Wer moderiert uns?

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Von Gastatorin  Marion  Titze

Sandra Maischberger ist im Moment der Lichtblick am Moderatorenhimmel. Denn sie nimmt das Wort Moderation noch ernst.

In einer Talkshow koordiniert der Moderator die Möglichkeiten der Gäste, sich im Gespräch zu äußern.

Zu einem Thema. Im Glücksfall zum Thema der Sendung. Wenn die Gäste selbst innig am Thema interessiert sind und weniger am medialen Auftritt, dann ist die Funktion des Rangierens der Standpunkte kein Problem.

Wenn nun noch der Moderator am Thema und nicht an seinem Auftritt interessiert ist, dann könnte das richtig gutes Fernsehen ergeben.

Das Problem ist das Branding. Die Öffentlich Rechtlichen Fernsehanstalten haben sich vor Jahren, wahrscheinlich unter Konkurrenzdruck der privaten Sender, für etwas entschieden, das dem Kommerziellen entlehnt ist: das Markenzeichen von Moderatoren. Und zwar in der Nachrichtensendung.

So sind Nachrichten mit Marietta Slomka zu einer Personalityshow geworden. Natürlich juckt es mir in den Fingern statt „geworden“ „verkommen“ zu schreiben. Aber das wäre meinerseits „personality“, man stellt den Effekt über die Sache.

Beim Bücherschreiben hat man für solche Fälle den Lektor; er wird einen zurückpfeifen und sagen: Manierismus. – Nichts gegen Manierismus, wir läsen keinen Oscar Wilde, wenn wir Manier nicht zu schätzen wüssten. Aber gerade an Oscar Wilde kann man studieren, wann Schluss ist mit Attitüde: nämlich wenn es ernst wird. Wegen seiner Homosexualität ins Gefängnis geworfen, hat Wilde dort seinen tiefsten und erschütterndsten Text geschrieben: De profundis. – Es war die Ankunft beim Existenziellen.

Nun hört man in der Gegenwart ständig, dass wir uns auch da befinden, weil die Demokratie in akuter Gefahr sei.

Man sollte meinen, die Gesellschaft rücke im Moment solch ernsthafter Bedrohung zusammen. Warum aber ist dem nicht so? Warum ist in Windeseile das Gegenteil entstanden? Warum ist die Gesellschaft gespalten?

Die Antwort ist verblüffend einfach: Weil sie den Widerspruch dämonisiert hat.

Alle rätseln fortlaufend darüber, wie Angela Merkel es schaffen konnte, den Mehltau der Alternativlosigkeit über die Gesellschaft zu werfen. Alle kommen sich paralysiert vor. Was immer man tue, herauskomme Merkel.

Kürzlich ging Jan Fleischhauer im „Spiegel“ so weit, auf das Schreiben seiner Kolumne verzichten zu wollen. Ihm falle nichts ein, notgedrungen.

Zunächst hielt ich das für eine ziemlich unschickliche Bankrotterklärung und dachte: Solch ein Redakteur wäre unter Rudolf Augstein vom Hof gejagt worden. Doch freundlicher betrachtet könnte man sagen, Fleischhauer seien die Fragen ausgegangen. Also nicht nur das Nonplusultra des Journalismus, sondern die Kultsache des Geistigen überhaupt. Über die Jahrhunderte hinweg hat die Philosophie die Frage als den Glutkern des erkennenden Denkens geadelt. Soweit, dass es heißt, es gäbe gar keine dummen Fragen. Ich war, hermeneutisch befeuert, immer aufseiten dieser ehrfürchtigen Ansicht. Erst durch die lähmende Zeit der Ära Merkel, also der unwidersprochenen Verknüpfung unsinniger Behauptungen (man kann Grenzen nicht schützen, zerbricht der Euro, zerbreche Europa) mit einer beispiellosen Machtfülle, brachte mich zu einer nicht am Wege liegenden Einsicht. Es war die Einsicht, dass es vielleicht keine richtigen und falschen Fragen gibt, wohl aber die Tatsache, dass man richtige Fragen falsch stellen kann. Angela Merkel ist die exklusive Exponentin dieser Fehlschaltung samt ihrer Tücken. Die Haupttücke besteht in der Unkenntlichkeit. Ob ein unkenntlicher Mensch, eine unkenntliche Sprache oder ein unkenntlicher Sachverhalt – alle haben dieselbe Eigenschaft: die Eigenschaft, Orientierung zu untergraben.

Orientierungslose Kollektive aber geraten unter Stress. Und Stress erzeugt Eigendynamik. Wie das unglückliche Zusammenschwingen von Resonanzen beim Marschieren über eine Brücke.

Im Moment gleicht die Demokratie einer solcherart gefährdeten Brücke, einem Bauwerk, das  den Einzelnen trägt und auch die Vielen, vorausgesetzt, sie gehen nicht im Gleichschritt.

Die Bundesrepublik ist keine gleichgeschaltete Gesellschaft, davor schützt sie bereits ihre Verfasstheit: sie ist eine Republik der Bundesländer. Aber die gemeinsame Brücke ist halt das Parlament, und darüber sollte nicht im Gleichschritt gegangen werden.

Was nun den falschen Umgang mit richtigen Fragen betrifft, so lässt sich von  Erfindern etwas lernen, es klingt wie eine Binsenweisheit: Man kann das Problem nicht lösen, wenn man nicht bis ins Herz des Problems vordringt.

Aber es sind nicht Blindheit und Unvermögen, die uns oft daran hindern, bis dorthin vorzudringen. Auch die Scheu kann Denkbarrieren aufbauen.



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