Der unwürdige Umgang mit Altbundeskanzler Kohl

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Speyer am Morgen nach dem Requiem für Helmut Kohl im Dom zu Speyer. Auf meinem Weg vom Hotel am Technikmuseum, das normalerweise ein Bikertreffpunkt zu sein scheint und dessen Einfahrt von einem Starfighter überschattet wird, gehe ich erst einmal auf die Rheinbrücke, um von dort einen Blick auf die Stadt zu werfen. Ich bin wohl ein ungewohnter Anblick für die Autofahrer, denn ein Transporter hält kurz vor mir an. Wohin ich wolle, fragte der Chauffeur mit Migrationshintergrund. Nicht weiter, als bis zur Mitte der Brücke, antworte ich ihm und füge hinzu, dass ich mich über sein Angebot, mich mitzunehmen, trotzdem freue. Später in der Fußgängerzone, die vom Dom zum ältesten Stadttor führt, komme ich mir vor, wie zuhause. Ein halbes Dutzend Paare spricht mich an. Sie kommen aus Mecklenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Sie haben sich auf den weiten Weg gemacht, um vom Kanzler der Einheit Abschied zu nehmen. Sie wollen erst in den Dom, der ihnen gestern Abend versperrt war und dann zum Grab von Helmut Kohl.

Letzteres ist auch mein Ziel.Von einer Speyerin hatte ich erfahren, dass sich der Friedhof, den ich in Domnähe vermutet hatte, in der Bahnhofstraße befindet, gegenüber einem Biomarkt, der ins alte Bahnhofsgebäude eingebaut wurde. Ich komme kurz vorher noch an der Konrad Adenauer-Seniorenresidenz vorbei, was ich ganz passend finde.  Auf der anderen Straßenseite liegt der alte Friedhof, heute Adenauerpark genannt. Das Tor ist fest verschlossen. Ein Zettel informiert mich und andere, die dort stranden, dass der Park einschließlich des heutigen Sonntags wegen „Baumpflegearbeiten“ geschlossen sei. Baumpflegearbeiten am Sonntag? Das ist mehr als seltsam. Ich habe bis zur Abfahrt meines Zuges noch Zeit und beschließe, um den Park herum zu gehen. Vielleicht finde ich ein Schlupfloch. Aber alle Nebeneingänge sind fest verschlossen. Dann gibt es auf der vierten Seite noch einen größeren Eingang, der auch von Fahrzeugen benutzt werden kann. Dort stehen zwei Polizisten. Von ihnen erfahre ich, dass der Park ab 15.00 Uhr wieder geöffnet werden soll. Das steht aber nicht auf der Mitteilung. Um diese Zeit werden sich die meisten Besucher aus dem Osten schon wieder auf den langen Weg zurück nach hause gemacht haben.Von Erfurt aus habe ich fünf Stunden mit dem Zug gebraucht, nach Berlin sind es fast sieben Stunden.

Wer hatte Interesse daran zu verhindern, dass diese Menschen Kohls Grab besuchen können? Doch nur jemand, dem nicht an Fotos von hunderten Spontanbesuchern gelegen war. Für mich sieht es aus wie eine unwürdige Rache derer, die keine Einheit wollten und seitdem an der Errichtung der kommoden Diktatur gearbeitet haben, in der wir inzwischen angelangt sind.

Am Freitag, dem 30. Juni wurde im Deutschen Bundestag die Meinungsfreiheit beerdigt, indem das Netzwerksdurchsuchungsgesetz von Justizminister Maas trotz aller nationalen und internationalen Bedenken durchgepeitscht wurde. Ein „weltweit einmaliges Gesetz“ hätte man auf den Weg gebracht, jubelte die SPD-Fraktion in einer Presseerklärung. Es ist eine einmalige Blaupause für Diktatoren wie der Weißrusse Victor Lukaschenko, der sich bereits dankbar zeigte für die Hinweise, wie er seine Opposition mundtot machen kann.

Mit Helmut Kohl wurde am 1. Juli die alte Bundesrepublik zu Grabe getragen. Sie war der freieste Staat, der auf deutschem Boden existiert hat. Sie ist als angebliches „Schweinesystem“ von den Linken bekämpft worden bis zu ihrer Niederlage. Ich habe sie nur kurz kennengelernt, als ich 1988 aus der DDR rausgeschmissen wurde. Damals empfing mich der heutige Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen Roland Jahn im Westen mit den Worten: „Hier ist es nicht wie mit der Reichsbahn. Nach der Bundesbahn kannst Du deine Uhr stellen.“ Die Zeiten sind längst vorbei. Heute ist es wie in der Lotterie. Man weiß nie, wann der Zug kommt. Selbst wenn er pünktlich ist, kann man nicht sicher sein, ob man rechtzeitig am Ziel ankommt.

Als ich in Erfurt auf den ICE wartete, wurde er mit zehn Minuten Verspätung angekündigt. Die Umsteigezeit in Fulda betrug aber nur sechs Minuten. Wunderbarerweise holte unser Zug die Verspätung auf, der Umstieg klappte. Allerdings hatte der ICE bis Mannheim wieder eine Viertelstunde Verspätung. Grund waren jedes mal Reparaturen am maroden Schienennetz. Später hörte ich im Dom, dass diejenigen, die mit dem Auto gekommen waren, Probleme mit Staus wegen Baustellen gehabt hatten. Die Infrastruktur im vereinten Deutschland hat bereits DDR-Niveau erreicht.

Im Dom begann das Requiem für Helmut Kohl mit der Toccata und Fuge in d-Moll von Johann Sebastian Bach. Es war das Lieblingsmusikstück des Altkanzlers, das jedes mal erklang, wenn er mit Gästen den Dom besuchte. Dann zog zu den Klängen des Requiem aeternam der aus Straßburg gekommene Politikertross ein. Bis auf Bundespräsident Steinmeier und Frau, die sich sichtbar um eine präsidiale Haltung bemühten, sah das Ganze eher nach Gelatsche von Halbwüchsigen aus. Verstärkt wurde dieser Eindruck durch die nachlässige Garderobe. Bundestagspräsident Norbert Lammert, immerhin der dritthöchste Mann im Staat, präsentierte sich in einem schlecht sitzenden Anzug, der nach Ausverkauf bei C&A aussah.

Nachdem die Honorationen Platz genommen hatten, begann der Gottesdienst. Er gab dem verstorbenen die Würde zurück, die ihm durch das unsägliche familiäre und außerfamiliäre Gezerre nach seinem Ableben genommen zu werden drohte. Als Nicht-Katholikin spürte ich, welche Kraft die uralten Rituale entfalten und welchen Halt sie geben können. Eine Gesellschaft die das zugunsten eines indifferenten Laisser-Faire aufgibt, kann nur in sich zusammenfallen, wie sie es gegenwärtig tut.

In der Predigt bemühte sich der Bischof von Speyer erfolgreich, sich über die Fehde in der Familie Kohl hinwegzusetzen. Er erinnerte daran, dass Hannelore Kohl im Dom zu Speyer mit einem Requiem geehrt worden war und bezog immer wieder die abwesenden Söhne und Enkel ein. In der Predigt waren mehrmals die Worte „Heimat“ und „Liebe zu Deutschland“ gefallen. Immer hatte ich das Gefühl, diese Begriffe zum letzten Mal zu hören.

Die meisten Anwesenden waren Kohls alte Mitstreiter, darunter überproportional viele Ostdeutsche. Einige Diplomaten konnten es nicht lassen, während des Gottesdienstes Selfies von sich zu machen. Aber die übergroße Mehrheit der Teilnehmer war sichtlich ergriffen.

Zum Schluss gab es militärische Ehrengeleit für den Sarg von Kohl. Erleichtert konnte ich feststellen, dass die arg gebeutelte Bundeswehr das noch beherrscht. Allerdings trugen die beiden Soldaten vorn nicht einen Kranz der Bundesregierung für den Altkanzler voran, sondern ein überdimensionales Gebinde aus hunderten tiefroten Rosen, versehen mit einer Riesenschleife: „In Liebe Maike“. Immerhin war der Sarg mit einer deutschen Fahne bedeckt.

Hinter dem Sarg schritt die hochelegante Witwe, allein, in einem Kokon von Einsamkeit. Während des Gottesdienstes hatte sie noch neben Bill Clinton gesessen, der jetzt aber nicht zu sehen war. Hinter Maike Richter kamen einige Personen, die zur erweiterten Familie Kohl gehören könnten, dann wieder die Politiker. Merkel grüßte in alle Richtungen, ich befürchtete fast, sie würde anfangen, noch Hände zu schütteln. Das blieb andern überlassen, die hinter der Kanzlerin liefen und offenbar kein Gefühl dafür hatten, was ein „Auszug in Stille“ bedeutet. Victor Orban, der Kohl am nächsten stand, war in die hinteren Reihen abgedrängt worden.

 

Draußen regnete es, so dass man vor lauter schwarzen Schirmen nichts vom Ehrengeleit sah. Als die Kapelle das Lied der Deutschen intonierte, gingen die Gespräche weiter, als wäre es eine x-beliebige Unterhaltungsmusik. Erst als ich anfing zu singen, fielen einige Umstehende ein, was immer mehr Menschen veranlasste, einzustimmen. Sonst hätten wir auch in dieser Beziehung schon DDR-Verhältnisse gehabt, wo die Hymne in den letzen Jahren immer ohne Text gespielt wurde. Nachdem der Sarg abgefahren war, löste sich die Trauergemeinde sehr schnell auf.

Nach einer alten Sage hatte der Fährmann von Speyer einen Traum, die Kaiser kämen über den Rhein, um das Reich in großer Not zu retten. „Fährmann hol über“, sollen sie gerufen haben.

Als ich am Rhein stand, war alles still. Es kommen keine Kaiser, um unser Land aus großer Not zu retten. Das müssen wir selber tun, oder untergehen.



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