Paul Collier hält Robert Habeck den Spiegel vors Gesicht

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Robert Habeck ist ein typischer Vertreter der neuen urbanen „Elite“, die sich seit den 80er Jahren in allen westlichen Staaten herausgebildet hat und die dabei ist, die Nachriegsordnung, die uns eine lange Periode des Friedens, des wachsenden Wohlstands und der Annäherung der sozialen Schichten gebracht hat, zu demontieren.

Im angelsächsischen Raum wird diese selbsternannte Avantgarde WEIRD genannt: westlich, gebildet, industriell, reich, entwickelt (western, educated, industrial, rich, developed). Das bedeutet seltsam oder auch irre. Wie diese Irren es geschafft haben, den Aufbau einer ethischen Welt, der nach 1945 von klugen, pragmatischen Politikern erfolgreich in Angriff genommen wurde, umzukehren, ist Gegenstand des neuen Buches des Ökonomen Paul Collier „Sozialer Kapitalismus“, das gestern vom Autor des Siedler-Verlages im Berliner Ensemble vorgestellt wurde. Als Sparringspartner hatte der Verlag den Co-Vorsitzenden der Grünen Robert Habeck eingeladen.

Da ich das Buch von Collier schon kannte, war ich sehr gespannt, wie Habeck agieren würde.
Das meiste von dem, was Collier als Heilmittel für unsere aus den Fugen geratene Welt empfiehlt, muss auf Habeck wie ein rotes Tuch wirken. Collier sieht den Wiederaufbau einer ethischen Welt um drei Kernpunkte: Familie, Unternehmen und Nation. Das ist das Gegenteil dessen, was grüne Politik ist. Die Grünen befürworten den paternalistischen Staat, der bis ins Privateste den Bürgern, die nicht mehr als solche angesehen werden, vorschreibt, was sie zu tun und zu lassen haben. Die Wirtschaft soll maximal staatlich gelenkt und die Nation ganz abgeschafft werden. Wie egal ihnen die Folgen dieser Ideologie sind, die sich als Politik verkleidet, erkennt man an dem abschätzigen Begriff „Abgehängte“, der sich schon so verfestigt hat, dass selbst Collier ihn übernehmen musste.

Wie wenig die Habecks bereit sind, über Argumente nachzudenken, hat der grüne Co-Vorsitzende gestern Abend demonstriert. Schon in seinem ersten Statement räumte er zwar zu Beginn ein, dass er, wie Collier für höhere Steuern wäre, um sich dann nur noch der Verteidigung der WEIRDs zu widmen. Er verstünde nicht, warum Collier in den urbanen Eliten ein Problem sähe. Diese Frage stellte er den ganzen Abend in unterschiedlichster Form immer wieder. Dabei kam es auch zu dem Lapsus, wieso die urbanen Eliten besteuert werden sollten. Oder er erwiderte auf einen Einwand Colliers, die Politik wäre nicht dazu da, Emotionen zu schüren oder den Menschen Vorschriften zu machen. Dabei sind es die Grünen, die kontinuierlich Emotionen wie Angst schüren und die Bürger mit immer neuen Verboten und Vorschriften gängeln, wie die Dieselfahrer aktuell leidvoll erfahren müssen.
Was Collier denn an Mobilität falsch fände? Dabei verkrampfte sich Habecks Körperhaltung immer mehr. Der Mann ist es sichtbar nicht mehr gewöhnt, Widerspruch auszuhalten. Das Dauerhofieren durch unsere Qualitätsmedien hat offensichtlich fatale Folgen. Collier bleib entspannt und von feinem britischen Humor.

Die „Eliten“ würden Bürger zu reinen Konsumenten machen. Sie würden Menschen entwurzeln und damit ihrer Identität berauben. Menschen würden nicht das Bedürfnis haben, ständig umherzuziehen. Was die „Elite“ als Freiheit deklariere, wäre in Wirklichkeit Egoismus. Wenn es in den Metropolen mehr rumänische Ärzte gäbe, als in Rumänien, wäre das für die urbanen Eliten von klarem Vorteil. Wenn in Rumänien ein Kind erkrankt und mangels Arzt nicht behandelt werden kann, ist das die fatale Kehrseite des elitären Egoismus, der sich in den westlichen Staaten breit gemacht hat.

Deutschland vollziehe seinen Atomausstieg auf dem Rücken Afrikas, Claude Juncker, der jetzige EU-Kommissionspräsident habe als Premier in Luxemburg ein System der Steuerhinterziehung, der Steuerhintertreibung oder der Steuervermeidung zulasten anderer europäischer Staaten gefördert, waren weitere Beispiele für staatlichen Egoismus.

Dafür bekam Collier viel Beifall. Die Zustimmung für Habeck, wenn er wiederholt für eine „europäische Identität“ und für „globale Lösungen“ plädierte, war erheblich geringer, obwohl das Publikum zu Beginn vom Moderator als Vertreter der „urbanen Eliten“ begrüßt worden war.

Sollte tatsächlich, in Anbetracht der fatalen Folgen der WEIRD-Ideologie ein Umdenken stattfinden?
Collier plädiert nachdrücklich dafür:

„In Anbetracht der neuen Ängste sollte es offensichtlich sein, dass die größte wirtschaftliche Gefahr von der neuen, sich immer weiter öffnenden Wohlstandsschere zwischen Großstadt und Land sowie Hoch- und Geringqualifizierten ausgeht. Angesichts des Aufstiegs extremistischer religiöser und ideologischer Identitäten sollte es offensichtlich sein, dass die größte soziale Bedrohung von der Zersplitterung antagonistischer Identitäten ausgeht, die durch die Echokammern der Social Media aufrechterhalten werden […] Dadurch, dass die Liberalen das gesellschaftliche Wirgefühl und den gutartigen Patriotismus, den es fördern kann, als irrelevant abtun, verzichten sie auf die einzige Kraft, die in der Lage ist, unsere Gesellschaft hinter erfolgversprechenden Lösungen zu vereinen. Unabsichtlich und leichtfertig haben sie sie den Scharlatanen der Extreme überlassen, die sie händereibend für ihre eigenen wahnwitzigen Ziele einsetzen. Wir können es besser. Wir haben es schon einmal getan, und wir können es wieder tun.“

 

Paul Collier, Sozialer Kapitalismus! Mein Manifest gegen den Zerfall der Gesellschaft, Siedler 2019



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