Das Entsetzen ist groß – aber nicht immer gleich groß

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Von Gastautor J. B.

Die Berichterstattung – ich höre meist nur Radio, aber das mit Aufmerksamkeit – über die Ereignisse in Chemnitz ist lehrreich. Je linker nämlich die politische Einstellung der jeweilig kommentierenden Politiker und Journalisten ist, desto größer ist das Entsetzen über den rechtsradikalen Mob, der in Chemnitz jetzt die Oberhand zu erringen droht. Bei ganz linken Evaluationen kommt der Anlass der Umtriebe auf den Straßen quasi überhaupt nicht zur Sprache. Offenbar war es einer von vielen Einzelfälle ohne Terrorkomponente, ein Kollateralschaden, und daher nicht weiter erwähnenswert. Geht man etwas weiter in die politische Mitte, dann ist das Entsetzen über den rechtsradikalen Mob ebenfalls groß, aber nicht ganz so entsetzlich groß, so dass am Ende noch ein kleines Entsetzen über den Kollateralschaden übrig bleibt und den Angehörigen des Getöteten sogar gelegentlich Anteilnahme zugesichert werden kann. In dieser Zone befinden sich in etwa Kanzlerin Angela Merkel und der Bundespräsident Frank Walter Steinmeier. Ein klein wenig weiter rechts davon ist das Entsetzen wieder recht groß, aber jetzt zunächst mal das Entsetzen über einen weiteren Messermord (sorry, es sollte ja nur ein Totschlag gewesen sein, soviel stand jedenfalls sofort nach der Tat fest). Direkt nach dieser Aussage kommt aber dann sofort das Entsetzen über den rechtsradikalen Mob, und das ist ebenfalls erheblich, wenn auch nicht ganz so riesig wie das aus den vorher genannten politischen Richtungen. Jetzt ist man in der Sphäre Horst Seehofer angekommen. Was dann noch weiter rechts los ist, erfährt man leider nicht oder nur äußerst bruchstückhaft, denn die Protagonisten von rechts der CSU haben nur selten die Gelegenheit, ihre Sicht der Dinge darzulegen. Worüber sie entsetzt sind, ist vermutlich sowieso schon klar und bedarf keiner weiteren Erläuterung.

Von dem allgemeinen hochgradigen Entsetzen zu hören ist schön, und den Entsetzten gereicht es auf alle Fälle zu Ehren. Aber halten wir einmal kurz inne und versuchen wir das Entsetzen im Zusammenhang mit den Vorgängen in Chemnitz etwas distanzierter zu betrachten. Das im Hintergrund anklingende Entsetzen über die eigentliche also die auslösende Gewalttat muss irgendwie mit dem Entsetzen über den rechtsradikalen Mob zu tun haben, denn als nur wenige Tage vor dem die Unruhen auslösenden Chemnitzer Mord bzw. Totschlag ein somalischer Asylbewerber in Offenburg einen Arzt in seiner Praxis erstach, blieb es erstaunlich ruhig. Kein Repräsentant einer führenden politischen Partei zeigte öffentliches Entsetzen. Nur ganz wenige Menschen demonstrierten in Offenburg, ja der „Vorfall“ schaffte es kaum in Medien, denn wie der Leiter der ARD-Tagesschau Kai Gniffke erklärte, war diese Tat nicht von “gesellschaftlicher, nationaler oder internationaler Relevanz“. Was kann man daraus schließen? Nun ja, das Tötungsdelikt von Chemnitz wäre wohl ebenso sang- und klanglos wie das von Offenburg oder das gleich darauf folgende von Düsseldorf oder von Weiß-Gott-wo in der Versenkung verschwunden, wenn es da nicht direkt hinterher die Umtriebe eines rechtsradikalen Mobs gegeben hätte.

Hier sind wir bei „des Pudels Kern“ (Johann Wolfgang von Goethe Faust I) angelangt. Es ist nämlich so, dass sich in Deutschland für die täglichen Vorfälle, bei denen Leute auf offener Straße oder in Supermärkten mit Messern oder Macheten hingerichtet werden, scheinbar kein Mensch außer den direkt Beteiligten oder Angehörigen interessiert. Das wirkliche Anliegen der Deutschen ist – so und nicht anders versteht man die öffentlich geführte Diskussion – die ständige Zunahme des Rechtsradikalismus. Dieser ginge wie ein Gespenst durch unsere Städte und Landschaften. Schon vor ein paar Jahren – die Willkommenswelle war kaum losgegangen – hörte ich auf einer Autofahrt in Oberbayern in meinem Lieblingssender BR5 aktuell, dass sich die Kommunen kaum mehr zu retten wissen ob der vielen rechtsradikalen Attacken, derer man sich landauf landab erwehren müsse. Bereits damals wurde nach einer Verstärkung der Polizei gerufen, um dem Neonazi-Treiben noch Herr werden zu können, das bereits damals den ländlichen Räume Oberbayerns erschütterte.

Dem außenstehenden Betrachter erschließt sich das nicht unmittelbar, damals sowieso nicht und heute sicher auch nicht. Daher hätte es der Glaubhaftigkeit dieser Einschätzung sehr geholfen, Leute von der Straße oder vom oft beschworenen „Stammtisch“ zu der Thematik zu befragen und dann auch Statistiken dazu vorzulegen. Statt dessen kommen solche Einschätzungen aber immer aus den Redaktionsstuben der Sendeanstalten oder von dorthin eingeladenen Experten wie dem Rechtsextremismus-Experten Hajo Funke („Jetzt vereinigen sich Neonazis mit vermeintlich besorgten Bürgern im Hass gegen alles Fremde“) oder dem Kriminologen Christian Pfeiffer (Gewaltkriminalität und sexualisierte Gewalt seit 20 Jahren rückläufig), die in den Medien das Terrain der Meinungsbildung beherrschen.

Das Entsetzen ist also sehr relativ. In den meisten Fällen, in denen es ein Mord oder eine Vergewaltigung überhaupt in die Presse schafft, ist es insignifikante Routineangelegenheit. Fehlen klare Indizien für einen Terroranschlag wie allahu-akbar Rufe und Bekenntnisse vom IS, so muß sich niemand mehr grämen.

Im Falle von Chemnitz war das Entsetzen aber groß, aber nicht wegen des Mordes/Totschlags sondern wegen des rechtsradikalen Mobs, der offenbar inzwischen weite Teile von Sachsen steuert.

An diesem Punkt muss man einhalten und einmal hören, was die anderen sagen. Ich meine damit unabhängige Stimmen aus dem Ausland. Hochinteressant ist hier ein Artikel aus IsraelUnwired, auf den mich ein Kollege aus Israel hingewiesen hat. In dem Artikel, Thousands Riot in Chemnitz, Germany After Another Murder by Migrants, heißt es – ich übersetze Passagen aus dem Englischen – dass “die Deutschen die Schnauze voll hätten von der Verleugnung der Gewalttaten muslimischer Migranten, die durch die Regierung über die letzten Jahre willkommen geheißen wurden. Wie um das Anliegen der Protestierenden zu bestätigen richtet die Regierung das Augenmerk auf die “rechten” Demonstranten anstatt eine starke Haltung gegen Gewalt und Morde durch Migranten einzunehmen. Obschon einige der Protestierenden sehr wahrscheinlich rechte Neonazi-Unterstützer sind, schüren die führenden Medien in Deutschland und im Ausland das Misstrauen der Bürger, die davon abgestoßen sind, von der Regierung wie auch von der Polizei allein gelassen zu werden.” Die Kommentare zu diesem Artikel sind mehr als eindeutig. Ein Kommentar sagt: “Ich kann das bestätigen. Wir leben in Deutschland, und viele der Einheimischen sind angefressen von dem Umgang der Behörden mit der Zuwanderung. Das hat nichts mit Rassismus zu tun.” Ein anderer schreibt “Es ist nicht zu fassen, wie die deutschen Medien das Resultat von Merkels Entscheidungen gegen ihr eigenes Volk herunterspielen”.

Es würde allen an der Diskussion um die Ereignisse in Chemnitz beteiligten gut tun, einmal auf die Stimmen aus dem Ausland zu hören. Vielleicht erführe man ja von dort, was in Deutschland los ist und in Wirklichkeit zu Entsetzen Anlass gibt.



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