Märchen im Grandhotel

Veröffentlicht am

Die jüngste Premiere des Theaters Nordhausen war wieder ein Erfolg. Das kleine Ensemble hat erneut bewiesen, dass es alles kann. Diesmal hat es eine fast vergessene Operette zum Leben erweckt: „Märchen im Grand-Hotel“ des Komponisten Paul Abraham. In den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts war der gebürtige Ungar Abraham ein Star. Er schrieb Operetten, Filmmusiken und Schlager. Besonders seine Jazz-Operetten machten ihn berühmt. Dann kam die Nazizeit, und Abraham bekam als Jude Auftrittsverbot auf allen deutschen Bühnen. Sein Vermögen wurde beschlagnahmt. Nach dem Anschluss Österreichs ging auch an den dortigen Bühnen nichts mehr. Abraham ging erst nach Budapest, dann in die USA, konnte dort aber nicht an seine Erfolge anknüpfen. Nach seiner Rückkehr konnte er zwar in Deutschland von den Einnahmen leben, die seine Kompositionen erbrachten, künstlerisch aber nicht an seine Hochzeit anknüpfen. Er musste erleben, dass die Originalinstrumentation seiner Werke zum größten Teil von den Nazis vernichtet worden war. Neuarrangements gab es hauptsächlich im biederen Schlagerton.

Erst ab 2013 wurde Paul Abraham wiederentdeckt. Den Startschuss gab Barry Kosky an der Komischen Oper in Berlin mit der deutschen Erstaufführung von „Roxy und ihr Wunderteam“. Abrahams Operetten mussten aufwendig rekonstruiert werden. Das ausgezeichnete Programmheft, zusammengestellt von Juliane Hirschmann, gibt spannende Auskunft darüber. In Nordhausen hat sich der musikalische Leiter Julian Gaudiano dafür entschieden, die sogenannte „kleine Fassung“ mit etwas mehr als zwanzig Musikern zu spielen, um Nähe zu den in den dreißiger Jahren entstandenen Jazz- und Varieté-Orchestern herzustellen, was grandios gelungen ist.

Das Stück ist von Anfang an ein Augen- und Ohrenschmaus, was auch an dem schönen Bühnenbild (Emma Gaudiano) und den tollen Kostümen (Anja Schulz-Hentrich) liegt. Da weitgehend darauf verzichtet wurde, Bezüge zur Gegenwart herzustellen, wurde den Zuschauern umso eindringlicher vor Augen geführt, was uns verloren gegangen war. Die Wiederaufführung von Abrahams Operetten ist ein wichtiger Schritt, die von der Nazidiktatur geschlagenen Wunden zu heilen.

Die Geschichte ist einfach: In Hollywood sitzt Filmproduzent Macintosh, der seinem Konkurrenten zu unterliegen droht. Deshalb soll seine Tochter Marylou dessen Sohn heiraten. Sie weigert sich und bietet an, selbst einen Film zu drehen, nach wahren Schicksalen. Im Gesellschaftsteil einer Zeitung erfährt sie von der in Spanien abgesetzten Infantin Isabella, die sich mit ihrem Gefolge in einem Grand-Hotel in Cannes aufhält. Die will Marylou für ihren Film gewinnen. Aber ehe es so weit ist, muss sie jede Menge Hindernisse überwinden, vor allem vorbei an dem in Isabella verliebten Zimmerkellner Albert, der gar kein richtiger Kellner ist.
Yuval Oren stellt neben ihrer Gesangskunst ihre schauspielerischen Fähigkeiten unter Beweis. Marian Kalus als Albert entwickelt Max-Rabe-Qualitäten. Rina Hirayama, die im Sommer bei den Schlossfestspielen bereits als Orpheus glänzte, gibt den Prinzen Andreas Stephan getreu dem Motto von Cate Blanchett: „I’m an actor, I can play anything“. Aber auch Thomas Kohls als Charmoix, Florian Tavic als Macintosh und als Baron Don Lossas, Funda Asena Aktop als Gräfin Pepita Ines, sowie Benjamin Prins als Großfürst Paul Michael tragen zum Gelingen bei. Köstlich ist das Herrenquartett (Marvin Scott, Si Young Lee, Jens Bauer, Hyun Min Kim), das aus dem Orchestergraben heraus à la Comedian Harmonists von Beginn an für Schwung sorgt.

Nächste Aufführungen: 13.12., 19.12., 21.12., 26.12., 27.12., 28.12., 29.12., 31.12.

Ministerpräsident mit ungeklärten Plagiatsvorwürfen?

Veröffentlicht am

Der Koalitionsvertrag der sogenannten Brombeer-Koalition steht, und CDU-Chef Mario Voigt will sich am 10. Dezember zum Ministerpräsidenten wählen lassen. Die Universität Chemnitz hat im August ein Verfahren zur Prüfung der Plagiatsvorwürfe eröffnet, aber das Ergebnis lässt auf sich warten.

Annette Schwan und Karl-Theodor zu Guttenberg verloren wegen einer geringeren Plagiatszahl, als sie in Voigts Dissertation vorhanden sein soll, ihre Titel und mussten von ihren Ministerämtern zurücktreten. Soll sich Voigt mit ungeprüften Vorwürfen wählen lassen?

Voigts Doktorvater, Professor Eckard Jesse, hat mir gegenüber einmal geäußert, Wikipedia wäre ein unseriöses Medium, das man nicht zur Kenntnis nehmen dürfe. Nun soll sein Doktorand ausgerechnet auch von Wikipedia abgeschrieben haben. Wenn das stimmt und Wikipedia „unseriös“ ist, wäre das allein nicht schon ein Grund, berechtigte Zweifel an der Wissenschaftlichkeit der Dissertation zu haben? „Ministerpräsident mit ungeklärten Plagiatsvorwürfen?“ weiterlesen

Die letzten Europäer

Veröffentlicht am

Warum ist eine der produktivsten Epochen Europas so wenig im Gedächtnis der Europäer verankert? Dieser Frage geht Bernd Wagner in seinem Buch „Die letzten Europäer“ nach. Die Zeit von 1871 bis zum Ersten Weltkrieg hat wie kaum eine andere Epoche Deutschland und Europa geprägt. Dennoch ist sie aus dem kollektiven Gedächtnis fast verschwunden.

„Wenn wir in eine Allee mächtiger Platanen treten, an einer hohen Zypresse emporschauen oder vom Heuduft eines alten japanischen Schnurbaums betäubt werden, können wir davon ausgehen, dass sie zu eben dieser Zeit gepflanzt wurden, in einer Epoche, in der der Norden den Süden, Westen und Osten bei sich willkommen hieß. Wenn abends die Straßenlaternen aufleuchten, wenn wir ins Kino gehen, wenn wir die Toilettenspülung betätigen oder heißes Wasser in eine Wanne fließen lassen, wenn wir per Telefon ein Taxi bestellen, um uns von diesem zu einem Bahnhof oder Flugplatz bringen zu lassen … nutzen wir in jedem dieser Fälle Erfindungen aus dieser Zeit um die vorletzte Jahrhundertwende.“

In Frankreich wird sie immerhin „Belle Époque“ genannt, in Deutschland „Wilhelmismus“, was nicht nur trist, sondern negativ klingt. Die Menschen, die in dieser Zeit geboren wurden, werden die „Zwischengeneration“ genannt. Zwischen was? Ein Zeitalter ging spätestens mit der Aufklärung seinem Ende zu. Das neue Zeitalter, das im Entstehen ist, hat immer noch keinen Namen. Sicher ist nur, dass es nicht das „Age of Aquarius“, das sich die Generation der 60er- und 70er-Jahre des letzten Jahrhunderts erträumte, oder das Ende der Geschichte ist, wie nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Blocks hoffnungstrunken prophezeit wurde. „Die letzten Europäer“ weiterlesen

Frieden schaffen ohne Waffen ?

Veröffentlicht am

Für meinen Beitrag über das Buch von Fred Schumacher „Waffen für die Welt“ habe ich viele Reaktionen bekommen. Mein Freund Peter Schewe hat mir seine „etwas andere Sicht“ geschickt. Diese will ich, auch wenn ich sie nicht teile, meinen Lesern nicht vorenthalten. Das ist mein kleiner Beitrag zur Meinungsfreiheit:

Von Peter Schewe

Immer wieder begegnen mir hier im alten Westen Leute, die meinen, der Frieden, dessen wir uns seit fast 80 Jahren erfreuen dürfen, sei das Ergebnis ihrer Friedensgesinnung. Es ist die Generation der Ostermaschierer und Kriegsdienstverweigerer, die gegen Wiederbewaffnung, Raketenstationierung, Atomkraft usw. auf die Straße gingen und meinen, dadurch den Frieden bewahrt zu haben.

Sie verkennen dabei völlig, dass dieser fragile Frieden nur dadurch hielt, weil der Westen genau das tat, wogegen sie demonstrierten: Den Natodoppelbeschluss umsetzen, die Stationierung von Atomwaffen in Europa als einzig wirkende Abschreckung gegen kommunistische Eroberungsgelüste. Es ist allein den USA zu verdanken, dass die alte Bundesrepublik vom russischen Traum. die Machtsphäre bis an den Atlantik auszuweiten, unbehelligt blieb, denn genau darauf wurden wir Wehrdienstleistende in der NVA nämlich trainiert und ideologisch vorbereitet.

Und genau diese Haltung taucht heute in Bezug auf den Ukrainekrieg wieder auf. Obwohl nunmehr bewiesen ist, dass Lenins Erben vor keinem Verbrechen zurückschrecken und ihnen das Leben abertausender Menschen völlig egal ist, meint man immer noch, durch keine Lieferung von Waffen an die Ukraine den Frieden herbeischaffen zu können. „Frieden schaffen ohne Waffen ?“ weiterlesen

Eine notwendige Ergänzung

Veröffentlicht am

Über den ersten Satz meines Artikels über das Buch von Fred Schumacher „Waffen für die Welt“ hat es Irritationen gegeben. Ich hatte – das war, wie sich herausstellte, ein Fehler – nur die amerikanischen Raketen erwähnt, die in den 80er-Jahren stationiert wurden. Das ist mir unterlaufen, weil es heute um die Stationierung von amerikanischen Raketen geht. Aber natürlich sind damals keine amerikanischen Raketen in der DDR stationiert worden. Dass man das herauslesen könnte, ist mir nicht in den Sinn gekommen. Schließlich habe ich aktiv gegen die sowjetischen Atomraketen in der DDR gekämpft und bin dafür mit Berufsverbot und anderen Schikanen bestraft worden. Dass man mir unterstellen könnte, ich würde die sowjetische Haltung schönreden wollen, war für mich undenkbar. Wohl eine Art Betriebsblindheit. Ich habe auch immer vor Putin gewarnt – einmal KGB-Mann, immer KGB-Mann. Dass ich jetzt als „Putin-Versteherin“ bezeichnet werde, zeigt mir, wie vergiftet die Atmosphäre ist. „Eine notwendige Ergänzung“ weiterlesen

Waffen für die Welt – Rheinmetall und das Geschäft mit dem Krieg

Veröffentlicht am

Mich erinnern heutige Zeiten an die 80er-Jahre, in denen in Ost und West eine starke Friedensbewegung gegen die Stationierung von Atomraketen an der Grenze des geteilten Deutschlands auf die Straße gegangen ist. Nur, dass es heute beinahe totenstill bleibt, wenn die Stationierung von amerikanischen Langstreckenraketen verkündet wird, die den Ukrainekrieg auf Deutschland ausdehnen könnten. Es fehlte auch ein unüberhörbarer Aufschrei, als der Kanzlerkandidat der Union, Friedrich Merz, verkündete, er würde als Kanzler Putin ein Ultimatum stellen, den Krieg gegen die Ukraine innerhalb von 24 Stunden zu beenden, ansonsten würde er Taurus-Raketen in die Ukraine schicken.

Kürzlich hörte ich einen ehemaligen DDR-Bürgerrechtler sagen, dass man die ganze Friedensbewegung doch vergessen könnte, geholfen hätte nur die Nachrüstung. Nur durch die sei die Sowjetunion in die Knie gegangen. Also müsste man jetzt wieder militärische Stärke zeigen. Ich habe den Mann, der auch mit mir im Bundestag war, nicht gefragt, ob er Putin für seine Rede 2001 stehenden Beifall gespendet hat. Nach meiner Erinnerung waren fast alle Parlamentarier wie ein Mann aufgestanden. Nur auf den hintersten Bänken gab es außer mir nur zwei oder drei Abgeordnete, die das nicht taten. Von denen, die applaudierten, sind heute noch etliche aktiv, und sie erklären Putin für den Gottseibeiuns, den schlimmsten Feind des Westens.
Ich war auch in der letzten Volkskammer dabei, als Gorbatschows Bedingung, dass bei einer Vereinigung der beiden deutschen Teilstaaten garantiert werden müsse, dass die NATO nicht an die Grenze der Sowjetunion ausgedehnt würde. Inzwischen verkünden Politiker, dieses Versprechen hätte man nur mündlich gegeben, es sei niemals schriftlich fixiert worden. Gorbatschow hat den deutschen Politikern also unberechtigt vertraut. „Waffen für die Welt – Rheinmetall und das Geschäft mit dem Krieg“ weiterlesen

Im Rausch der Dekadenz – Der Westen am Scheideweg

Veröffentlicht am

Inzwischen ist das Unbehagen über die Entwicklung in Deutschland allgemein, aber den meisten Menschen ist noch nicht klar, wie weit unser Land auf dem Abstieg bereits gekommen ist. Josef Kraus hat sich in seinem neuen Buch daran gemacht, das zu untersuchen. Das Ergebnis ist erschreckend. Selbst genaue Beobachter wie ich werden überrascht sein, wie tief Deutschland und der Westen bereits gesunken sind. Das Problem ist, dass viele deutliche Verfallszeichen zwar wahrgenommen, aber in der Hektik der sich überstürzenden Ereignisse wieder vergessen werden. Bisher fehlte es an einer systematischen Gesamtschau, die Kraus nun liefert.

Nach einem Parforceritt durch die Geschichte der Dekadenz wendet sich Kraus dem Verfall der rechtsstaatlichen Institutionen zu. Leben wir noch in einer Demokratie oder schon in einer Demokratur? Letzteres. Die Meinungsfreiheit, Garant für eine funktionierende Demokratie, ist in den letzten Jahrzehnten erst schleichend, dann immer offener bekämpft worden. Inzwischen haben wir es mit einer regelrechten Jagd auf alle zu tun, die noch wagen, eine unabhängige oder den „Eliten“ missliebige Meinung zu haben. Angeführt wird sie von Politikern der Bundesregierung, die mit Hilfe von Denunziationsplattformen, die wie Pilze aus dem Boden schießen, das Netz nach missliebigen Äußerungen absuchen lassen und dann die Staatsanwaltschaft auf die „Delinquenten“ in Marsch setzen. Das Geld, das durch die Abmahnungen gewonnen wird, teilen sich Politiker und Plattformen. Denunziation als Geschäftsmodell. Gleichzeitig können sich die Staatsanwaltschaften, die mit solchen Anzeigen geflutet werden, kaum noch um ihre eigentlichen Aufgaben kümmern. „Im Rausch der Dekadenz – Der Westen am Scheideweg“ weiterlesen

Von Brandmaurern und anderen Flickschustern

Veröffentlicht am

Von Ulrich Sauer

Sage keiner, wir Deutschen könnten uns nicht in großen historischen Dimensionen bewegen. Wäre ja auch verwunderlich in einem Land der Dichter, Denker und Weltenlehrer.

Den ganz Alten unter uns wurde noch das tausendjährige Reich eingetrichtert. Aktuell beschäftigt uns ein Phänomen mit Ewigkeitsgarantie, die Brandmauer gegen rechts.

Dabei muss man wissen, dass dieses nicht zu hinterfragende politische Dogma aus dem sozialistischen, antifaschistischen Universum kommt.

Nach den Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg hatten und haben vor allem unsere öffentlich-rechtlichen Oberlehrer wieder Gelegenheit, Nebelkerzen zu werfen und die Diskussion vom Kern der Dinge wegzuführen. „Von Brandmaurern und anderen Flickschustern“ weiterlesen

Der gebeugte Rechtsstaat oder von der Wiederkehr des Unmenschlichen.

Veröffentlicht am

Von Ulrich Sauer

Am Buß-und Bettag hat der Bundesgerichtshof die Revision von Christian Dettmar, dem „Weimarer Maskenrichter“, verworfen und damit dessen Verurteilung wegen Rechtsbeugung rechtskräftig werden lassen. Zugleich hat es aber auch die Revision der Staatsanwaltschaft Erfurt verworfen und damit deren Versuch, den Richter hinter Gitter zu bringen, vereitelt. Nur diese Entscheidung soll und muss unter die Lupe genommen werden, schließt sie doch ein dunkles, von der Öffentlichkeit bisher kaum wahrgenommenes Kapitel in der deutschen Rechtsgeschichte ab.

Das Vorgehen der Staatsanwaltschaft nach der Verurteilung des Richters „nur“ zu einer Bewährungsstrafe ist bemerkens- und besprechenswert.

Wer oder was hat die Staatsanwaltschaft getrieben, die vom Landgericht Erfurt verhängte Bewährungsstrafe im Wege der Revision anzugreifen, um den Richter hinter Gitter zu bringen? War doch schon die Bewährungsstrafe wegen der damit verbundenen Entfernung aus dem Richterdienst gleichbedeutend mit dem persönlichen Ruin. Also Strafe genug. War es deshalb geboten, einen schon Zerstörten zusätzlich noch auf eine Stufe mit Schwerverbrechern, wie Kinderschändern etwa, zu stellen? Selbst brutale Schläger halten inne, wenn ihr Opfer wehrlos am Boden liegt. Es fällt schwer, sachgerechte Motive zu entdecken. „Der gebeugte Rechtsstaat oder von der Wiederkehr des Unmenschlichen.“ weiterlesen