Von Gastautor Peter Schewe
Was als ‚Political Correctness‘ begann, entwickelte sich dann im Laufe der Jahre zur ‚Cancelcultur‘, ebenso ein Begriff aus dem Englischen. Offenbar scheut man sich, derartige Entwicklungen mit deutschen Begriffen zu benennen, Sprechverbot hört sich ja auch nicht wirklich gut an. Was sagt nun aber unser Grundgesetz zu alledem?
Artikel 5:
(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugängigen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.
Soweit der Text, unverändert seit 1949 im Grundgesetz als eines der Grundrechte verankert.
Aber auch hier wiederum der Verweis auf „allgemeine Gesetze“, d.h. der Gesetzgeber kann mit einfacher Mehrheit auch dieses Recht auf freie Meinungsäußerung einschränken. Interessanterweise lesen wir dazu im Artikel 19 des GG folgendes:
„(1) Soweit nach diesem Grundgesetz Grundrechte durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muss das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten […].
(2) In keinem Fall darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.“
Was ist nun der Wesensgehalt der Meinungsfreiheit? Tasten ‚Cancelcultur‘ und ‚Political Correctness‘ diesen an? Ich meine schon. Denn wenn ich erst prüfen muss, ob das was ich sagen will auch politisch korrekt, also erlaubt ist oder sogar meine Existenz bedroht, ist der Wesensgehalt einer Meinungsfreiheit, das was das Wesen dieser Freiheit ausmacht, schon berührt, ergo angetastet.
Was lesen wir dazu im Artikel 9 der zeitgleich entstandenen DDR-Verfassung von 1949?
„(1) Alle Bürger haben das Recht, innerhalb der Schranken der für alle geltenden Gesetze ihre Meinung frei und öffentlich zu äußern und sich zu diesem Zweck friedlich und unbewaffnet zu versammeln. Diese Freiheit wird durch kein Dienst- oder Arbeitsverhältnis beschränkt; niemand darf benachteiligt werden, wenn er von diesem Recht Gebrauch macht.
(2) Eine Pressezensur findet nicht statt.“
Fast der gleiche Wortlaut, auch hier der Verweis auf durch Gesetze bestimmte Schranken, einen Artikel, der die Grundrecht nochmals besonders schützt, findet sich hingegen in dieser Verfassung nicht. Bemerkenswert die in beiden Verfassungen gewählte Formulierung „eine (Presse-) zensur findet nicht statt“, verboten ist sie also nicht, sie findet nur nicht statt.
In der 1968 geänderten Verfassung regelt der Artikel 27 die Meinungsfreiheit:
„ 1 Jeder Bürger der DDR hat das Recht, den Grundsätzen dieser Verfassung gemäß seine Meinung frei und öffentlich zu äußern. Dieses Recht wird durch kein Dienst- oder Arbeitsverhältnis eingeschränkt. Niemand darf benachteiligt werden, wenn er von diesem Recht Gebrauch macht.
2 Die Freiheit der Presse, des Rundfunks und des Fernsehens ist gewährleistet.“
Jetzt schränken die Grundsätze eben dieser Verfassung selbst das Recht auf Meinungsfreiheit ein. Auch das im Artikel 28 benannte Recht, sich friedlich zu versammeln, wird nur „im Rahmen der Grundsätze und Ziele der Verfassung“ gewährt.
Welche das waren, ist allgemein bekannt, sie sind im Kapitel 1 dieser Verfassung benannt: Die Schaffung eines sozialistischen Staates der Arbeiter und Bauern unter Führung der SED. Wer diese Ziele nicht unterstützte oder sich ihnen gar widersetzte, hatte jeglichen Anspruch auf freie Meinungsäußerung verwirkt und konnte strafrechtlich verfolgt werden.
Wir sehen, obwohl die Texte der Verfassung sich sehr ähnelten, sah die Wirklichkeit in Sachen Meinungsfreiheit in beiden Teilen Deutschlands doch sehr unterschiedlich aus, hier ein demokratisch verfasster Rechtsstaat, dort ein von einer Parteinomenklatura beherrschtes Unrechtssystem. Aber ein Recht auf Meinungsfreiheit ohne vom Gesetzgeber verfügte Einschränkungen finden wir in allen drei Verfassungen nicht.
Aber nun zurück in das Deutschland von heute.
An Sprech- und Auftrittsverboten mangelt es nicht und an vieles haben wir uns schon gewöhnt. Schritt für Schritt fanden Einschränkungen der Meinungsfreiheit Eingang in die Strafgesetzgebung. Die Liste verbotener Worte wird immer länger, nur kennen wir sie nicht. Es ist ins Belieben der Gesetzeshüter gestellt, welche Ausdrücke als ‚rechtsextrem‘ gelten. Eines der letzten war der wissenschaftlich gebräuchliche Begriff ‚Remigration‘, der nichts anderes bedeutet als Rückwanderung.
Dass Holocaustleugner, Hitlergrußzeiger, Hakenkreuzschmierer, Verwender von Parolen aus der Nazizeit sich strafrechtlich verantworten müssen, mag noch verständlich sein, aber dass jemand, der einen Mann, der sich zur Frau erklärt hat, nicht mehr an seine männliche Vergangenheit erinnert werden darf, weder in Anrede oder Namensnennung, oder dass jemand, der die Existenz von mehr als zwei biologischen Geschlechtern in Zweifel zieht, vor dem Kadi landet, zeigt uns, wohin die Reise gehen kann, wenn ein elementares Grundrecht einer Demokratie durch den Gesetzgeber eingehegt werden darf und erst mal die roten Linien eines Verfassungsgebotes überschritten sind.
Und nun das: Die Innenministerin verbietet eine Zeitung, lässt Redaktionsräume stürmen, Inventar und Vermögen beschlagnahmen. Ich kenne dieses Magazin ‚Compact‘ nicht, nicht seine Inhalte und Absichten. Ich weiß nur, dass es so ein Vorgehen bisher in der Bundesrepublik Deutschland noch nie gegeben hat (von der Spiegelaffäre 1962 vielleicht abgesehen). Selbst das linksradikale Blatt ‚Junge Welt‘, zu DDR-Zeiten das Zentralorgan der heute verbotenen FDJ, darf unbehelligt seine kruden, marxistisch-leninistischen Ansichten verbreiten.
Wir, die wir andere EU-Länder (Ungarn, Polen, Slowakei) wegen Einschränkungen der Pressefreiheit kritisieren und bestrafen, verfallen in die Methoden übelster Schurkenstaaten.
Wie verunsichert und in Panik verfallend müssen jene, die uns derzeit regieren sein, wenn sie sich durch ein Politmagazin, durch eine Gang rollatorfahrender Rentner oder durch private, zu Konferenzen hochstilisierte Treffen zeitkritischer Geister in ihrem Machtanspruch bedroht sehen.
Es ist ein besorgniserregendes Zeichen von totalitären Regimen, die immer ein Feindbild brauchen, um den Regierten Angst zu machen und zu zeigen, was passieren würde bzw. könnte, wenn sie ihrer Macht entledigt würden. In der DDR war es der allgegenwärtige, aber unsichtbare Klassenfeind, der Kapitalismus, Imperialismus, die Bonner Ultras.
Heute sind es die, die den Machtanspruch der sich selbst als etabliert ernannten Parteien in Frage stellen, die kritisch den Politikern auf die Finger schauen und die mutig Missstände im Lande anprangern, die, die ihre demokratischen Grundrechte einfordern, die ihnen mehr und mehr verweigert werden.
Alle Versuche, „rechtes“ Gedankengut zu verbieten, werden das Gegenteil bewirken. Trotz ist eine nicht zu unterschätzende Motivation politischen Handelns.
Übrigens: In allen drei der nach dem 2. Weltkrieg auf deutschem Boden entstandenen Verfassungen sind die Pressefreiheit und das Verbot einer Zensur durch keine Einschränkungsklausel relativiert, sie galten und gelten absolut. Offensichtlich ein Versehen ihrer Verfasser.
Dipl.-Ing. Peter Schewe
Regenstauf