Der Palast der Republik als Symbol der Unbelehrbaren

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Als gestern Abend vor dem Haus der Berliner Festspiele weißer Rauch aufstieg und sich in der Glasfassade im Abendlicht die Bäume widerspiegelten, erinnerte das tatsächlich an das zu Recht untergegangene Prestigeobjekt der SED, an dessen Schmalseite sich einst im Abendlicht der gegenüberliegende Berliner Dom gespiegelt hat.

Das war das Schönste an diesem Gebäude, das alles das nicht war, was der Festspielintendant Thomas Oberender ihm im Programmheft nachsagt: Überaus populär, ein Symbol der Weltoffenheit und Modernität. Es soll nach Oberender von 1976 bis 1990 über 70 Millionen Gäste gezählt haben. Hat sich niemand von den Verantwortlichen die Mühe gemacht zu zählen, wie viel Besucher pro Tag das gewesen sein müssten, selbst wenn man die häufigen Schließungen zugunsten von Feierlichkeiten der verschiedenen Funktionärsgruppen: Partei, Gewerkschaften, Armee, FDJ, Staatssicherheit, Staatsempfänge usw. nicht berücksichtigt? In den letzten Jahren hatte die Gedenkstätte Hohenschönhausen auf einem wesentlich größeren Gelände 340.000 Besucher jährlich. Da war es schon schwierig, alle unterzubringen. Selbst 7 Millionen Besucher hätten den Palast gesprengt. Ich war vergleichsweise häufig dort und habe ihn oft sehr leer erlebt. Auf einen Termin für die Bowlingbahn musste man in der Anfangszeit zwei Jahre warten.

Und welche Weltoffenheit meint Oberender, wo doch einen Kilometer entfernt die Welt für die Mehrheit der DDR-Bevölkerung aufhörte?

Nun soll der „Wiederaufbau“ dieser SED-Schimäre ein „Empowerment Ost“, die Freilegung des aktiven und prospektiven Potentials “ der Bürgerbewegung symbolisieren? Die Auswahl der Referenten allerdings spricht eine andere Sprache. Es kommen fast ausschließlich Linke zu Wort, die ein verklärtes Licht auf den Kommunismus und die DDR werfen. Da kann es nur schief gehen. Vom Palast ging am 7. Oktober 1989 eine der schlimmsten Prügelattacken gegen die Bürgerbewegung aus, geleitet von Stasichef Mielke persönlich. Der Palast war nie ein „Volkspalast“, sondern ein Symbol der Unbelehrbarkeit der SED-Herrschenden. Sein Wiederaufbau ist kein zukunftsweisendes, sondern ein rückwärts gewandtes Projekt. Ein Projekt des Geschichtsrevisionismus und der Unbelehrbarkeit der Kulturmarxisten.

Das Publikum entstammte übrigens fast ausschließlich der Westberliner Kulturschickeria. Das Interesse der Ostberliner hielt sich in engsten Grenzen. Es seien, so versicherte mir Protokollchefin Gerhild Heyder, mehrere ostdeutsche Bürgerrechtsgruppen eingeladen worden. Vielleicht ist das Bild in den kommenden zwei Tagen da etwas aufgelockerter.

Die erste große Veranstaltung „Verfasst Euch!“ bestätigte leider alle Befürchtungen. Keynote-Speakerin Susan Buck-Mross hielt einen Endlosvortrag, in dem sie mit immer neuen Beispielen ihren linken Tunnelblick demonstrierte. Sie sollte die Friedliche Revolution 1989 in „einen globalen Kontext“ stellen. Der sah so aus, dass sie ihre Begeisterung für die kommunistischen Revolutionen in Russland und China bekundete, die ihrer Meinung nach siegreich waren, weil sie „den Bedürfnissen der Bevölkerung“ entsprochen hätten. Über den sofort einsetzenden Terror zur Festigung der Macht verlor sie kein Wort.

Als Beweis der durch den Oktoberputsch ausgelösten Innovation und künstlerischer Kreativität präsentierte sie Bilder von Werken der Avantgarde der 20er Jahre, ohne ein einziges Wort über das bittere Schicksal der Avantgardisten zu verlieren, die vor den Erschießungskommandos oder im Gulag landeten. Wenn sie Glück hatten konnten sie emigrieren.

Grotesk wurde es, als Buck-Mross das Foto einer abstrakten Marx-Skulptur präsentierte und sich wunderte, dass ihre russischen Gesprächspartner nicht einmal wussten, dass es diesen Entwurf gegeben hatte. Warum das so war – diese Frage hat sie sich offensichtlich nie gestellt. Die Antwort könnte sie verunsichert haben. Statt dessen zeigte sie ein sozialistisches Marxporträt, das über ihrem eigenen Spießer-Sofa hängt, was angeblich typisch dafür sein soll, was so in bürgerlichen Haushalten zu finden ist. An dieser Stelle fiel mir der Amerikanische Pulitzer-Preisträger Walter Duranty ein, der es fertig gebracht hatte, die Ukraine auf dem Höhepunkt der von Stalin befohlenen Aushungerung von Millionen Bauernfamilien zu bereisen und die Berichte über diese Hungersnot für westliche Propaganda zu erklären. Bis heute wird diskutiert, ob Duranty sich täuschen ließ oder log.

Buck-Mross zog eine gerade Linie von der iranischen Revolution von Khomeini bis in die Gegenwart. Dabei zeigte sie ein Foto von einer Kopftuchfrau in aggressiver Pose. Es sei am Frauentag aufgenommen worden, was das Publikum mit Beifall quittierte. Niemandem außer uns schien aufgefallen zu sein, dass außer der Dame im Vordergrund nur Männer zu sehen waren. Noch unappetitlicher wurde es, als eine palästinensische Anti-Israel-Demo als progressives Beispiel vorgeführt wurde.

Ein Freund kommentierte: „Alles hat sein Gutes. Diese US-Dame zeigt mit ihrem Exkurs von Marx, Hegel über Lenin, Stalin sowjetische Kunst, dem grün-queeren Feminismus bis hin zu den Palästinensern, dass das im Kern alles die gleiche totalitäre Scheiße ist.“ Besser kann ich es nicht zusammenfassen.

Das Co-Referat von Boris Boden bewegte sich auf ähnlichem Niveau. Er plädierte für die Suche nach Gemeinsamkeiten zwischen Kommunismus und westlichen Demokratien. Dabei bemühte er ausgerechnet das Beispiel von Magnitogorsk, weltgrößtes Stahlwerk, das im Zuge der stalinistischen Industrialisierung errichtet wurde und an dem amerikanische Ingenieure beteiligt waren. Welche Opfer die stalinistische Knochenmühle unter den freien und den Zwangsarbeitern gekostet hat, war Boden keine Erwähnung wert. Wie die Arbeiter dort vegetiert haben, wo die Familien sich in den Massenbaracken nur durch aufgehängte Tücher etwas Privatsphäre sichern konnten, auch nicht.

Wohltuend abgehoben hat sich der Bericht von Bernhard Schlink über die Entstehung des Verfassungsentwurfs des Runden Tisches. Dagegen scheint der Referentin Elske Rosenfeld nicht klar gewesen zu sein, dass die Treuhand eine Gründung der letzten SED-Regierung Modrow war, um den Plan der Bürgerbewegung zu konterkarieren, das „Volkseigentum“ der DDR mittels Anteilscheinen unter der Bevölkerung zu verteilen.

Zum Schluss sprach Almuth Berger, Ausländerbeauftragte der Modrow- und de Maizière-Regierung, später Ausländerbeauftragte des Landes Brandenburg. Sie verlieh der Legende von der angeblichen Ausländerfeindlichkeit der DDR-Bewohner neue Legitimation, während sie über die wirklichen Ausländerfeinde, die SED-Funktionäre, kein Wort verlor.

Ich habe in einer DDR gelebt, in der Ausländer begehrte Gesprächs- und andere Partner waren. Man hatte das Gefühl, dem Eingesperrtsein etwas entronnen zu sein, wenn man jemanden hatte, der von draußen kam. Hatte man einen ausländischen Ehepartner an Land gezogen, war es, als hätte man einen Sechser im Lotto gewonnen. Man durfte raus aus der DDR! Entweder besuchsweise, oder für immer. Da hatten Westler Heiratschancen, die auf dem heimischen Markt abgehängt waren.

Die Ausländerfeinde waren die SED-Funktionäre. Gastarbeiter lebten in streng abgetrennten Wohnblocks. Kontakte zu den Einheimischen waren nicht erwünscht. Wo sie nicht unterbunden werden konnten, gab es Schwierigkeiten für beide Seiten.

Erst die Bürgerrechtsbewegung griff diese Probleme auf. Wir versuchten die Öffentlichkeit z. B. über den Skandal zu informieren, dass vietnamesische Vertragsarbeiterinnen, die schwanger wurden, zu Abtreibungen gezwungen waren, oder nach Hause geschickt wurden, wo sie ein Leben als Aussätzige führen mussten.

Wie wenig Kontakte gewünscht wurden, selbst wenn es sich um junge Leute aus den sozialistischen Bruderländern handelte, erfuhr ich als Studentin im ersten Studienjahr in Leipzig. Dort wurden junge Ungarn ausgebildet. Sie wohnten am Hauptbahnhof in der Gerberstraße. Ich war gerade wieder einmal zu Besuch, als die Volkspolizei die Einrichtung regelrecht überfiel. Auch ich wurde mitgenommen. Obwohl ich in der Küche „erwischt“ worden war, wo eine Freundin mir gerade beigebracht hatte, wie man Paprikahuhn zubereitet, wurde ich auf dem Revier behandelt wie eine Nutte. Zwei Tage später machte man mir auf der Sektionsleitung klar, dass ich mein Studium vergessen könne, wenn ich noch einmal in der Gerberstraße aufgegriffen würde.

Statt also die wirkliche Ausländerfeindlichkeit in der DDR anzusprechen, denunziert Frau Berger ihre Landsleute. Dieselbe Frau, die meint, ein ausländerfeindliches Klima in der DDR behaupten zu müssen, hat übrigens als Ausländerbeauftragte dafür gesorgt, dass über 100 000 sowjetische Juden Anfang der 90er Jahre einwandern konnten. Wenn die Stimmung so ausländerfeindlich war, warum verlief diese Einwanderung problemlos?

Von Empowerment Ost, die durch den Wiederaufbau des Palastes der Republik erreicht werden soll, kann also nicht die Rede sein. Von der befürchteten Geschichtsklitterung schon.



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