Stefan Heym, Lew Kopelew und ich

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Was haben wir drei ganz unterschiedliche Personen gemeinsam? Wir waren, bzw. sind Gast in der „Künstlerwohnung“ in Soltau im Heidekreis, wenn auch in verschiedenen Jahrzehnten.Uns  verbindet aber auch die Erfahrung von Flucht und Vertreibung, Heym aus Nazideutschland, Kopelew aus der Sowjetunion, Lengsfeld aus der DDR.

Seit Jahren betreibt in Soltau ein kleiner, aber sehr engagierter Freundeskreis eine liebevoll eingerichtete Dachwohnung über einer alten Wassermühle an der Böhme als Künstlerwohnung.

Stefan Heym, der hier war, als die DDR noch existierte, allerdings schon in den vorletzten Zügen lag, verglich das Künstlerrefugium mit einem „Spitzwegidyll de luxe”. Sein Aufenthalt stieß damals auf höchstes Interesse, nicht nur, weil Heym einen Ruf weit über die DDR hinaus als systemkritischer Geist genoss, sondern weil mit der nach dem Mai 1989 täglich anschwellenden Fluchtbewegung aus der DDR das Thema Flucht wieder ganz aktuell war. Tausende DDR- Insassen, wie unser Bundespräsident die Menschen in der DDR richtig nannte, ließen damals alles stehen und liegen und machten sich auf nach Ungarn, um von dort aus in den Westen zu gelangen.

 

Die Linke der Bundesrepublik, weit entfernt von jeder Willkommenskultur, verfolgte diese Fluchtbewegung mit größtem Argwohn. Täglich wurde den Menschen geraten, doch lieber im Lande zu bleiben, das Leben in der BRD sei schließlich auch kein Zuckerschlecken, die kulturellen Unterschiede, die sich angeblich in der historisch eher kurzen Zeit der absoluten Trennung entwickelt hätten, seien schier unüberwindlich. Was dachten sich die Ossis, die laut Grundgesetz immerhin BRD-Bürger waren, eigentlich, einfach in Westdeutschland einreisen und bleiben zu wollen?

Zu diesen dringenden Fragen sollte Stefan Heym anlässlich seines Aufenthaltes in Soltau Stellung nehmen. Der NDR reiste extra für ein Interview an. Heym weigerte sich, etwas zur Fluchtwelle zu sagen. Er wollte über alles reden: seine Erfahrungen als Presseoffizier der US-Army beim Besuch im Konzentrationslager Bergen-Belsen, über seine Literatur, darüber, warum der Stalinismus, den die DDR seiner Meinung nach immer noch nicht ganz überwunden hatte, nichts mit dem Sozialismus zu tun hätte, aber nicht zu den brennendsten Fragen des 89er Sommers. Der einstige Großbürger Heym blieb Kommunist. Nach dem Mauerfall saß er für die SED, die nun PDS hieß, eine Legislaturperiode als Bundestagsabgeordneter im Parlament. Er trug damit erheblich zur Legendenbildung über die angebliche Erneuerung der Partei bei.

Lew Kopelew, der mit seiner Frau Raissa Orlowa ebenfalls Gast der Künstlerwohnung war, ging den umgekehrten Weg. Er war ein glühender Kommunist, allerdings musste er sich von dem Verdacht befreien, ein Anhänger Trotzkis zu sein, was ab 1936, dem Beginn der Säuberung der KPdSU von „Trotzkisten“ tödlich sein konnte. Also beteiligte er sich als Student an der Aktion des Komsomol, den verhungernden Bauern der Ukraine das letzte Getreide und Vieh wegzunehmen. Bis an sein Lebensende erfüllte ihn das mit tiefer Scham. Er konnte sich später nicht mehr erklären, wie er das vermocht hatte. Kopelew ging als Freiwilliger in den Krieg und erlebte nach dem Einmarsch der Roten Armee in Ostpreußen die Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung mit. Weil er dazu nicht schwieg, sondern versuchte, mäßigend auf seine Kameraden einzuwirken, wurde er wegen „Propagierung des bürgerlichen Humanismus“ angezeigt und mit Lagerhaft im Gulag bestraft.

Im Gulag lernte Kopelew Alexander Solschnizyn kennen, der ihm in seinem Buch „Der erste Kreis der Hölle“ als Lew Rubin ein literarisches Denkmal setzte.

Nach Stalins Tod wurde Kopelew 1954 entlassen , später rehabilitiert und konnte eine Zeit lang wissenschaftlich und schriftstellerisch arbeiten, ehe er wieder als Dissident reglementiert wurde.

Auf Einladung Heinrich Bölls traten Kopelew und Orlowa 1980 eine Studienreise in die BRD an und wurden prompt ausgebürgert, trotz der vorhergehenden Versicherung, dies würde nicht geschehen.

Im Gegensatz zu Kopelew, der gut Deutsch sprach und wegen eines deutschen Kindermädchens und seiner ersten großen Liebe, einer Deutschen, eine Affinität zum Deutschen hatte, fiel es Orlowa ausgesprochen schwer, sich einzuleben. Sie fremdelte bis zu ihrem Tod mit Deutschland, so sehr, dass sie ein Buch über ihre Integrationsschwierigkeiten verfasste. Kopelew dagegen entfremdete sich der Sowjetunion. Als er 1989 auf Einladung von Gorbatschow seine Heimat wieder besuchen durfte, stellte er fest, dass sie ihm fremd geworden war.

In Soltau nutzte Kopelew die Gelegenheit, um sein Projekt der Versöhnung von Russen und Deutschen vorzustellen und zu vertiefen. Der Presse sagte er, er liebe die deutschen Kleinstädte, in denen man noch die „Polyphonie“ spüre, die in den Großstädten längst verloren gegangen sei.

Im Gegensatz zu Heym, der sich auf „einige Spaziergänge“ beschränkt hatte, machten Kopelew und Orlowa zahlreiche Ausflüge in die schöne Umgebung der Stadt. Sie waren so begeistert von den hiesigen Naturschönheiten, dass sie unbedingt wiederkommen wollten. Der frühe Tod von Orlowa scheint das verhindert zu haben.

Jahrzehnte später darf ich dort sitzen, wo Kopelew seine handgeschriebenen Notizen verfasst hat. Ich bin ihm Anfang der 90er Jahre in Bonn noch begegnet, als er unsere Bundestagsgruppe Bündnis 90/Grüne besuchte. Mit seinem weißen, langen Bart und dem kräftigen Körper sah er aus, wie man sich die russischen bärenstarken Männer vorstellt.

Wir sprachen mit ihm unter anderem darüber, ob Deutschland ein Einwanderungsland sei, oder nicht. Wir hatten als Gruppe gerade eine Einwanderungsgesetz in den Bundestag eingebracht und standen unter heftigster Kritik. Deutschland sei kein Einwanderungsland, wäre es nie gewesen und würde es nie sein. Wir seien nicht mehr als Laienspieler, die auf Politik machten, wurde uns damals in den Medien vorgeworfen, sofern sie überhaupt unseren Vorstoß zur Kenntnis nahmen. Ossis eben, die erst mal lernen sollten, was die große freie Welt bedeutet, ehe wir den Mund aufmachten. Kopelew erzählte von den Schwierigkeiten, die seine Frau gehabt hatte, sich in Deutschland zu integrieren. Integration sein das Wichtigste, wenn Menschen kämen, die bleiben wollten.

Bei den Grünen, mit denen er eng verbunden war, jedenfalls was die damaligen Realos betraf, wurde das nicht gern gehört. In jenen Jahren war die Subkulturbildung schon in vollem Gange, die zu den heutigen Problemvierteln geführt hat.

Inzwischen wird uns auf allen Ebenen von der Politik und den Medien eingebläut, Deutschland sei ein Einwanderungsland. Es gibt aber immer noch kein ordentliches Einwanderungsgesetz, keine Einwanderungsbehörde, keine Einwanderungsstruktur. Alle Migranten werden gezwungen, einen Asylantrag zu stellen oder sich als Kriegsflüchtlinge auszugeben, auch wenn sie weder das eine, noch das andere sind. Von Wirtschaftsmigration auch nur zu sprechen ist unter Kuratel gestellt, obwohl mehr als die Hälfte der Einwanderer Wirtschaftsmigranten sind.

Statt klarer Regeln herrschen ideologische Scheuklappen, die zu unhaltbaren Zuständen führen. Elf Monate nach der Masseneinwanderung des letzten Jahres, ausgelöst von Kanzlerin Merkels „Wir schaffen das!“, was als Einladung nach Deutschland verstanden wurde, sitzen die meisten Neuankömmlinge immer noch in Massenunterkünften. Diese Massenunterkünfte gleichen den Camps für „Displaced Persons”, die es nach dem Zweiten Weltkrieg auch in der Nähe von Soltau gab. In diesen Camps waren Rückkehrer aus den Konzentrationslagern zusammengepfercht, die nicht in ihre Heimat zurück konnten oder wollten, oder als Minderjährige ihre gesamte Familie verloren hatten. Sie waren dort zusammen mit ehemaligen „Ostarbeitern“, die in der Sowjetunion oder anderen osteuropäischen Staaten für die Zwangsarbeit in Deutschland rekrutiert worden waren und nun befürchten mussten, im sowjetisch beherrschten Osteuropa als Kollaborateure verurteilt zu werden. In diesen Lagern herrschte Frust aus Pespektivlosigkeit. Kommunisten, die dort nicht nur Agitation betrieben, sondern auch Mitarbeiter für ihre Geheimdienste warben, hatten oft leichtes Spiel.

Ein Beispiel ist der junge polnische Dichter Tadeuz Borowski, der während der deutschen Besatzung zur Widerstandsbewegung gehörte, verhaftet und ins KZ Auschwitz gebracht wurde, wo er miterleben musste, wie Menschen ins Gas getrieben wurden. Er hat darüber ein erschütterndes Buch geschrieben, das heute kaum noch rezipiert wird, weil es als „verstörend“ gilt.

Borowski landete nach seiner Befreiung aus dem KZ in einem Lager für Displaced Persons, war von den dortigen Zuständen bald desillusioniert und folgte einer Einladung der Kommunisten, nach Polen zurückzukehren. Er stellte sich dort in den Dienst der Parteiideologie, hielt das aber nicht aus und verübte mit nur 29 Jahren Selbstmord, obwohl er als begabter und erfolgreicher Schriftsteller galt.

Europa hat im vergangenen Jahrhundert vielfältige Erfahrungen mit dem Thema Flucht und Vertreibung gemacht. Die Politik scheint aber von diesen Erfahrungen keine Kenntnis zu nehmen. Sie folgt, wie in früheren Jahrzehnten, ihren ideologischen Vorstellungen, die mit der Realität nicht viel zu tun haben. Hauptsächlich jene Kreise, die sich heftig gegen eine Wiedervereinigung der beiden deutschen Teilstaaten gewandt haben, weil die beiden Kulturen angeblich unvereinbar seien, die immer noch darauf bestehen, dass Ossis und Wessis nicht kompatible Spezies seien, leugnen heute alle Schwierigkeiten, die eine Masseneinwanderung aus vormodernen, teilweise tribalistischen Kulturen mit sich bringt.

Im vergangenen Jahrhundert hat die Politik, auch die westliche, am grünen Tisch über die Umsiedlung von Millionen Menschen entschieden, die über Nacht ihre angestammte Heimat verlassen mussten. In diesem Jahrhundert wird durch Massenmigration das kulturelle Gefüge Europas auf eine schwere Belastungsprobe gestellt, unter der es zerbrechen könnte, wenn die Korrektur nicht rechtzeitig einsetzt.



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