Ein paar Bemerkungen zum Revolutions-Deal zwischen dem Russen Wladimir Uljanow (Lenin) und dem Deutschen Kurt Riezler
Von Gastautor Helmut Roewer
In diesem Artikel beschreibe ich die beiden entscheidenden Männer der sowjetischen Oktoberrevolution 1917: Lenin und Riezler. Um mit Lenin zu beginnen. Den kennt jeder. Ohne ihn hätte es die Große Sozialistische Oktoberrevolution nicht gegeben. Das weiß man. Aber wer war Riezler? Ohne ihn hätte es zwar den Sozialisten Wladimir Iljitsch Uljanow, aber den erfolgreichen Revolutionär Lenin nicht gegeben. Warum das so ist, und wer er war, habe ich hier aufgeschrieben.
Der kaiserlich deutsche Beamte Dr. phil. Kurt Riezler war ein persönlicher Mitarbeiter des von 1909 bis 1917 amtierenden deutschen Reichskanzlers Theobald von Bethmann Hollweg. Riezler war zuständig für Pressesachen. Gleich nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Sommer 1914 kam eine andere Funktion hinzu. Er wurde Referent des Reichskanzlers für die politische Kriegführung.
Hinter der geheimnisvollen Bezeichnung verbarg sich die im September 1914 in der Reichleitung entwickelte Strategie, politisch etwas Durchgreifendes tun zu müssen, damit Deutschland den Krieg nicht mit Pauken und Trompeten verliere. Denn nur einen Monat nach der Kriegseröffnung war die bittere Erkenntnis gereift, dass der Zweifrontenkrieg nach dem Rückzug an der Marne militärisch nicht mehr zu gewinnen war. Dies war nicht etwa die einsame Ansicht des notorischen Zivilisten Bethmann, sondern auch der soeben installierte neue deutsche Generalstabschef Erich von Falkenhayn stimmte dem zu. Es müsse mindestens einer der Kriegsgegner – Frankreich oder Russland – aus der Phalanx der Feinde mit nicht-militärischen Mitteln herausgebrochen werden.
Das sagte sich leichter als getan. Es wurde nach beiden Seiten versucht: Überredung, Bestechung, verdeckte Einflussnahme, Sabotage. In Frankreich wäre das im Frühjahr 1917 um ein Haar geglückt, in Russland hingegen sah es nach vielversprechenden Anläufen zur selben Zeit finster aus. Dort hatte die Februarrevolution 1917 stattgefunden. Sie brachte mit massiver englischer Hilfe den Sturz des Zaren und eine Regierung an die Macht, die eisern gewillt war, den Krieg gegen Deutschland an der Seite der Westalliierten fortzuführen.
In dieser Situation konzentrierte sich die Reichsleitung auf den in der Schweiz lebenden Bolschewiki-Chef Wladimir Uljanow, den sie seit Herbst 1914 mit größeren Beträgen für seine zersetzende Kriegsbeendigungspropaganda gesponsert und dafür gesorgt hatte, dass seine Pamphlete nach Russland gelangten. Riezler und seinen Mit-Konspirateuren im Auswärtigen Amt war klar, dass ihnen nunmehr ein aus der Emigranten-Ferne der Schweiz salbadernder Lenin nichts mehr nütze war, sondern der Mann musste, um sich im deutschen Sinne auszuwirken, an den Ort des Geschehens und dort die Macht um jeden Preis an sich bringen. Deswegen würde man Lenin quer durchs Deutsche Reich und via Schweden nach Sankt Petersburg (damals: Petrograd) durchschleusen.
Den deutschen Planern war zunächst nicht bewusst, dass dem russischen Revolutionär die eigene marxistische Doktrin im Wege stand. Nach deren ehernen Regeln musste im feudalen Russland zunächst ein Umsturz stattfinden, der den Kapitalismus an die Macht brachte, welcher dann nach geraumer Zeit durch die sozialistischen Massen beiseite gefegt werden würde. So stand es bei Marx, und so hatte es Lenin ungezählte Male wiederholt. Was die deutschen Schleuser und Geldgeber wollten, war etwas anderes: Nach deren Willen – von der Marxschen Theorie nicht angekränkelt – sollte Lenin sich möglichst rasch nach Eintreffen an die Macht putschen. Geld spielte keine Rolle.
Beide Seiten verkehrten, weil sie um ihren Ruf besorgt waren, über Mittelsmänner. Beim Hin und Her der Reisevorbereitungen und der Absprache der Bedingungen kam offenbar ans Licht, dass man aneinander vorbei redete. Mittlerweile war indessen – die Zeit drängte – das Praktische des Transits so weit gediehen, dass der Lenin-Zug – aus Tarnungsgründen angereichert um zwei Dutzend schweizerische Exil-Russen – abfuhr und mit höchster Eile durch Deutschland dampfte. Doch es ging nicht stracks nach Saßnitz, wo die Schweden-Fähren abfuhren, sondern der Zug fuhr nach Berlin hinein, wo er mehrere Tage, gut bewacht, auf einem Nebengleis des Potsdamer Bahnhofs abgestellt blieb. „Einer macht den Staatsstreich und der andere macht ihn möglich“ weiterlesen