Von Gastautor Rainer Wolski
Mit dem Mauerbau am 13.August 1961 wurde einerseits die Westflucht eingedämmt aber andererseits die Lieferungen von relativ geringwertigen Ersatzteil und Verbrauchsmaterialien aus dem Westen an ostdeutsche Betriebe abgeschnitten.
Es gab die Außenhandelsbetriebe, die sich damals z. B. Deutscher Innen-und Außenhandel Feinmechanik/Optik nannten, in der Kurzform „DIA Feinmechanik/Optik“. Sie waren die Hüter des staatlichen Außenhandelsmonopols. Allerdings waren es schwerfällige Unternehmen, voll in die Planwirtschaft eingebunden und unfähig, schnell zu reagieren.
Benötigte ein Industriebetrieb oder Krankenhaus jedoch schnell Ersatzteile oder Verbrauchsmaterial, dann griff man auf den Import aus Westberlin zurück – indem jemand (schwarz) Geld tauschte und das Produkt kaufte.
Mit dem Mauerbau verschwanden diese Möglichkeiten.
1962 verhängte der Westen wegen Mauerbau und Kuba-Krise das Röhren-Embargo gegen die Sowjetunion und deren Verbündete. Weitere Handelsrestriktionen folgten.
Schalck, der damals als hauptamtlicher SED-Kreissekretär im Außenhandel tätig war, sah diese Probleme und unterbreitete in Abstimmung mit dem MfS der Regierung einen Vorschlag, einen Bereich außerhalb des planwirtschaftlichen Außenhandels zu gründen, der Reserven erschloss, schnell reagieren konnte und Devisen erwirtschaftete in Strukturen, die sonst in der sozialistischen DDR nicht möglich waren.
In der Verfügung 61/66 vom 1. April 1966 wurde durch den Vorsitzenden des Ministerrates bestimmt, dass die Außenhandelsbetriebe Zentralkommerz, Intrac, Transinter, GENEX und Intershop in diese Struktur überführt werden. Hinzu kam die Sicherung des einheitlichen handelspolitischen Auftretens der in der DDR zugelassenen privaten Außenhandelsbetriebe F. C. Gerlach und G. Simon.
Der Bevollmächtigte des Ministers sollte im Bereich des Ministerium für Außenhandel und Innerdeutschen Handel nur dem Minister rechenschaftspflichtig sein.
Zum Bevollmächtigten wurde dann 1967 Alexander Schalck-Golodkowski ernannt, der gleichzeitig auch Offizier im besonderen Einsatz des MfS war.
Das Portfolio der o.g. sieben Außenhandelsbetriebe kann man als das Kerngeschäft von KoKo bezeichnen. Auch wenn 24 Jahre nach Gründung der Bereich KoKo etwa 150 Firmen im In-und Ausland umfasste, sie können fast alle auf diese beiden Grundausrichtungen zurückgeführt werden:
1. Devisen-Erwirtschaftung: darunter fallen u. a.
- Pflicht-Handelsvertretungen westlicher Lieferanten durch von der DDR festgelegte Vertreterfirmen (Anfragemonopol). Ein westlicher Lieferant musste sich durch diese Firmen vertreten lassen und bei Vertragsabschluss eine Provision zahlen. Das hieß: Die planwirtschaftlichen Außenhandelsbetriebe zahlten für das importierte Produkt 100 und der westliche Lieferant musste davon 5-8 % als Provision an die von der DDR genannte Vertreterfirma Diese Vertreter konnten in der DDR ihren Sitz haben (Transinter, Textilvertretungen, AGENA, Agrima, Interport, Metama, Interver, Kontakta), oder aber irgendwo in der Welt.Zum Beispiel: Schweiz (Firma Intrac Lugano), Dänemark (Firma Plön), Österreich (Firma Novum), Bundesrepublik Deutschland (EMA Essen) oder Westberlin (Firma Wittenbecher). Einige dieser Firmen im Westen dienten auch der Finanzierung der kommunistischen Parteien in Westeuropa.
- Kunst-und Antiquitäten Export (mehr dazu im Film Comrades & Cash)
- Abschöpfung von Westmark in der DDR (die aufgrund von Verwandtschaftsbeziehungen einfloss) durch Intershop und GENEX
- Intrac GmbH Ostberlin, internationaler Handel mit Rohstoffen, aber auch Benzin für Westberlin und die Tankstellen der Transit-Autobahn, Müll aus
- BERAG, BIEG Versorgung mit Ersatzteilen und Verbrauchsmaterial
- Dienstleistungen für Repräsentanzbüros ausländischer Firmen in der DDR wie Bürovermietung, Veranstaltungen, kommerzielles Personal für die Büros im IHZ
2. Embargo-Brecher und internationaler Waffenhandel
- Die o. g.“privaten“ Außenhandelsbetriebe gingen aus Schwarzmarkt-Handelsfirmen der späten 40-ziger Jahre hervor, die schon in den 50-ziger Jahren für die Hauptverwaltung Aufklärung Technik Beide Inhaber, Mischa Wischnewski und Simon Goldenberg, hatten exzellente Kontakte zum internationalen Handel. Später kamen dann noch die Firmen G.Forgber, Asimex, Camet, IMES und INTERPORT hinzu. Alle sollen im vollen oder anteiligen Besitz der HVA von Markus Wolf gewesen sein.
In der DDR arbeiteten etwa 2.400 Menschen in den KoKo Betrieben. Sie erhielten Gehälter nach dem Tarif des Außenhandels in DDR-Mark.
Im Zuge der Ankündigung der Gorbatschow-Reformen im Juni 1985 hatten wenige Monate später vier Dow-Jones gelistete US-Firmen im IHZ ihre Büros fast gleichzeitig eröffnet und von der Möglichkeit der Beschäftigung von versierten DDR-Außenhändlern Gebrauch gemacht. Offenbar ahnten oder wussten sie, was Gorbatschow plante und positionierten sich rechtzeitig in Ostberlin, um bei der nun möglichen deutschen Einheit vor Ort zu sein. Sie hätten sich auch für US-Bürger, Westberliner oder Schweizer als Mitarbeiter im Büro entscheiden können, aber das IHZ lockte sie mit diesem Versprechen: „Wir können Ihnen auch einheimisches, hochqualifiziertes Personal zur Verfügung stellen, welches Zugang zu den Entscheidungsträgern hat“. Das wirkte.
Das Internationale Handelszentrum am Bahnhof Friedrichstraße in Berlin (IHZ) vermittelte diese Personen, die bei der IHZ GmbH angestellt waren, als Spezialisten an die Firmenbüros.
Sozialistische Leiharbeiter zum Schäppchenpreis. Sie erhielten nach Tarif etwa 1.500 -1.700 Ostmark brutto monatlich, der Firma wurden dann für diesen Mitarbeiter 5.000 – 6.000 DM monatlich in Rechnung gestellt. Das waren entsprechend dem Qualifikationsniveau etwa 80 % des üblichen Gehalts in der BRD. Zwischen Anfang1986 und Herbst 1989 verdoppelte sich die Anzahl dieser Spezialisten von etwa 25 auf fast 50. Offenbar hatte Gorbatschows Politik auch andere internationale Konzerne angeregt, sich in der (noch)-DDR mit einem Vorauskommando niederzulassen.
Nachbemerkung
Im Februar 1986 (8 Monate nach dem KPdSU-Parteitag im Juni 1985, wo Gorbatschow die Perestrojka verkündete) war der sowjetische Botschafter in Bonn, Semjonow, in den Ruhestand getreten.
Das war jener Semjonow, der von Stalin ab 1944 mit der Nachkriegsplanung für Deutschland beauftragt wurde, danach den Posten des Politischer Beraters der Militäradministration in Deutschland bekleidete und bei der Niederschlagung des Arbeiter-Aufstandes am 17. Juni 1953 Hoher Kommissar der Sowjetunion in Deutschland (DDR) war und schon zu dieser Zeit die Idee einer deutschen Einheit verwirklichen wollte.
Im September 1953 wurde er sowjetischer Botschafter in der DDR, just zu der Zeit, als Markus Wolf als Chef des Vorläufers des MfS (Wikipedia benennt ihn als Leiter von 4.600 hauptamtlichen und über 10.000 inoffiziellen Mitarbeitern) diesen Dienst in das neu geschaffene MfS integrierte und Leiter der HVA wurde.
Der Sowjetbotschafter konnte sich persönlich von den Fähigkeiten Wolfs aus nächster Nähe überzeugen. Markus Wolf wurden immer beste Kontakte zur UdSSR Botschaft nachgesagt.
Botschafter Semjonow kehrte 1986 nach seiner Versetzung in den Ruhestand nicht nach Moskau zurück, sondern wohnte als Pensionär bis zu seinem Tode Ende 1992 in Köln.
Ein Sowjetbotschafter verbrachte seinen Lebensabend beim Klassenfeind. Einfach so? Semjonow war nicht nur Politiker und Diplomat sondern auch ein internationale ausgewiesener Kunstsammler. Er hatte Gemälde und Grafiken sowjetischer Künstler gesammelt, die bei Stalin und den Führern danach in Ungnade gefallen waren. Kurz nach seinem Amtsantritt als Botschafter in Bonn hatte er 1980 Gemälde und Grafiken im Museum Ludwig ausgestellt und viel Anerkennung erworben.
Im März 1986 – vier Wochen nachdem Semjonow seinen Lebensmittelpunkt als Pensionär in Köln genommen hatte – bat Markus Wolf, Leiter der Hauptabteilung Aufklärung des MfS – seinen Minister Mielke um die Versetzung in den Ruhestand – aus Altersgründen. Wolf war damals 63 Jahre alt. Er nahm seinen Resturlaub und ging dann im Sommer 1986 in Pension. Während sein ehemaliger Mentor in Köln für die Sammlung Ludwig als Berater arbeitete, wurde Wolf als Autor tätig. Was beide Herren in dieser Zeit hinter den Kulissen bewegten, wurde bisher nicht veröffentlicht.
Markus Wolf hatte erst kurz vor seinem Tode am 9.11.2006 in einem Interview zugegeben, dass sein Rücktrittsgesuch im März 1986 tatsächlich mit den Planungen Gorbatschows zusammenhing, sich der sozialistischen Bruderländer zu entledigen und damit die deutsche Frage wieder offen war. Er ahnte, was das für ihn bedeuteten würde. Und dass Semjonow seinen Lebensabend in Köln verbringen wollte/sollte/musste, dürfte ihn zu seinem Schritt bestätigt haben. Oder hatten die sowjetischen Genossen ihm den Ruhestand empfohlen?
Die USA schickten dann für die Realisierung der deutschen Einheit Anfang 1989 den ex CIA- General Vernon Walters als Botschafter nach Bonn, der später ein Buch mit dem vielsagenden Titel schrieb: „Die Vereinigung war vorhersehbar“.
Als ich im Dezember 1989 mit einer Mitarbeiterin der politischen Abteilung der US-Botschaft in Ostberlin sprach und sie nach ihrem Studium befragte, sagte sie mir, dass sie Ihre Masterarbeit zum Thema „Wiederherstellung der deutschen Einheit“ geschrieben hatte.
Schalck-Golodkowski starb kurz vor Vollendung seines 84. Lebensjahres 2015 in Rottach-Egern am Tegernsee. Er hat – neben vielen anderen – auch diese zwei Geheimnisse mit ins Grab genommen: In welchem Jahr hatte er von der bevorstehenden deutschen Einheit erfahren und wie hatte er daraufhin seine Altersvorsorge geplant?