GCM: Der Fluch der guten Tat

Veröffentlicht am

von Gastautor Roger Letsch
zuerst erschienen auf dessen Blog unbesorgt.de

Eines der erklärten Ziele des Global Compact for Migration ist es, zur „Verminderung der Migrationsursachen“ beizutragen. Migrationsursachen, nicht Fluchtursachen! Auch wenn beides im Verlauf des Dokumentes immer mehr zu einem glatten Teig zusammengerührt wird. Es geht im GCM also eigentlich nicht um Krieg, politische oder religiöse Verfolgung oder ethnische Konflikte, sondern um die individuelle Suche nach einem besseren Leben – und wer wollte anzweifeln, dass dieses Streben ein legitimes Anliegen ist. Auf die zu bekämpfenden Migrations-Ursachen möchte ich nachfolgend etwas näher eingehen und zeigen, dass die UN-Pläne, die im GCM niedergeschrieben sind, schon unter diesem Aspekt entweder absurd oder schreiend naiv sind. Wahrscheinlich sogar beides.

Ein sehr lesenswerter Artikel von Stefan Aust für Welt+ zitiert zum Beispiel den UN-Generalsekretär António Guterres mit den Worten: „Migranten, denen legale Einreisemöglichkeiten verwehrt werden, greifen unweigerlich auf illegale Methoden zurück. Legale Einreise zu ermöglichen, ist der beste Weg, das Stigma der Illegalität und des Missbrauchs von Migranten zu beenden.“ Eine Logik, deren innewohnende Naivität erst deutlich wird, wendet man sie auf andere nicht vorhandene Ursache-Wirkung-Dualismen an: Wem der Zugang zum Medizinstudium verwehrt wird, der muss eben Prof. Dr. Hochstapler werden, eine abgeschlossene Haustür lässt harmlose Passanten zu Einbrechern mutieren und mangelnde legale Möglichkeiten, Steuern zu zahlen, sorgen für Steuerhinterziehung. Solche Äußerungen von UN-Gremien verdienen mindestens die Fields-Medaille – für mathematische Originalität. Leider ist die Sache weniger lustig, wenn man die Folgen bedenkt.

Ein paar Fragen zur Migration und deren Ursachen

Auch wenn es insbesondere Grüne und Linke nicht gern hören werden, aber die absolute Armut ist im globalen Kontext in den letzten drei Jahrzehnten immer weiter zurück gegangen. Das mag kein Grund zum Feiern sein, aber die Vorstellung, den Menschen ginge es weltweit in toto von Jahr zu Jahr schlechter – außer im „reichen“ Europa natürlich – ist absurd! Diese Annahme braucht es aber, um dem GCM ausreichend Legitimität zu verschaffen, wozu auch gehört, Migration für prinzipiell wünschenswert zu erklären (siehe Präambel des GCM). Es ist, als stünde man in einem nach Wasserrohrbruch überflutetem Raum und erklärte das steigende Wasser für erwünscht, weil man nicht in der Lage ist, das Leck zu finden. So wird aus einem Problem ein erfüllter Wunsch und die Illusion der Kontrolle bleibt intakt. Doch vielleicht stellen wir nur die falschen Fragen, wenn es um die Tatsache geht, warum sich heute mehr Menschen als je zuvor in der Geschichte vorstellen können, ihre Heimat zu verlassen oder dies tatsächlich planen und tun.

Frage 1: Was hat sich geändert?

Was ist 2018 anders als 1970, 1980 oder 1995. Waren die Afrikaner etwa weniger arm, also im Vergleich mit uns, den Europäern, nicht im Vergleich mit ihrer Peer-Group zu Hause? Gab es bessere Jobs, mehr Rechtssicherheit, prosperierten die Länder der Sub-Sahara? Nichts dergleichen. Im Gegenteil, wie wir noch sehen werden. Aber warum kamen die Menschen nicht schon 1995 oder 2000 in Massen, auf Booten oder zu Fuß? Ein Blick auf den Wikipedia-Eintrag am Beispiel Malis bringt uns der Lösung näher. Dort heiß es unter dem Punkt „Telekommunikation“:

„Im Jahre 2002 gab es in Mali 56.600 Telefonanschlüsse [Festnetz, Anm. d. A.], davon 80 % in der Hauptstadt Bamako. Der Standard galt als niedrig und unzuverlässig. Vor diesem Hintergrund hat die Mobiltelefonie einen idealen Wachstumsmarkt gefunden. Seit im Jahr 1998 der Telekommunikationsmarkt liberalisiert und eine Aufsichtsbehörde geschaffen wurde, ist die Branche rasant gewachsen und bietet dabei den Kunden niedrige Preise, wenngleich es im Land lediglich zwei Betreiber gibt. Die Zahl der Mobilfunkkunden Malis ist von 10.000 im Jahr 2000 auf 2,5 Millionen im Jahr 2007 in die Höhe geschnellt. […] Der Anteil der Internet-Nutzer ist in Mali von praktisch null im Jahre 2000 auf rund 6 % der Gesamtbevölkerung im Jahre 2007 gestiegen. […] Der Gebrauch von Telekommunikations-Dienstleistungen ist weitgehend ein städtisches Privileg. Die Versorgung des Landes ist markant schlechter; etwa 12 % der Malier wohnen in so dünn besiedelten Gebieten, dass sie ohne Subvention nie in den Genuss solcher Services kommen werden.“

Das war die Lage 2007, an der sich strukturell bis heute nichts geändert hat. Wir erleben seit etwa 20 Jahren in den meisten afrikanischen Ländern einen gewaltigen Technologiesprung in Richtung Internet, und zwar gleich in die heutige, mobile Ausprägung. Die Technologiestufe „Festnetz“ überspringt man dabei, ebenso übrigens die typisch europäische Vorstellung von stationären Banken und Konten für den Zahlungsverkehr und der Idee eines auch zur Wertaufbewahrung geeigneten Geldsystems, die sich in den inflationären Währungen in der Heimat ohnehin nie durchsetzen konnte. Nicht Kapitalbildung, sondern Konsum findet statt. Oder Kapitalflucht. Selbst die eigenen Diktatoren bringen ergaunerte Vermögen im Ausland in „Sicherheit”.

Am Technologiesprung ist zunächst nichts Schlechtes, er ist logisch. Es ergibt ja auch keinen Sinn, alle Technologiestufen zu durchlaufen, um in eine bereits existierende Moderne zu gelangen. China baute ja auch nicht den Flugapparat der Brüder Wright nach, sondern baut lieber gleich taugliche Passagierflugzeuge wie die Comac.

Das erklärt, warum es ausgerechnet die Stadtbewohner afrikanischer Länder sind, die sich auf den Weg machen – sie haben einen immensen Informationsvorsprung gegenüber ländlichen Landesteilen, der in Europa in dieser Weise nicht existiert. Zur Information und der Verfügbarkeit moderner Infrastruktur, die bei der Reise hilft (bargeldloses Bezahlen, Kontakt zur Heimat) kommt ein weiterer Faktor hinzu: Das Geld für die Reise ist verfügbar, das war noch vor 20 oder 30 Jahren nicht der Fall.

Frage 2: Wer genau kommt da eigentlich?

Die humanistisch-europäische Sicht auf Migration ist stark geprägt von den Ereignissen in der eigenen Geschichte. Man denkt an verlorene Kriege, religiöse Konflikte, Gebietsverluste oder Naturkatastrophen wie die in Irland, wo eine Hungersnot in den 1840er Jahren Hunderttausende zur Ausreise nach Amerika zwang.

In Irland war es insbesondere die verarmte Landbevölkerung, die sich auf den Weg über den Atlantik machte, während es heute in Afrika eher die Bewohner der Städte sind. Die unter Frage 1 erwähnten Bedingungen sind nämlich nur dort erfüllt: Zugang zum Internet, Smartphones für die Reiseplanung. Das alles gibt es jedoch nur in vergleichsweise wohlhabenden Familienstrukturen, die das Geld für die Durchführung der Migration einiger Familienmitglieder aufbringen können…all das finden wir in Nigeria, Ghana, Mali und anderswo in den Städten und dort wiederum in der Mittelschicht, wo bereits ein gewisser sozialer Aufstieg stattgefunden hat. Das immer noch rapide Bevölkerungswachstum in den Subsahara-Ländern einerseits – auch in der Mittelschicht – und ein ausreichend großer Anreiz, im „reichen Norden“ erheblich leichter ein vergleichbares oder für die Familie zusätzliches Einkommen zu erzielen, sorgen für genug Druck. Aus ökonomischer Sicht und angesichts der aus politischen Gründen beschränkten Aussichten für weiteren Aufstieg oder Sicherheit erreichten Wohlstandes, ist die Entscheidung zur Migration absolut logisch und vergleichsweise erfolgversprechend.

Immer wieder hört man ja die Warnungen, dass es eben nicht die ärmsten seien, die es zu uns schaffen. Dass es jedoch System hat, wenn ausgerechnet die Mittelschicht sich auf den beschwerlichen Weg in den vermeintlich goldenen Norden macht, blendet Europa strikt aus. Dabei muss man nur auf die eigenen Journalisten hören, wenn man schon nicht auf böse Blogger wie mich hören möchte. In einem Bericht des DLF vom August 2018 kam Waldemar zu Wort. Waldemar kommt aus der Elfenbeinküste und hat es geschafft, von Marokko aus nach Spanien überzusetzen. In einem Schlauchboot, wie es viele versuchen. Viele mehrfach, viele schaffen es letztlich. Nun gehört die Elfenbeinküste aktuell nicht zu den Krisengebieten Afrikas und man darf sich die Frage stellen, was einen Ivorer wie Waldemar dazu bewegt hat, in ein Schlauchboot zu steigen. Er berichtet offen über seine Überfahrt: „Wir hatten Freunde, wir haben es mehrfach versucht. Um das Geld für die Überfahrt zu bekommen, haben wir in der Heimat angerufen. Dann haben die Geld geschickt und wir haben immer mal wieder 100 Euro gezahlt. Dann haben wir das Material gekauft und sind gestern rüber gekommen.“
Ordnen wir das Gelesene kurz ein. Die Elfenbeinküste verzeichnete 2017 ein Wirtschaftswachstum von 7,8%. Ein beachtlicher Wert, möchte ich meinen. Im Vergleich zu Deutschland ist es natürlich immer noch ein armes Land, gerade wenn man auf das BIP pro Kopf (kaufkraftparitätisch) von $3.883 pro Jahr schaut, und diese mit dem Deutschlands vergleicht, die im Jahr 2017 bei $50.425 lagen. Die „100 Euro“, die Waldemar und seine Freunde „immer mal wieder“ aus der Heimat erhielten, entsprechen also 1.300 Euro Kaufkraft in Deutschland. Überlegen Sie selbst, wie oft Sie „immer mal wieder“ einen solchen Betrag irgendwohin schicken können und zu welcher gesellschaftlichen Schicht sie gehören, wenn sie dies, vielleicht unwillig, schimpfend und zähneknirschend, aber letztlich dennoch für ein Familienmitglied tun würden. Mehrfach. „Immer mal wieder.“

Es ist offenkundig und fast ausschließlich die Mittelschicht, die in den letzten zwanzig Jahren entstandene Mittelschicht in Afrika, die sich auf den Weg nach Europa macht. Weil sie die Mittel hat, weil sie die Informationen hat, weil sie in ihren bis auf die Knochen korrupten Heimatländern an Grenzen stoßen, die aus Rechtsunsicherheit, Kleptokratie, ethnischen und religiösen Konflikten und einer fest im Sattel sitzenden kriminellen Oberschicht besteht. Vielleicht hat man es selbst geschafft, vielleicht hat man kollaboriert und aus denselben Töpfen gesoffen, die den Führungseliten Afrikas die Bäuche füllen: internationale Rohstoff-Firmen, die Bestechungen und Schutzgelder zahlen oder NGO’s, die mit Gießkannen voller Entwicklungshilfe, legitimiert durch UN-Organisationen, durchs Land ziehen. Für Europa ist es gewissermaßen der Fluch der guten Tat, die nun mit Macht auf uns zurückfällt. Denn die Sache hat einen doppelten Haken.

If I can make it there, I’ll make it anywhere

Diese Textzeile aus dem Sinatra-Song „New York, New York“ erfüllt sich nämlich für afrikanische Mittelschicht-Auswanderer in Europa so gut wie nie, während sich irische oder italienische Unterschicht-Auswanderer im schlimmsten Fall in derselben sozialen Klasse wiederfanden, der sie aus Europa entkommen wollten. Der Blick geht nach oben, weiter abrutschen fast ausgeschlossen. Ein Waldemar aus der Mittelschicht der Elfenbeinküste stellt sich in seinem Zielland Frankreich jedoch wieder ganz weit unten an, sein soziales Prestige ist verloren, der Frust vorprogrammiert. Die 100 Euro, die ihm seine Familie schicken kann, fühlen sich in Paris oder Marseille auch nicht mehr wie 1300 an. Es ist ein Abstieg, der oft genug ein Abstieg in die Sozialsysteme und die Kriminalität ist. Im Einzelfall ist dies nicht zu verhindern. Etwas gänzlich anderes ist es, diese Abstiegsspirale durch einen UN-Pakt auch noch für normal und wünschenswert zu erklären. Das ist der erste Haken der vermeintlich guten Tat.

Unsere Regierung scheint nun zu versuchen, um den zweiten Haken etwas schärfer zu zeichnen, durch besinnungsloses Geldausgeben und allerlei soziale Wohltaten wie kostenloses Wohnen, kostenlose Gesundheitsversorgung, Integrationskurse, Anerkennung von Abschlüssen, Unterstützung betreuender NGO‚s und vieles mehr diese Lücke füllen zu wollen, was bei Teilen der Bevölkerung den Eindruck erweckt, hier ginge es nicht mit rechten Dingen zu. Vor allem nicht mit rechtsstaatlichen. Das Gerechtigkeitsempfinden der indigenen Bevölkerung Deutschlands (und nicht nur dieser) ist erheblich gestört, was mittlerweile zu mehr als nur einem vernehmlichen Murren geführt hat. Der vernehmliche, sichtbare Teil dieses Murrens ist jedoch nur die Spitze des Eisberges und sitzt mittlerweile in erheblicher Fraktionsstärke im Bundestag und sämtlichen Landtagen.

Frage 3: Welche Migrationsursachen sollen eigentlich bekämpft werden?

Das alles führt uns zur entscheidenden Frage, auf die der Global Compact for Migration nicht einmal den Hauch einer Antwort hat: wenn der heutige Migrationsstrom getrieben wird vom technischen Fortschritt und dem wirtschaftlichen Erfolg einer recht kleinen Gruppe von Menschen in den Herkunftsländern, jedoch verursacht ist von den tatsächlichen politischen Zuständen in diesen Ländern, von denen dort wiederum eine kleptokratische Oberschicht profitiert, warum sollten die Repräsentanten dieser Oberschicht den GCM dann unterzeichnen? In Deutschland will uns die GroKo erzählen, diese machen das, um sich unseren Standards anzugleichen. Ich dagegen halte es für ausgeschlossen, dass die unterzeichnenden Diktatoren auch nur die Absicht haben, am Status Quo in ihren Ländern etwas zu ändern.

Zählen Sie zwei und zwei zusammen, liebe Leser, und entscheiden Sie selbst, ob sich die tatsächlichen Ursachen der Migration bekämpfen lassen. Es sei denn, man befürwortet es im Kanzlerinnenamt, das Internet in Afrika abzuschalten und die dortige Mittelschicht von den örtlichen Warlords und Diktatoren kurzerhand enteignen zu lassen. Weil davon nicht auszugehen ist, kommen für das Handeln der Bundesregierung nur noch zwei Motive in Frage: entweder Dummheit – charmant, aber auch unwahrscheinlich. Oder aber man möchte 2015 verschüttete Milch unter einem ganzen Milchsee verstecken.

Ein Jammer nur, dass so gut wie alle Länder, in die ich mich selbst im Ernstfall unter großem Ausreisedruck absetzen würde, den GCM explizit nicht unterschreiben werden. Neuseeland ginge wohl noch, aber um auch nur theoretisch dorthin zu gelangen – praktisch verhindert das neuseeländische Migrationsgesetz eine unkontrollierte Einreise –, muss man dieselben ökonomischen Voraussetzungen erfüllen, wie etwa ein Migrant aus Ghana, der nach Deutschland möchte: man muss zur ökonomischen Mittelschicht gehören (wenn auch nicht der nach Merz’scher Definition) um sich die gegebenen Reisebedingungen leisten zu können. Ein Smartphone habe ich, es fehlt mir nur an den „Immer-mal-wieder-Überweisungen“ aus der Heimat.



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