Die ewig skeptischen Ostdeutschen und die Kohle-Frage

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Von Gastautor Olaf Lorke

Deutschland ist zwar nicht Handball-Weltmeister. Aber Umfrage-Weltmeister. Es vergeht kaum ein Tag, ohne dass Ergebnisse irgendwelcher Umfragen durch die Medien geistern. Im krassen Gegensatz dazu gibt es hierzulande keine Volksentscheide und das wird sich auch nicht ändern.

Aus meiner Sicht lenken und beeinflussen politische Umfragen die Wählerschaft durchaus. So seriös sie auch durchgeführt werden: Es kommt immer auf die Fragestellung an.

Die Zeitungsmeldung über eine Umfrage ließ kürzlich aufhorchen: Nur noch 69 % der Ostdeutschen (einschließlich der Berliner, das ist zu beachten) befürworten die Energiewende! Die Ostdeutschen sind unzufrieden mit dem Management bei der Umsetzung der Energiewende, nur noch 43 % der Bürger im Osten glauben an einen Erfolg (2016 waren es noch 50%). Die Landbewohner sind dabei skeptischer als die Städter. Siehe hier.

Leute im Osten, seid ihr denn nie mit irgendwas zufrieden? Müsst ihr denn immer an allem herummäkeln, was unsere Regierung so beschließt? Nun auch noch an der Energiewende und am Kohleausstieg? Könnt ihr denn nicht mal brav sein, so wie es sich für ein gutes und dankbares Volk gehört?

Nun mal im Ernst. Es ist kein Wunder, dass die Menschen auch und gerade bei einem so hoch emotional diskutierten Thema wie der Energiewende oder dem Kohle-Ausstieg skeptisch sind. Sie misstrauen der Kompetenz unserer Regierung auch auf diesem Feld zutiefst.

Vorgestern gab es einen weiteren Bericht in der sächsischen Presse. Es ging um den Zeitplan für den Kohleausstieg, den die so genannte Kohlekommission erarbeiten soll. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) scheint hier eine vernünftige Meinung zu haben: „Man kann nicht gleichzeitig aus der Atomenergie und aus der Kohleverstromung aussteigen. […] die Rahmenvereinbarungen und Abbaubetriebspläne gingen bis in die 40er Jahre hinein.“ Es geht um Hilfe und Ausgleichszahlungen für Kohle-Beschäftigte, Investitionen in die betroffenen Regionen, Entschädigungen für die Betreiber, vernünftige Strompreise usw.

Dass Herr Kretschmer sich jetzt besonders der Sorgen der betroffenen Menschen in Sachsen annimmt, hat natürlich auch damit zu tun, dass er mittlerweile im Wahlkampf für die CDU steht.

Unterstützung bekam Herr Kretschmer vom Vize-Chef des Dresdner ifo-Institut-Ablegers. Auch dieser befürwortet einen langsamen Ausstieg. Es wäre „klimapolitisch kurzsichtig“, in Ostdeutschland moderne Kraftwerke abzuschalten und Strom von veralteten Anlagen in Polen oder Tschechien zu beziehen.

Es lohnt sich übrigens, den Vortrag „Wieviel Zappelstrom verträgt das Netz?“ von Prof. Hans-Werner Sinn, dem ehemaligen Präsidenten des oben genannten ifo-Institutes, anzuhören. Der Titel klingt, als würde es nur um den Strom aus den erneuerbaren Energien gehen. Nein, Herr Prof. Sinn gibt einen umfassenden Überblick über die Energiewende. Er weist beispielsweise darauf hin, dass die Energiewende NUR über Pufferung durch Doppelstrukturen in einer Übergangszeit gelingen kann! Wegen seiner Ansichten, z.B. zu Speichertechnologien, wurde und wird er ja teilweise heftig kritisiert.

Wir schauen einmal näher hin. Was bewegt die Menschen im Osten bezüglich dieses Themas? Warum sind sie so skeptisch?

Die Zweifel an dem von der Politik verfolgten Kurs sind bei vielen Menschen ein „Bauchgefühl“. Die Materie ist technisch wie auch wirtschaftlich sehr komplex [1] .
Die Menschen spüren, dass offenbar nicht auf Fachleute gehört wird, sondern dass hierzulande politische Ideologen das Sagen haben.
Weiterhin befürchten die Bürger, dass ihnen die finanziellen Lasten der Energiewende aufgebürdet werden. Schon jetzt hat Deutschland die zweithöchsten Strompreise in Europa. Das Ganze muss also bezahlbar bleiben. Sie befürchten weiterhin beispielsweise, dass sie bei der „Verspargelung“ der Landschaft durch Windräder nicht gefragt und einbezogen werden. Und es gibt noch mehr Dinge, auf die ich hier nicht näher eingehen möchte.

Um nicht missverstanden zu werden: Der Ausbau so genannter erneuerbarer Energien aus Sonne, Wind, Biomasse usw. ist zu begrüßen! Vielleicht blickt die Menschheit ja in 100 Jahren auf das 21.Jahrhundert zurück als einen Zeitraum, in dem im Prinzip allein aus Sonnenenergie, die ja „unendlich zur Verfügung steht“, die Energieversorgung gerettet wurde. Zum Beispiel durch riesige Solar-Felder, virtuelle Kraftwerke, intelligente Öko-Strom-Netzwerke, Demand Side Management (Achtung: Planwirtschaft!), Wasserstoff- und Methanspeicher, gigantische Batteriespeicher, Wärmepumpen zur Gebäudeheizung usw. Es könnte ja sein, dass die Grünen-Chefin Annalena Baerbock einst recht behält mit der Behauptung, Strom ließe sich im Netz speichern (natürlich nicht im Wechselstrom-Netz, aber das wird Annalena vermutlich nicht wissen).

Vieles ist möglich. Wir sollten uns aber nicht auf Technologien verlassen, die es großtechnisch noch gar nicht gibt oder die einen schlechten Wirkungsgrad haben. Denn die Energiewende soll JETZT vollzogen werden!

Die Energiewende hat viele Facetten. Meistens konzentriert sich die Diskussion jedoch auf die “Stromwende“, da sich das politisch am einfachsten verpacken lässt.

An dieser Stelle soll es heute nur um den Kohle-Ausstieg gehen. Ein Drittel des verbrauchten Stromes kommt aus Kohlekraftwerken. Die Kohle selbst wird zu drei Viertel zur Stromerzeugung verwendet (ca. 180 TWh, [2]). Der größte Teil des Restes wird für die Stahlherstellung gebraucht.

Braunkohlekraftwerke decken (im Moment noch neben den Kernkraftwerken) den Grundlastbedarf ab (2014 war das eine verfügbare Leistung von 35.000 MW).
Steinkohlekraftwerke sind für die Mittellast zuständig, ebenso wie die Gaskraftwerke, die auch den Spitzenbedarf abdecken. In den Verbrauchsspitzen kommen dann noch die Pumpspeicherwerke zum Einsatz.

Seit Jahren kommen die erneuerbaren Energien dazu, also Photovoltaik und Windstrom (Biogas-Kraftwerke werden vermutlich in Zukunft keine wachsende Rolle spielen). Der volatil daherkommende Öko-Strom wird bevorzugt eingespeist, was hohe Anforderungen an die Regelung der konventionellen Kraftwerke stellt.

Steinkohle

Dass die Steinkohle-Förderung in Deutschland Ende 2018 eingestellt wurde, halte ich für eine vernünftige Entscheidung und der Strukturwandel im Ruhrgebiet scheint einigermaßen seicht über die Bühne zu gehen, auch wenn es Betroffene vielleicht etwas anders sehen.
Zur Stromerzeugung betreiben wir in Deutschland weit über 60 Steinkohle-Kraftwerke und importieren die Kohle nun also zu 100%! Zum Beispiel aus Kolumbien oder den USA. Über die dortigen Abbau-Bedingungen schweigen sich die Energiekonzerne gerne aus.
Zur Stahlherstellung ist die Steinkohle aus heutiger Sicht unverzichtbar. Nach meinem Wissen ist bisher nicht klar, wie die Stahlerzeugung bei einem Kohleausstieg in Deutschland erfolgen soll.

Einheimische Braunkohle

Ich selbst bin in einer typischen Braunkohleregion der DDR aufgewachsen. Nahezu alles im Dorf war irgendwie mit der Kohle verbunden. Eine Landschaft „zum Verlieben“ war das nicht. Aber es ging so und nur so. Die Genossen haben alles aus der Kohle herausgeholt, was möglich war. Die Braunkohle hielt die DDR am Laufen.

Die DDR war weltweit Spitzenreiter in der Braunkohleförderung! In der Hoch-Zeit förderte man 300 Millionen Tonnen Braunkohle pro Jahr!

Im heutigen Deutschland fördert man immerhin noch 170 Millionen Tonnen, noch gut 20.000 Menschen sind in der Braunkohle beschäftigt. Aber wer weiß eigentlich, wie gigantisch die Braunkohlvorkommen in Deutschland sind? Halbwegs wirtschaftlich könnte man sage und schreibe 40 Milliarden Tonnen schürfen! Siehe hier.

Wir könnten mit einheimischer Braunkohle noch über mehrere Generationen all unsere Energieprobleme und bestimmte Veredlungsprozesse klären. Deutschland könnte sich zurücklehnen und zu den anderen sagen: Nun macht mal los mit euren erneuerbaren Energien.

Das geht natürlich nicht. Deutschland ist Vorreiter in der Welt und kann die eigenen Klimaschutzziele bis 2030 bzw. 2040 NUR durch den geplanten Kohleausstieg schaffen. Vor allem Braunkohle ist nachgewiesenermaßen der Haupt-Verursacher des CO2-Ausstoßes.

Anmerkung: Man könnte ja in Frage stellen, ob das von Menschen erzeugte CO2 überhaupt verantwortlich ist für den Klimawandel. Das tue ich ausdrücklich nicht. Niemand kann das Gegenteil beweisen. Die Mehrzahl der Wissenschaftler wird wohl recht haben.

Die „Dekarbonisierung“

Ganz aktuell: Die Kohlekommission der Regierung hat sich gestern auf einen Kohleausstieg bis 2038 verständigt. Bis spätestens dahin soll es keine Stromerzeugung mehr aus Kohle geben. Drei Gigawatt Braunkohle, zunächst im Westen, sollen bereits 2022 vom Netz gehen – wie auch die Atomkraftwerke. Bis 2030 soll die Kohle-Leistung halbiert werden.

Man hat sich also entschieden, die Kohle weitestgehend dort zu lassen wo sie ist und diesen Energieträger nur noch als Übergangslösung zu sehen. Die Politiker müssen diesen Schritt, den man als durchaus mutig bezeichnen kann, umsetzen.

Wo also kommt ab dem Jahr 2038 unser Strom her? Glaubt hier jemand, dass dann der komplette Energiebedarf durch erneuerbare Energien abgedeckt werden kann? Die Rolle der Kohlekraftwerke können zunächst nur Gaskraftwerke übernehmen, die einen geringeren CO2-Ausstoß haben, aber auch teuer sind. Momentan sind das 45 Gigawatt.

Die Dekarbonisierung der deutschen Wirtschaft ist ein hehres Ziel. Ich möchte aber folgendes zu denken geben:

Deutschland hat nur einen winzigen Anteil am weltweiten CO2-Ausstoß. Auch aufgrund des Emissionshandels gilt: Was WIR nicht verbrennen, verbrennen andere. Was wir nicht emittieren, emittieren andere (siehe Prof. Sinn). Man darf nicht übersehen, dass gegenwärtig überall, z.B. in China, aber auch in Osteuropa, neue Kohlekraftwerke gebaut werden. Das hängt auch mit der teilweise quotierten massiven Einführung der Elektromobilität zusammen.

Schluss mit Ideologie

Man hofft, dass die Entscheidung der Kohlekommission einen guten Kompromiss darstellt. Vielleicht beginnt nun auch einmal ein Umdenken bei den Grünen, die am liebsten heute als morgen sowohl aus der Atomkraft als auch aus der Kohle aussteigen wollen und keinen Schritt weiter denken. Sie müssen sich klar machen, dass der Zeitraum des Übergangs von fossilen zu erneuerbaren Energieträgern nicht innerhalb weniger Jahre zu schaffen ist. Sie müssen aufhören, „Aktivisten“ zu spielen, auf Bäume zu klettern und unsere Jugend kirre zu machen.

Diese Partei müsste eigentlich die besten Kompetenzen in den Bereichen Natur, Umweltschutz und Energieversorgung haben. Weit gefehlt! Hört man sich die Aussagen führender Grünen-Politiker(innen) gerade zur Energiewende an, kann man nur den Kopf schütteln.

Liebe Ostdeutsche! Ihr könnt in diesem Jahr von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen. Schaut genau hin, wer welche Ziele verfolgt und welche Wirkung diese für unser Land und jeden Einzelnen entfalten können. Da reichen nicht „coole“ Spitzen-Leute, die offenbar „ziehen“. Registriert aufmerksam, was sie bezüglich der Energiewende von sich geben. Es geht eben nicht nur um Migrationspolitik oder die nahezu sichere Ablehnung der Festlegung sicherer Herkunftsstaaten im Bundesrat. Auch bezüglich der Energiewende müssen die Grünen an ihren Zielen und den Folgen gemessen werden. Die Grünen sind in einer sehr bequemen Position. Sie sitzen in der Opposition, lenken aber eine Kanzlerin und bestimmen, was hierzulande gemacht wird und was gesagt werden kann.

Zum Abschluss noch ein dazu passendes Zitat:

„Die Energiewende […] weckt den Anschein […] als könne der gigantische Energieverbrauch, den sich die Menschheit in Zeiten fossilen und atomaren Überflusses angewöhnt hat, eins zu eins durch die Erneuerbaren abgedeckt werden […] Das ist ein Trugbild, an das vor allem die meist grünen oder grün angehauchten Wählerschichten in den großen Städten glauben, die sich mit ihrem Ökostrom-Abo ein gutes Gewissen kaufen […]“ [3]


[1] M. Limburg, Strom ist nicht gleich Strom, Jena: TvR Medienverlag, 2015.
[2] T. Unnerstall, Energiewende verstehen, Berlin: Springer-Verlag, 2018.
[3] G. Etscheit, Geopferte Landschaften, München: Heyne-Verlag, 2016.



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