Die Kaffeefahrt für mehr Dialog

Veröffentlicht am

Gastautor Josef Hueber

Randnotizen zur Rede des Bundespräsidenten in Kassel auf der diesjährigen documenta 

Werbefahrt ist die euphemistisch verschleiernde

Bezeichnung für eine organisierte Tagesreise (…)

mit angeschlossener Verkaufsveranstaltung.“

(Wikipedia)

Bei der diesjährigen Kunstveranstaltung documenta fifteen in Kassel gab sich Bundespräsident Steinmeier in seiner Ansprache als Staatsprimus in Sachen Demokratie und Meinungsfreiheit, als Schirmherr für offenen Diskurs. Seine, will sagen des Redenschreibers, Rhetorik war, wie immer, im ursprünglichen Sinn des Wortes, blendend. Kratzt man aber am Lack der verbalen Gefälligkeiten, entpuppt sich der Ehrengast nicht als aufgeschlossen für politisch Unbequemes, sondern lediglich als Handlungsreisender in Sachen Regierungspolitik. Ein Bundespräsident jenseits der Parteipolitik für alle Deutschen? Er lieferte, geschickt eingekleidet, die gewohnte Polarisierung von Nicht-Gewünschtem und politisch Korrektem zu den Themen (woker) Geschichtsbetrachtung, grüner Umweltideologie, unsere Haltung zu Israel und Meinungsfreiheit.

Als Kostprobe eine Bemerkung zum Thema Demokratie und Meinungsfreiheit.


Der Skandal

Ein paar Worte zur Erinnerung. Die documenta , nach Steinmeier die „bedeutendste Ausstellungsreihe zeitgenössischer Kunst“, diesmal staatlich subventioniert mit 42,5 Mio Euro, erregte berechtigte Empörung durch die Installation des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi, die im riesigen Format teilweise schweinsgesichtige Fratzendarstellungen von Juden zeigte. Und zynisch das Machwerk auch noch „People’s Justice“ nannte. Es wurde zunächst schwarz verhängt, dann abgehängt. Wie zu erwarten: Entschuldigungen und Betroffenheiten von höchster politischer Ebene folgten. Es ist freilich naiv zu glauben, dass dieser Skandal, für den niemand die Verantwortung übernehmen will,  ein „Versehen“ war und nicht absichtlich inszeniert, wie Peter Brenner im Morgenmagazin des neuen Alternativsenders Kontrafunk v. 25.Mai erläutert.  Der Skandal des „antisemitischen Wanderzirkus Taring Padi“, bekannt für seine „Agitationskunst“, war „so vorhersehbar wie der Gang der Gestirne. Was man bewirkte: mit „geringstmöglichem Aufwand größtmögliche Aufmerksamkeit zu erzielen.“ Das Ganze ein „Geschäftsmodell“.

Der Gewissenskonflikt

Der Einstieg in die Rede des Bundespräsidenten setzt den Akzent des Außergewöhnlichen. Er habe es sich „ nicht leicht gemacht“, die Entscheidung, ob er kommen oder es lieber bleiben lassen solle. Von seinem Gewissenskonflikt erfahren die andächtigen Zuhörer zum Schluss nochmal, weil doppelt genäht. Frage: Ob die Schwerarbeit der Entscheidung damit zusammenhing, weil jüdische Künstler  nicht eingeladen wurden? Oder vielleicht, weil Juden in gekonnt nationalsozialistischer Manier von künstlerischen Vertretern aus Indonesien, der „ größten muslimischen Demokratie“ der Welt, beleidigt und bespuckt wurden? Gewissermaßen ein Schandfleck, dass dies nicht schon im Vorgeld verhindert wurde?

Rede und Realität – Gespräch und Debatte als Zerrbild

Zu den stets aufgewärmten Topoi bundespräsidialen Sprechens an die hier Lebenden (die sich mehrheitlich noch als Volk fühlen) gehört der Gedanke, Dialog und Streit seien das Lebenselexier der Demokratie. Mitgeliefert deswegen gleich die Warnung: Dialog und Streit keinesfalls im Muster Schwarz-Weiß-Denkens. „Viel zu viele Menschen machen es sich bei komplizierten Zusammenhängen inzwischen sehr einfach. Es gibt nur noch Schwarz oder Weiß, nur noch „Dafür” oder „Dagegen”, keine Differenzierung, auch kein gegenseitiges Verstehenwollen. Boykottieren statt diskutieren.“

Der geneigte Hörer stellt sich die Frage: Lebt der Bundespräsident nur in der Welt der öffentlich-rechtlichen Sender und der gedruckten Altmedien?

O-Ton: Man habe mit der „documenta fifteen“ die „Debatte über die globale Gegenwart“ vor Augen. Das große Verdienst der Kunst sei es, „ eine Gesellschaft mit sich selbst ins Gespräch bringen – ein Gespräch übrigens, das wir alle miteinander bitter nötig haben“.

Klingt gut. Wenn nur der Satz nicht weiter gehen würde. Was wir nämlich „bitter“ benötigen, so wird erklärt, ist ein „nach Aufklärung strebendes Gespräch, das in der Empörungslogik sozialer Medien und unter dem täglichen Bekenntnisdrang vieler Nutzer weniger gefördert als vielmehr unterdrückt wird.“

Fragen an den Redner

Die neuen, alternativen, sozialen Medien, die damit gebotene Möglichkeit, dem Mainstream in den Zuträgermedien zu widersprechen, das freie, unbehinderte Bekenntnis zu unbequemen Ansichten auf diesen Plattformen zur Sprache zu bringen – all das hat mit Aufklärung, mit dem Dialog in der Demokratie nichts zu tun? Und wer „unterdrückt“ eigentlich die freie Meinungsäußerung in Deutschland, ob von Bürgern, von Vertretern regierungskritischer Institutionen, von gesellschaftlichen Bewegungen oder unliebsamen Parteivertretern? Welche Gesetze und Gesetzesvorhaben sind dazu bereits in Kraft oder geplant? Wie ist der mediale und physisch- brachiale Umgang mit den als „Querdenkern“ Verunglimpften auf friedlichen Demonstrationen einzuordnen?

Fragen über Fragen. Es scheinen sich unterschiedliche Vorstellungen von Aufklärung und streitbarer Diskussionskultur in die oberen Stockwerke des Politikbetriebs eingenistet zu haben.



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