Von Gastautor Michael Wolski
Am 19.10.2018 startete die 2. Staffel von Deutschland 86 (nach Deutschland 83). Ein deutsch-deutscher Spionagethriller, der diesmal auch in Afrika spielt. Produziert wurde der Film von der UFA, im Auftrag von Amazon prime und RTL. Dabei handelt es sich nicht mehr um Beschaffung streng geheimer Nachrichten wie bei Deutschland 83, sondern um klandestine kommerzielle Operationen. Ziel war es, die DDR vor dem Bankrott zu retten.
Devisen-Erwirtschaftung um jeden Preis, auch wenn das UN-Embargo gegen das Apartheid- Regime in Südafrika gebrochen werden musste. Ein normaler Genosse aus der DDR hätte nie im Traum an die Realität dieser Aktionen gedacht und vermutlich viele Amtsträger im Westen auch nicht.
Um die Aktionen zur Devisenbeschaffung durch den Bereich Kommerzielle Koordinierung – besser bekannt unter KoKo – im historischen Kontext zu dokumentieren, gibt es zusätzlich einen kurzen Dokumentarfilm mit dem Titel: Comrades & Cash. Er ist sehr sehenswert, da unglaubliche Aktionen dokumentiert werden – wie die Enteignung von Antiquitäten bei DDR-Bürgern. Diese wurden dann in den Westen verkauft.
Die Hauptverwaltung Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit bediente sich im Film Deutschland 86 einer – im gesamten Ostblock einzigartigen – kommerziellen Struktur, dem Bereich Kommerzielle Koordinierung (KoKo). Dieser Bereich war formal dem DDR- Außenhandelsministerium unterstellt, aber hatte als faktisches „Joint Venture“ mit dem Ministerium für Staatssicherheit eine einzigartige Sonderstellung. Er wurde auf Vorschlag von Alexander Schalck-Golodkowski 1966 gegründet, mit dem Ziel, Devisen zu erwirtschaften, das westliche Wirtschaftsembargo zu brechen und die DDR mit benötigten Waren zu versorgen, die diesen Embargos unterlagen. Auch unterstützen die Firmen, deren Eigentümer die SED war, die Kommunisten Westeuropas finanziell.
Dabei war der Bereich nicht selbst unternehmerisch tätig, sondern vereinte in der DDR und im westlichen Ausland etwa 150 Firmen, die im Besitz des Bereichs KoKo, des Ministeriums für Staatssicherheit, der NVA oder der SED waren. Selbstverständlich waren die Besitzverhältnisse zu DDR Zeiten top secret. Schalck koordinierte die Tätigkeit und entwickelt über 20 Jahre ständig neue Arbeitsgebiete um den Devisenhunger zu stillen. Was zwar nicht gelang, aber trotzdem jedes Jahr aufs Neue versucht wurde.
Das besondere an diesem Bereich war: Obwohl die meisten Firmen in der DDR angesiedelt waren, unterlagen sie nicht dem System der Planwirtschaft und der Kontrolle durch die staatliche Finanzrevision. Der Bereich KoKo hatte zwar eine Planvorgabe für zu erwirtschaftende Devisen, die an den Staatshaushalt abgeführt werden mussten, aber ansonsten agierte er wie eine kapitalistische Firma. Schalck kontrollierte sich – was die Finanzen betraf – selbst. Das Ziel war: Profit erwirtschaften. Um das in einer schwerfälligen Planwirtschaft praktikabel zu machen, erhielt Schalcks Bereich Anfang der siebziger Jahre die Zollhoheit und den Status des Devisenausländers. In Kooperation mit der Stasi ein Freifahrtschein für viele Geschäfte, manche davon sehr anrüchig, auch kriminell.
Um sich ein Bild zu machen, wie die Erwirtschaftung von Devisen erfolgte, sollten Sie sich den Film Comrades & Cash von Max Mönch und Alexander Lahl ansehen. Wollte man alles aufführen, wären es auch 10 Teile wie beim Thriller Deutschland 86 geworden. Zu weiteren Informationen KoKo betreffend, googeln Sie bitte.
Schalck-Golodkowski war als Staatssekretär dem Minister für Außenhandel unterstellt und als Oberst des MfS Minister Mielke. Er hätte eigentlich den Rang eines Generals haben müssen, aber dann wäre er gegenüber den Sowjets dekonspiriert worden, denn die Bestätigung von Generälen in der DDR erfolgte in Moskau. So war er – für Außenstehende unsichtbar – in die Entscheidungsstrukturen des MfS eingebunden und war bekannt als Macher „Big Alex“ im Außenhandelsministerium.
Was bedeutet Zollhoheit?
Zölle zu erheben, Waren und Personen an der Grenze zu kontrollieren, ist eines der Machtinstrumente des Staates. Das war so in der Geschichte, in Ost und West und wird auch immer so sein. Wenn eine Organisation in einem Staat die Zollhoheit eingeräumt bekommt, dann ist natürlich der Staat interessiert zu erfahren, wie diese Organisation damit umgeht. Dieser Kontrolleur war im Falle KoKo das MfS.
Der Bereich KoKo hatte ein Entscheidungssystem, wo Befugte aus KoKo-Firmen und staatlichen Organisationen die Grenze „freischalten“ lassen konnten. Es musste bei Schalcks Stellvertreter telefonisch beispielsweise wie folgt beantragt werden: „Dienstag, 15.12. zwischen 14:00 und 15:00 Grenzübergangstelle (GÜST) Sandkrugbrücke (Berlin) Ausreise PKW XYZ. Bitte eine freie Grenze.“
Diese Forderung wurde dann an die GÜST (die dem MfS unterstand) durchgestellt und im Rahmen dieses Zeitfensters passierte dann der PKW (gleich ob mit Ost- oder Westnummernschild) die Grenze. Natürlich musste der Fahrer bzw. die Insassen gültige Reisedokumente (egal ob DDR oder Ausland) haben. Eine Zollkontrolle fand nicht statt.
Natürlich konnten auch LKW oder Schiffs-Ladungen auf diese Weise in die DDR verbracht oder ausgeführt werden. Das wird im Thriller Deutschland 86 beim Waffenhandel geschildert.
Was bedeutet Devisenausländer?
Auch dieser Begriff ist keine Erfindung der DDR. In vielen Staaten wird geregelt, ob ein ansässiger Bürger/Betrieb über frei-konvertierbare Devisen verfügen darf und welche Rechte und Pflichten ein Devisenausländer, also ein Bürger/Betrieb eines anderen Landes auf dem Territorium des Landes hat.
Um das am Beispiel zu verdeutlichen: Die Oma aus dem Westen (Devisenausländer) hatte der Enkelin in Ostberlin für den Ausbau des Eigenheims 10.000 DM als Geschenk mitgebracht.
Was konnte die Enkeltochter in der DDR, die Deviseninländerin per Gesetz war, nun damit machen? Sie hatte folgende legale und illegale Optionen:
- Sie war verpflichtet, dieses Geld der Staatsbank der DDR anzubieten: Da bekam sie zum Kurs 1:1 10.000 Mark der DDR. Kein gutes Geschäft.
- Sie konnte bei der Bank das Geld anstatt in DDR-Mark auch in Forum-Schecks eintauschen: 10.000 DM in 10.000 DM Forum-Schecks. Auch Forum und GENEX-Geschenkdienst gehörten zu KoKo und die Enkelin kaufte danach mit den Forum-Schecks im Intershop ein. Bei größeren Summen hätte die Oma auch über GENEX ein Haus bauen oder renovieren lassen können.
- Sie wusste, dass der Kurs auf dem Schwarzmarkt 1:5 war und wechselte zu diesem Kurs. Würde sie erwischt werden (Devisenvergehen), drohte der Einzug des Geldes und eine Strafe, vielleicht auch Jobverlust.
- Sie schaute in die „Suche- und Biete-Annoncen“ der Berliner-Zeitung und fand: „Biete Ausbauarbeiten, suche blaue Fliesen“. Da war sie ihrem Ziel schon näher. Ein Handwerker suchte „blaue Fliesen“, das Code-Wort für den 100 DM-Schein.
In der DDR-Planwirtschaft mussten durch Kombinate und Außenhandelsbetriebe erwirtschaftete Devisen der Staatsbank gutgeschrieben werden. Der Betrieb konnte sie nicht einfach in den Tresor legen. Benötigte er die Devisen für einen staatlich genehmigten Import oder eine Messebeteiligung und Dienstreisen, stellte ihm die Staatsbank diese Mittel zur Verfügung. Schalcks KoKo verfügte über eine eigene Bank und die Betriebe des Bereichs in der DDR konnten die Devisen auch in den Tresor legen. So war für Feuerwehreinsätze zur Beschaffung von Ersatzteilen, Zubehör etc. immer harte Währung verfügbar und im Zusammenspiel mit der freien Grenze konnte also sehr kurzfristig agiert werden.