Neunter Juli 1989
Bei den heftigen Diskussionen zwischen Reformbefürwortern und Reformgegnern auf der Tagung des Warschauer Paktes kam DDR-Staatschef Honecker die Galle hoch: Seine Koliken wurden so heftig, dass er vorzeitig aus Bukarest abreisen musste. Zuvor hatte er die Nacht in einem Bukarester Klinikum verbracht, dann aber entschieden, dass er sich lieber nicht auf die unsichere medizinische Versorgungslage in Ceaușescus Rumänien, wo einem Krankenhaus auch mal unvermittelt der Strom ausgehen konnte, verlassen will. Er lässt sich mit einer Sondermaschine ausfliegen, obwohl die Tagung noch nicht beendet ist.
Während auf der Warschauer-Pakt-Tagung weiter diskutiert wird, brechen in der Moldauischen Sowjetrepublik Nationalitätenunruhen aus. Alles wartet gespannt auf Gorbatschows Reaktion. Der überlässt die Befriedung den dortigen Genossen. Er wird erst später in Litauen aktiv werden, kann aber die Unabhängigkeit des Landes nicht verhindern.
In Leipzig findet der Kirchentag der sächsischen Landeskirche satt. Auf politische Themen will die Kirchenleitung verzichten. Das wollen die Basisgruppen nicht hinnehmen. Sie veranstalten in der
Lukaskirche einen Statt-Kirchentag, an dem 2500 Menschen, Oppositionelle aus der ganzen DDR, teilnehmen.
Nach dem Abschlussgottesdienst auf der Rennbahn formierte sich spontan ein Demonstrationszug gegen Wahlbetrug und für Demokratie. Die Stasi musste sich auf Beobachtung beschränken, es waren zu viele Westjournalisten anwesend. Eines Der mitgeführten Transparente fanden die Tschekisten besonders gefährlich: „Demokratie“ stand darauf, in Deutsch und Chinesisch – als Protest gegen die blutige Niederschlagung der Studentenproteste in Peking. In einem Überraschungsangriff rissen Stasileute das Transparent an sich und flüchteten damit in die Straßenbahn.