen. Projekte zur Herstellung in Lateinamerika, dem arabischen Raum und Afrika laufen auf Hochtouren.

Zugleich wird der Aufbau einer inländischen WasserstoffWirtschaft vorangetrieben. Zwar hält eine neue Analyse der EU-Kommission die Elektrolyse von Wasserstoff in Deutschland auch langfristig für unwirtschaftlich. Dennoch sehen Experten des Fraunhofer-Instituts, des Reiner Lemoine Instituts und des Dienstleisters Infracon Infrastruktur Service künftige „Kraftzentren“ für die Produktion von „regenerativ“ erzeugtem Wasserstoff in der Uckermark und der Lausitz. Woher soll aber das für die Elektrolyse benötigte hochreine Wasser kommen? Immer mehr Regionen in Deutschland leiden seit etwa 17 Jahren, wohl nicht zufällig parallel zum fortgesetzten Ausbau der Windenergie, zunehmend unter Wasserknappheit. Dafür haben die Experten eine Lösungsidee: Abwasser, das bei der Aufbereitung von Hüttengasen aus der Stahlproduktion zurückbleibt. In der Uckermark könne es ausreichend Wasser für die Wasserstoff-Industrie geben, wenn die PCK-Raffinerie in Schwedt kein Benzin und keinen Diesel mehr herstellt. Dann werde Wasser frei für die Produktion von Wasserstoff. Jedoch: „In den Plänen des Landes Brandenburg tauchen Schätzungen zum höheren Wasserbedarf nicht auf. Scheut sich die Politik, diese Rechnung aufzumachen?“ fragten Autoren des „Freitag“ im März 2023.

Die Sorgen im Kanzleramt und im Wirtschaftsministerium wegen möglicher Notlagen bei der Energieversorgung müssen groß sein. So erklärt sich, dass Bedenken hinsichtlich sicherheitspolitischer Risiken und Menschenrechtsverletzungen in den kooperationswilligen Ländern nicht öffentlich angesprochen werden. Deutschland sagte bisher für den Aufbau einer „grünen“ Wasserstoffwirtschaft und geeigneter Hafenanlagen für den Wasserstoff-Export Milliardeninvestitionen für Mexiko, Uruguay, Kanada, Namibia und Südafrika zu. Weitere Wasserstoff-Partnerschaften wurden innerhalb von kaum zwei Jahren mit Australien, Chile, Angola, Ägypten, Marokko, Mauretanien, Niger und Saudi-Arabien eingeleitet. Bundeskanzler Scholz will auch Nigeria in die bunte Palette von bereits mehr als einem Dutzend Wunsch-Lieferanten des „grünen“ Wasserstoffs aufnehmen. „Deutschlands Probleme mit den Wasserstoff-Partnerschaften“ weiterlesen

Wie onaniert man einen Nazi?

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Unser Grösaz Böhmermann (Größter Satiriker aller Zeiten) hat einen neuen Hit gelandet. Am Ende seiner neuesten Show gab er seinen Zuschauern das Folgende auf den Weg: »Liebe 3sat-Zuschauer*innen, bitte nicht vergessen: Nicht immer die Nazikeule rausholen, sondern vielleicht einfach mal ein paar Nazis keulen.«. Das unsichtbare Studiopublikum johlte, vielleicht waren es ja nur Tonkonserven, die für einen heiteren Abgang sorgten.

Selten so gelacht, aber ein paar total humorlosen Zeitgenossen fiel ein, dass „keulen“ töten bedeutet. Spätestens seit der Rinderwahn-Hysterie war das Wort in aller Munde. Obwohl es im Ursprungsland England nur 10 Fälle der Kreuzfeld-Jacob Krankheit gab und bei keinem einzigen nachgewiesen wurde, dass sie von einer Ansteckung bei einem Rind herrührte, und in Deutschland kein einziger Fall bekannt war, wurden in Deutschland tausende Rinder „gekeult“. Tagelang wurde über das Keulen auf allen Kanälen berichtet. Man wollte damit das für sensible Seelen verstörende Wort töten vermeiden. Die betroffenen Bauern wurden so entschädigt, dass sie sich der Verordnung der damaligen Verbraucherministerin Renate Künast, ohne zu protestieren anschlossen. „Wie onaniert man einen Nazi?“ weiterlesen

Lenin und andere Leichen

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Der einzige öffentlich-rechtliche Sender, den ich noch zur Kenntnis nehme, ist MDR Kultur. Der ist, besonders in der „Lesezeit“, immer für eine Überraschung gut. Vor ein paar Wochen wurde eine Aufnahme von „Lenin und andere Leichen“ von Ilya Sbarsky gesendet. Sparskys Vater Boris hatte mit Hilfe von Felix Dzerzhinsky, Chef der Tscheka, nach Lenins Tod dafür gesorgt, dass die eingefrorene Leiche des Partei- und Staatsführers aufgetaut und nach einer vom Charkower Professor Vorobiov entwickelten Methode einbalsamiert wurde. Sbarsky sen. war sich sicher, dass sich hervorragende Forschungsmöglichkeiten ergeben würden, denn für die Einbalsamierung Lenins und sie kontinuierliche Überarbeitung seiner Leiche war ein eigenes Labor nötig. Außerdem handelte es sich um eine Lebensaufgabe, wenn es gelang. Letzteres war keineswegs sicher, denn man bewegte sich auf absolutem Neuland. Wenn das Experiment gescheitert wäre, würden es die Wissenschaftler schlimmstenfalls mit ihrem Leben bezahlen müssen. Die Hoffnung, als Einbalsamierer vor dem stalinschen Terror geschützt zu sein, erwies sich als trügerisch. Boris Sbarsky wurde im März 1952 im Zuge der Kampagne gegen die „Kosmopoliten“, also Juden, verhaftet. Er wurde nach zwei Jahren entlassen, war aber gesundheitlich so geschwächt, dass er wenige Monate danach starb.

Ilya Sbarsky wurde als Student von seinem Vater in das Projekt aufgenommen. Das Buch, das er im hohen Alter mit Samuel Hutchinson geschrieben hat, ist hochinteressant. In Deutschland ist es praktisch nicht mehr zu bekommen, ich musste auf eine englische Ausgabe zurückgreifen, als ich die Geschichte nachlesen wollte. Sbarskys gehörten zur Nomenklatura, wobei der Senior ein überzeugter Anhänger des Regimes war, dem der Junior kritisch gegenüberstand. Das Buch ist einer der seltenen Berichte aus dem Umfeld des Politbüros. „Lenin und andere Leichen“ weiterlesen

Stoppt die Eskalation!

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Der Schriftsteller Günter Kunert schrieb in einem seiner frühen Texte:

›Über einige Davongekommene‹: »Als der Mensch unter den Trümmern seines bombardierten Hauses hervor gezogen wurde, schüttelte er sich und sagte: nie wieder. Jedenfalls nicht gleich.«

Das „nicht gleich“ scheint jetzt zu sein. Vor 79 Jahren wurde Dresden in einem Feuersturm zerstört, der einer bis heute unbekannten Zahl von Menschen das Leben kostete. Es war der Anfang einer Serie von dutzenden Städten, die kurz vor Kriegsende noch in Schutt und Asche gelegt wurden. Vom 1. Januar bis zum 8. Mai 1945 starben mehr Menschen als während des gesamten vorangegangenen Krieges. Was die Nazis an unermesslichem Leid über die Welt gebracht hatten, schlug mit voller Wucht auf Deutschland zurück.

Die Sowjetunion hat den höchsten Blutzoll gezahlt, die größte Kriegslast getragen und die Nazis bis in den Führerbunker hinein verfolgt. Die deutsche bedingungslose Kapitulation wurde im von der Roten Armee besetzten Berlin unterzeichnet. Wenn es eine richtige Lehre daraus gegeben hat, dann war es der Schwur, dass von Deutschland nie wieder ein Krieg ausgehen darf. Jahrzehntelang wurde die Lehre aus dem verheerenden Zweiten Weltkrieg in Deutschland und Europa beherzigt. Nun tauchen die Kriegstreiber wieder in den Medien auf.

Ein Abgeordneter der Partei Konrad Adenauers, Roderich Kiesewetter, außenpolitischer Obmann der Unionsfraktion, hat ein offensiveres Vorgehen gegen Russland gefordert: „Der Krieg muss nach Russland getragen werden“, „Russische Militäreinrichtungen und Hauptquartiere müssen zerstört werden. Wir müssen alles tun, dass die Ukraine in die Lage versetzt wird, nicht nur Ölraffinerien in Russland zu zerstören, sondern Ministerien, Kommandoposten, Gefechtsstände“. “Es sei an der Zeit, „dass die russische Bevölkerung begreift, dass sie einen Diktator hat, der die Zukunft Russlands opfert, der die Zukunft der russischen Jugend, auch der ethnischen Minderheiten opfert“. „Stoppt die Eskalation!“ weiterlesen