Von Shoumojit Banerjee
In dieser Reihe untersuchen wir einige der hartnäckigsten Mythen rund um den arabisch-israelischen Konflikt, indem wir ihre historischen Wurzeln und politischen Folgen nachzeichnen.
Israel und seine Unzufriedenen – TEIL 1
Die Gründung Israels wird oft polemisch als brutale Landnahme diffamiert, aber die historischen Fakten erzählen eine andere Geschichte.
Ist Israel in Sünde geboren? Seit dem 7. Oktober 2023, als die Terrororganisation Hamas 1.200 israelische Zivilisten massakrierte, bis zum Mai 2025, wo die Regierung Benjamin Netanjahus die ‚Operation Rising Lion‘ gegen das islamische Regime in Iran lostrat, echot diese Frage immer schriller durch die sozialen Medien, hallt durch Eliteuniversitäten und weite Teile der ‚liberalen‘ Medien.
Begleitet wird das von einer Litanei vertrauter Anschuldigungen: Israel sei ein ‚Projekt kolonialer Siedler‘, begründet durch die ‚ethnische Säuberung‘ palästinensischer Muslime, das bis heute als schwer bewaffneter US-unterstützter Vorposten dient, der die Dominanz des Westens in Nahost aufrechterhält.
Die historische Wahrheit ist naturgemäß weit unbequemer als dieses Narrativ.
Ein guter Ausgangspunkt, um die zentrale Frage der schwierigen Entstehung Israels anzugehen, ist der Historikerstreit, der seit den 1980er Jahren um Gründungsmythen des Landes entbrannte, ausgelöst durch den ersten Libanonkrieg. Dieser akademische Zank war maßgeblich für das Entstehen der historischen Sichtweisen und die Lager, in die die Welt heute gespalten ist.
Auf der einen Seite der Debatte stand der Historiker Shabtai Teveth, ein Verfechter der traditionellen zionistischen Erzählung. Auf der anderen Seite fanden sich die sogenannten Neuen Historiker, allen voran Benny Morris und Avi Shlaim. Die stellten die Ansicht in Frage, dass die frühen Konflikte Israels rein defensiver Natur gewesen seien. Sie zogen Israels traditionelles Selbstbild als unschuldiger Zufluchtsort, von feindlichen Nachbarn bedrängt, ernsthaft in Zweifel.
Morris‘ 660-seitiges Meisterwerk „The Birth of the Palestinian Refugee Problem“ (1987) legte akribisch unangenehme Wahrheiten über die gewaltsame Vertreibung palästinensischer Muslime durch jüdische Milizen offen. Es ist bis heute ein Meilenstein der Literatur über die ‚Nakba‘ von 1948. Ebenso ist sein 2008 erschienenes Buch „1948: A History of the first Arab-Israeli War“ eine wegweisende Analyse dieses entscheidenden Moments.
Doch selbst Morris, der klügste und härteste Kritiker Israels, ist von der palästinensischen Führung desillusioniert. Nachdem er ein Leben lang miterlebt hat, wie palästinensische Führer in den Jahren 2000, 2001 und 2008 Friedensabkommen aufkündigten, kommt Morris zu dem Schluss, dass das Grundproblem nicht die Besatzung ist, sondern die Weigerung der Palästinenser, überhaupt irgendeinen jüdischen Staat anzuerkennen.
Die Geschichte der arabisch-israelischen Friedensverhandlungen ist gepflastert mit verpassten Chancen, und fast alle gehen aufs Konto der palästinensischen Seite.
1937 schlug die britische Peel-Kommission die erste Zwei-Staaten-Lösung vor. Sie hätte den Arabern etwa 80 Prozent des Landes und den Juden einen kleinen Streifen zugeteilt. Der Großmufti von Jerusalem – der notorische Haj Amin al-Husseini – und die arabische Führung lehnten dies rundweg ab. Stattdessen reagierten sie mit bewaffnetem Aufstand nicht nur gegen die Briten, sondern gegen jede Vision einer Koexistenz mit den Juden.
1947 verabschiedeten die Vereinten Nationen mit der Resolution 181 einen weiteren Teilungsplan. Diesmal wurden den Juden 55 Prozent des Landes angeboten, den Arabern 45 Prozent. Wieder reagierten die arabischen Führer mit Gewalt. Die Juden, so behaupteten sie, verdienten keinen Zentimeter Palästinas.
Trotz der arabischen Niederlagen 1967 und 1973 lehnte Jassir Arafat im Jahr 2000 und 2001 großzügige Angebote ab, die den Palästinensern einen Staat mit 95 Prozent der Westbank, dem gesamten Gazastreifen und einer Hauptstadt in Ostjerusalem gegeben hätten. Mahmud Abbas schlug 2008 einen fast identischen Vorschlag von Ehud Olmert aus.
Die heutigen antiisraelischen Narrative leben von Mythen. Das liegt entscheidend an al-Husseini, dem Großmufti von Jerusalem, dem ideologischen Architekten der frühesten und gewalttätigsten Formen des palästinensischen Verweigerungskurses.
1929 heizte al-Husseini die Spannungen um den Tempelberg an, indem er das Gerücht verbreitete, Juden wollten die Al-Aqsa-Moschee erobern – eine Lüge, die in der Ermordung von 67 Juden in Hebron gipfelte. Eine ähnliche Rolle spielte er während des arabischen Aufstands von 1936–39, der sich nicht bloß gegen Juden richtete, sondern vor allem gegen gemäßigte Araber, die zu Kompromissen bereit waren. Während des Zweiten Weltkriegs gelangte al-Husseini nach Berlin, wo er sich persönlich bei Hitler dafür einsetzte, jüdische Kinder an der Flucht ins Mandatsgebiet Palästina zu hindern, und half bei der Rekrutierung von SS-Einheiten unter bosnischen Muslimen, wodurch er den palästinensischen Nationalismus mit Antisemitismus in seiner virulentesten Form verband.
Dass al-Husseinis Aufstieg durch einen britischen Zionisten ermöglicht wurde, macht diese Episode doppelt ironisch. 1921 ernannte Herbert Samuel, der erste Hochkommissar für das Mandatsgebiet Palästina und selbst ein Befürworter des Zionismus, al-Husseini zum Großmufti, in der Hoffnung, damit die arabische Unruhe zu beschwichtigen und die muslimische Führung in die britische Verwaltung zu integrieren. Sein Missgriff sollte das Mandatsgebiet jahrzehntelang verfolgen.
1948, am Tag seiner Staatsgründung, griffen sämtliche Staaten der Arabische Liga Israel an. Das Ende des Krieges führte zu drei Flüchtlingsproblemen: Zwei davon wurden gelöst, eines, das palästinensische, schwelt weiter. Die erste Flucht palästinensischer Araber Ende 1947 und Anfang 1948 erfolgte inmitten eines Bürgerkriegs, nachdem die Araber den UN-Teilungsplan abgelehnt und jüdische Zivilisten gewaltsam angegriffen hatten.
Die Nakba, die ‚Katastrophe‘, die laut UN-Angaben zur Vertreibung oder Flucht von 710.000 bis 726.000 Menschen führte, ist in der Tat ein schmerzlicher Teil der palästinensischen Erinnerung. Heute sind 5 Millionen Menschen als Flüchtlinge bei der UN registriert. Doch die Darstellung, dass dies Ereignis das Ergebnis einer vorsätzlichen israelischen Kampagne zur ethnischen Säuberung war, die auf den ‚Plan Dalet‘ zurückging, ignoriert sowohl die Chronologie als auch die Kausalität. Denn der ‚Plan Dalet‘, im März 1948 von der jüdischen Miliz Haganah verabschiedet, war keine Blaupause für eine ethnische Säuberung, sondern ein militärischer Notfallplan zur Verteidigung jüdischer Gebiete, um Versorgungswege ins belagerte Jerusalem offen zu halten. Zwar kam es zu Übergriffen, am bekanntesten ist der Vorfall in Deir Yassin, aber es gibt keine Hinweise auf eine generelle Vertreibungspolitik.
Parallel jedoch mussten sich etwa 70.000 Juden aus dem Westjordanland, Ostjerusalem und arabischen Städten wie Hebron und Nablus zurückziehen, die allerdings zügig vom neu gegründeten Staat Israel absorbiert wurden.
Ein dritter, weit größerer und gewaltsamerer Exodus vollzog sich in den folgenden Jahren: Fast 850.000 Juden aus arabischen Ländern – dem Irak, Ägypten, Jemen, Marokko, Libyen und anderen Ländern – mussten wegen zunehmendem Antisemitismus, der Beschlagnahme ihres Eigentums und staatlich sanktionierter Einschüchterung ihre Heimat verlassen. Diese jüdischen Flüchtlinge wurden größtenteils in Israel angesiedelt. Im Gegensatz zu palästinensischen Flüchtlingen integrierten sie sich in das nationale Leben und wurden nicht in eine ererbte Opferrolle gedrängt.
Geht es um die Geburtswehen Israels, so verweisen die kritischen ‚neuen Historiker‘ um Avi Shlaim Kritiker seit langem auf die Strategie der ‚Eisernen Mauer‘ des russischen Zionisten Ze’ev Jabotinsky. Dessen Essay von 1923 dient ihnen als ‚Beweis‘ dafür, dass der Zionismus von vornherein aggressiv und kolonialistisch gewesen sei. Doch das ist eine Karikatur, die Jabotinskys Ideen aus dem Kontext reißen: Denn der bemerkte angesichts sich steigernder Feindseligkeiten gegen die jüdische Einwanderung (und, wie sich herausstellte, sehr vorausschauend), dass kein arabischer Führer jemals freiwillig eine nationale Heimstätte akzeptieren würde.
Seine ‚Eiserne Mauer‘ kein Aufruf zur Annexion von Gebieten oder Vertreibung der Araber, sondern eine nüchterne Doktrin, nach der echte Verhandlungen erst beginnen konnten, wenn die Araber verstanden hätten, dass die jüdische Gemeinschaft bleiben würde, und sie in der Lage sei, sich zu verteidigen. Jabotinsky war keineswegs ein Verweigerer. Er glaubte, dass politische Kompromisse folgen würden, sobald die jüdische Sicherheit gewährleistet sei. Er forderte ausdrücklich gleiche Rechte für Araber im zukünftigen jüdischen Staat und lehnte Vorstellungen ethnischer Überlegenheit ab.
Derweil variierte die Behandlung palästinensischer Flüchtlinge in der arabischen Welt erheblich. Während Jordanien ihnen die Staatsbürgerschaft und Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen gewährte, beschnitt der Libanon ihre Beschäftigungschancen, ihre Bewegungsfreiheit und ihre Eigentumsrechte. Damit sperrte er ganze Generationen in erbärmliche Lager. Syrien und Ägypten gewährten Palästinensern nur wenige Rechte und benutzten sie als Bauern auf dem diplomatischen Schachbrett.
Für viele arabische Regime diente das Aufrechterhalten des Flüchtlingselends nicht humanitären Zielen, sondern dem finsteren politischen Ehrgeiz, die Palästinafrage ungelöst zu halten und Israel dauerhaft zu delegitimieren.
Shoumojit Banerjee, Journalist mit 16 Jahren Berufserfahrung, begann seine Karriere bei der renommierten Tageszeitung The Hindu, wo er mit viel Talent gleichermaßen über nationale Politik und Kino berichtete. Heute ist er Chefredakteur bei The Perfect Voice, einer Start-up-Zeitung mit Sitz in Mumbai, wo er tagsüber die verworrenen Fäden der Geopolitik entwirrt und nach Feierabend als Zeitreisender durch die Weltkriege, die napoleonische Ära und die Ruinen der Maratha-Konföderation streift. Geschichte bleibt sein wahres Steckenpferd. Die Gegenwart sieht er nur als eine flüchtige Ablenkung.