Von Gastautor Ulrich Vosgerau
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur angeblichen verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht (Beschl. v. 27. April 2022, 1 BvR 2649/21) war – leider – vorhersehbar. Denn das Gericht hatte sich schon im zugehörigen einstweiligen Anordnungsverfahren (Beschl. v. 10. Februar 2022, gleiches Az.) darauf festgelegt, die einrichtungsbezogene Impfpflicht „begegne keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken“. Denn nicht nur sei die „Impfung“ nach Ansicht der seitens des Gericht angehörten Experten – es sind im wesentlichen dieselben, auf deren Rat sich auch schon Bundesregierung und Gesetzgeber bei der Einführung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht stützten – effektiv und nebenwirkungsarm, sondern eigentlich bestehe auch gar keine Impfpflicht, da es z.B. betroffenen Ärzten ja freistehe, ihren Beruf für die nächsten Jahre aufzugeben. Letztere Wendung bereits aus der Entscheidung im einstweiligen Anordnungsverfahren (Rn. 21) hatte selbst bei impffrommen Verfassungsrechtlern ein gewisses Entsetzen ausgelöst. Auch die so pauschale wie fadenscheinige Nichtannahme praktisch aller übrigen Verfassungsbeschwerden gegen die einrichtungsbezogene Impfpflicht als „bereits unzulässig“ hatten selbst gewogene Beobachter des Bundesverfassungsgerichts kritisiert.
Wie eine Reaktion hierauf erscheinen nun die beiden Leitsätze der jetzigen Entscheidung, die sehr „grundrechtsfreundlich“ gehalten sind. Auch eine staatliche Maßnahme, die nur mittelbare oder faktische Wirkung auf die körperliche Unversehrtheit entfaltet – weil eben keine Impfpflicht als solche eingeführt, sondern den Ungeimpften erhebliche Nachteile, faktisch ein Berufsverbot, angedroht werden – sei einem unmittelbaren Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit als „funktionales Äquivalent“ gleichzustellen. Dennoch wird die Verfassungsbeschwerde im Ergebnis als teilweise bereits unzulässig (einmal mehr!) und im übrigen unbegründet, zurückgewiesen. Der Eingriff in das Recht auf Leben und Gesundheit (zur Terminologie noch gleich!) sei verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Dies bedeutet, daß gegenläufige, ebenfalls verfassungsrechtlich geschützte Interessen im konkreten Einzelfall die Grundrechte überwiegen.
Dabei gebraucht der Erste Senat – nicht zum ersten Mal – die grüne Gendersprache und spricht von den „Beschwerdeführenden“ (statt richtig von Beschwerdeführern, deren Funktion so richtig bezeichnet wäre und deren natürliches Geschlecht weder von Interesse ist noch seitens des Gerichts erforscht wird). Oder: „Die dort [nämlich bei der Ständigen Impfkommission] ehrenamtlich Tätigen sind Expertinnen und Experten“ (Rn. 139). Warum nur wundert sich ein Gericht, das sich – ohne jede gesetzliche Rechtfertigung – in einer linksaktivistischen Kunstsprache äußert, die bei jedem normalen Bürger instinktive Abwehrreflexe auslöst, über den fortschreitenden Verlust seines öffentlichen Ansehens?
Die Entscheidung des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts ist – ähnlich wie bereits dessen berühmter Klimaschutz-Beschluß vom 24. März 2021 (1 BvR 2656/18 u.a.) – im Rahmen der herkömmlich geltenden Grundrechtsdogmatik kaum mehr nachzuvollziehen und offensichtlich rechtsfehlerhaft. „Komplexität kennt kein Gebot“ weiterlesen