Von Gastautor Wolfgang Schimank
Was hat mich veranlasst, ein Buch über die Ostdeutschen zu schreiben?
Die gesellschaftliche Transformation in den 1990er-Jahren verlief in den neuen Bundesländern nicht so, wie es sich viele ehemalige DDR-Bürger vorgestellt hatten. Auf der einen Seite war viel Naivität dabei. Auf der anderen Seite wurden viele Betriebe liquidiert, meines Erachtens zu viele. Das hatte nichts mehr mit der „schöpferischen Zerstörung“ nach der Lehre des Ökonomen Joseph Alois Schumpeter zu tun. Mitunter wurde unter dem Deckmantel der Treuhand auch die ungeliebte Konkurrenz ausgeschaltet. Erstmals erlebten die ehemaligen DDR-Bürger existenzielle Ängste, die sie sonst nur aus der Ferne, aus dem Fernsehen oder den Staatsbürgerkundebüchern kannten. Es war ein Jahrzehnt der Tränen und der Demütigung, eine Zeit, die den Ostdeutschen viel abverlangte. Ich war vier Jahre am Stück arbeitslos und kenne das Gefühl, nicht von der Gesellschaft gebraucht zu werden …
Als ehemaliger DDR-Bürgerrechtler bin ich entsetzt, wie spätestens seit Angela Merkels Regierungsantritt die Meinungsfreiheit auf dem Rückzug ist, ergebnisoffene Diskussion nicht mehr stattfinden, eine Spaltung der Gesellschaft betrieben wird und von der Bundesregierung ein Vokabular verwendet wird, das der Regierung der DDR zur Diskreditierung Andersdenkender gedient hatte. Nach der Bundestagswahl im Jahre 2017 erlebten die Ostdeutschen von den westdeutsch dominierten Leitmedien und der Politik massive Beschimpfungen, weil sie nicht so gewählt hatten, wie die Regierenden es sich wünschten. Das Niveau ihrer Kommentare zeigte auch, wie wenig diese über die „undankbaren Ossis“ wissen.
Als dann 2018 noch ein Buch über die Ostdeutschen herauskam, das von ARD und ZDF auffällig intensiv beworben wurde und das mich beim Lesen immer wieder den Kopf schütteln ließ, war der Punkt erreicht, an dem ich den Entschluss fasste, selbst ein Buch über die Ostdeutschen zu schreiben.
Das Bild über die Ostdeutschen befindet sich, wie das Piktogramm auf der Coverseite treffend darstellt, auf einer schiefen Ebene: Einerseits wird es von westdeutsch dominierten Medien und westdeutsch dominierter Politik geprägt. Andererseits wird von Autoren, die aus der ehemaligen DDR kommen, die Auseinandersetzung entweder polemisch oder mit ideologischen Scheuklappen geführt. Beides ist der Wahrheitsfindung nicht dienlich. Daher habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, genau diese Lücke zu schließen. „„Der Ostdeutsche, das unbekannte Wesen“, Band 1“ weiterlesen