Kultur oder Unkultur? – Staatspunker rocken öffentlich-rechtlich

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Von Gastautor Hubertus Thoma

Am Samstag, 1. Dezember um halb zwölf Uhr nachts ist es soweit: die ZDF-Aufzeichnung des umstrittenen Konzerts von „Feine Sahne Fischfilet“, der „Punkrocker gegen Nazis“, aus dem anhaltinischen Dessau wird auf 3sat unter der Rubrik “Kulturzeit” in die deutschen Wohnzimmer gebeamt. Oma und Opa – das Durchschnittsalter des Fernsehpublikums liegt in Deutschland bei 60 Jahren – können den Ersten Advent also mit eher ungewohnten Stampfrhythmen beginnen. Wahrscheinlich schalten sich in diesem Falle einige Jugendliche mehr ein als im Schnitt, dafür ein paar Ältere weniger – ewige Jungspunde nach Art des früheren Flaschenpfandministers Jürgen Trittin natürlich ausgenommen, der dem Spektakel vom 6. November durch persönliche Anwesenheit so etwas wie linksgrünen Glanz verlieh.

Streit war bekanntlich darüber entbrannt, ob das Bauhaus Dessau – von Progressiven gerne als “Trutzburg der Moderne” verklärt und dem ZDF vertraglich zu gewissen Dienstleistungen verpflichtet – die linksradikalen Punker, denen der Verfassungsschutz von Mecklenburg-Vorpommern bis zum Jahr 2015 jeweils ein eigenes Kapitel in seinem Jahresbericht widmete, ablehnen durfte oder nicht. Eine andere, zugegebenermaßen etwas unzeitgemäße Frage geriet darüber völlig in den Hintergrund: was haben die Feinen Sahnemänner eigentlich mit Kultur zu tun? Zur Erinnerung: der Satellitensender 3sat wurde 1984 als gemeinsames deutschsprachiges Kultur-Fersehprogramm von Deutschland, Österreich und der Schweiz unter Federführung des ZDF gegründet. Auch wenn der Kulturbegriff damals schon von Umcodierung bedroht war – Stichwort: Kultur “mit großem K” oder Kultur “mit kleinem k” – verstanden die meisten Menschen schon wegen der mangelnden Trennschärfe extensiverer Auslegungen darunter Hochkultur, gedanklich eng mit der Idee der Kunst verwandt. Das acht Jahre später ins Leben gerufene deutsch-französische Programm “arte” stellt in seinem Namen diesen Zusammenhang eindeutig klar. Für die deutschsprachigen Länder sollte 3sat eine ähnliche Funktion übernehmen wie “arte”.

Kunst und Kultur – das hatte seit Friedrich Schiller etwas mit dem Erhabenen zu tun, einer ästhetischen Kategorie, die über die sinnliche Welt hinausweist, einen “Zauber, womit es unser Gemüth ergreift” erzeugt und den Ergriffenen mit einem Gefühl der Ehrfurcht zurückläßt. Die Werke der Klassik und des Klassizismus, die den europäischen Völkern gemeinsame Reflexion ihrer Ursprünge in der griechischen und römischen Antike sowie der christlichen Religion zielten auf dieses Erhabene. Besonders die Kunstwerke der italienischen Renaissance, die klassische Musik sowie die in allen Ländern Europas anzutreffende Kunstform des Musiktheaters schienen über einen privilegierten Zugang zum Gemüt der Menschen zu verfügen und diesen nicht nur eine positive, die Persönlichkeit stabilisierende Grundhaltung zur eigenen Kultur sondern sogar eine intuitive Idee höherer Lebensformen zu vermitteln. Jedes Land hatte in dieser kulturellen Symphonie seine eigene, zuweilen kontrovers diskutierte Stimme. Die Kultur des deutschen Volkes – es ist noch gar nicht lange her, daß die Existenz einer solchen über jedem vernünftigen Zweifel stand – zeichnete sich nach Thomas Mann zum Beispiel durch eine spezifische, etwas weltfremde Innerlichkeit aus, die ihren höchsten Ausdruck im “Wunder des deutschen Liedes” fand.

Der kulturelle Kodex des alten Europa war allerdings kein Selbstläufer, es gehörte vielmehr etwas Anstrengung im Sinne von “Bildung” dazu, um ihn individuell erschließen zu können. Die Kulturkanäle im deutschen (und französischen) Fernsehen sollten mit ihrem Bildungsauftrag einen Beitrag dazu leisten. Ihre Gründung indiziert gleichzeitig, daß der gutbürgerliche Kodex bis vor etwa 25 Jahren durchaus noch anerkannt war, obwohl er bereits seit längerem aus den unterschiedlichsten Richtungen unter Beschuß stand: “Glotzt nicht so romantisch!” forderte der antibürgerliche Bertolt Brecht bereits zur Zeit der Weimarer Republik. Jeder Mensch sei ein Künstler, seine Werke seien auch ohne Können Kunst propagierte die japanische Ehefrau von Beatle-Ikone John Lennon, der seinerseits mit dem Lied “Imagine” die Hymne für kosmopolitische Nihilisten erfand, wonach es sich für nichts auf der Welt zu kämpfen und zu sterben lohne. Etwa zur selben Zeit forderte der französische Komponist und Dirigent Pierre Boulez, die Opernhäuser in die Luft zu sprengen; eine Platte der Beatles sei “cleverer und obendrein kürzer als eine Oper von Henze“. Mit der Pop-Art, dem Siegeszug des Regietheaters, den kommerziell orientierten musikalischen “Cross-Over”-Projekten zwischen Pop und Klassik und der allgemeinen dekonstruktivistischen Politisierung (nicht nur) des Kunstbegriffs – stellvertretend sei die Verhüllung des Deutschen Reichstags durch Christo und Jeanne-Claude im Jahre 1995 genannt – wurde der alteuropäische Kodex zumindest als Leitbild sukzessive aufgegeben. Mit dem Glauben an Gott ging auch der Glaube an das Erhabene verloren, “an die Stelle der Religion trat die immer pompösere Sprache der Menschenrechte” (Douglas Murray). Kunst und Kultur zogen ein ins Reich postmoderner Beliebigkeit.

Schiller und Thomas Mann sind daher heute “out”, linke Punkrocker dagegen “in”, selbst wenn es um eine “Kulturzeit” geht. Das in Ausführung deutscher Kulturpolitik für ein aktuelles Deutschland-Bild im Ausland zuständige Institut, das anachronistischerweise noch immer nach dem Dichterfürsten Goethe benannt ist, spiegelt den neuen, grenzenlosen Kulturbegriff bedenkenlos wider: beispielsweise veranstaltet es seit 2008 “berlin dayz”, um die hippe, coole, megatolerante Hauptstadt ins multikulturelle Bewußtsein der Welt zu rücken. Es hat auch ein “German-Pop-Podcast” herausgegeben, auf dem “Feine Sahne Fischfilet” mit dem delikaten Titel “Komplett im Arsch” prominent vertreten ist (noch schlimmer: “K.I.Z.” mit dem von linkspubertären Klischees strotzenden Titel “Hurra die Welt geht unter”) und zeigt bei deutschen Filmwochen gerne den Dokumentarfilm “Wildes Herz” rund um den prolligen Frontmann Jan “Monchi” Gorkow und sein Engagement im “Kampf gegen Rechts”. Sowohl Netzwerkdurchsetzungsminister Maas als auch Bundespräsident Steinmeier haben die rappenden Sahnemänner persönlich empfohlen, die sich seither als Staatskünstler mit Verfassungsschutzhintergrund betrachten dürfen – die Politik von Kanzlerin Merkel macht’s möglich. “Bock auf Leben” habe er, sagt der tätowierte Vierzentnerriese “Monchi”, dessen Image auf die Personifizierung des Slogans “Herz statt Hetze” zugeschnitten ist. Er gibt selbst zu, daß “das, was mir machen keine Kunst” ist, sondern “eine Art Werkzeug… um unserer Wut gegenüber Rassisten, Sexisten, Homophobie und Staat eine Stimme zu geben.” Entsprechend heißt es im Titel “Wut”: “Und der Hass – Der steigt! Und unsere Wut – Sie treibt! Unsere Herzen brennen! – Niemand muß Bulle sein!”

“Hatespeech”? – Mitnichten, vielmehr staatstragende Revoluzzer, Systemvertreter und Systemkritiker zugleich im bunten Multikulti-Schland. Zwiedenken wie bei Orwell. Macht beliebt und bringt Kohle. Ein Besucher des Konzerts in Dessau brachte Stimmung und geistige Befindlichkeit vieler deutscher Jugendlicher einfacher auf den Punkt: “Wir haben kein’ Bock auf Rechtsruck, wir haben nur Bock zu feiern.” So spricht der zufriedene Konsument, der im von kulturellem Ballast befreiten Deutschland von 2018 gut und gerne lebt…



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