Von Lothar W. Pawliczak
Rezension zu Axel Krause: BlauPause. edition buchhaus loschwitz. Dresden 2024
Gibt es Gemälde des Liberalismus, kann man einen Maler so bezeichnen? Warum nicht? Wenn man Lucas Cranach den Jüngeren als Maler der Reformation, Caspar David Friedrich als „Gedankenmaler der Romantik“ bezeichnen kann, wenn Kandinsky und andere als Maler der Avantgarde bezeichnet werden, dann ist auch liberales Malen möglich. Als Kunstliebhaber, ohne Experte zu sein, kann und will ich jedoch keine Interpretationen von Axel Krauses Werk geben. Jeder hat wohl eine andere Deutung von Kunstwerken, andere Assoziationen, entnimmt dem andere Anregungen. Die Erörterungen von Hans-Joachim Maaz und Sebastian Hennig zu Axel Krause (S. 7-9) stehen für sich, bedürfen keines Kommentars.
Axel Krauses Werke sind, wie er selbst schreibt, „Bildfindungen; in Tagträumen“ (S. 5), „Schwingungen des Unbewußten [wandern] vom Maler zum Betrachter“ (S. 42). Texte, die er gelegentlich zu seinen Bildern formuliert, sind wie seine Gemälde vielfältig assoziierend, interpretativ wie kommunikativ offen. Und das ist auch gut so! Und notwendig! Denn „das, was wir Kunst nennen, ist immateriell. Es ist die entstehende Resonanz im Rezipienten, die vollzogene geistig-sinnliche-emotionale Kommunikation zwischen (mindestens) zwei Menschen.“ (S. 83) Das Kunstwerk wird erst mit dem Rezipienten, dessen Assoziationen und Interpretationen des Gesehenen, Gelesenen oder Gehörten, die an die des Künstlers anknüpfen, aber über sie hinausgehen, vollendet. Da stimmt der liberale Ökonom zu: So wie jedes Produkt erst im Bedürfnis vollendet ist. Mißlingt in der Marktwirtschaft der Verkauf, war die Arbeit verschwendet (Seite 84 kann man ein paar treffende Sätze eines Künstlers zur Wertbildung aufgrund der Nachfrage lesen, der die Grenznutzentheorie wahrscheinlich nicht umfänglich kennt.). Wird dem Künstler der Zugang zu Rezipienten be- oder abgeschnitten, wird Kunst vernichtet (Axel Krause weiß, wovon er da mit einer leichten Andeutung Seite 83 redet und wir wissen es auch.). Und wenn er formuliert, „Kunst ist immer ein Modell“ (S. 82), stimmt der Philosoph zu: Wie die Wissenschaft, die Modelle produziert, um die Wirklichkeit ein wenig besser zu verstehen.
Axel Krause gibt in einem resümierenden Text Schlüsselbilder (S. 120-123) Hinweise zu Entstehung und zur Bezugnahme einiger seiner Werke aufeinander. Das ist anregend, Weiteres zu entdecken, „weitere Geschwister“ zu diesen Werken und natürlich auch Hommagen an Edward Hopper (nicht nur dort, wo es im Bildtitel steht) und anderen Künstlern, Annäherungen, Bildzitate, Schauspieler, die auf den Gemälden eher etwas verkörpern als daß sie porträtiert sind.
Ich will Anderes, Einfacheres erwähnen, was ich entdeckt habe: Die Figuren, eigentlich immer im Bild voneinander isoliert, blicken oft von Terrassen weit in den Bildhintergrund (S. 4, 13, 17, 24, 26, 40, 41, 53, 54, 57, 58, 59, 60, 67, 68, 69, 77, 85, 87, 122, 123) und es müssen vermutlich weitere Terrassenbilder gemalt werden, meint Axel Krause Seite 122. Wir sehen diese Figuren von hinten, wissen nicht, wie sie wirklich die Welt betrachten: aufgeschlossen, kritisch. neugierig, romantisch, verklärend? Eine Balustrade, ein Gitter, mitunter auch ein Fenster schließt sie gegen die Welt ab, in die sie blicken. Es ist eine weite, lichte Welt ohne trübende Atmosphäre (Womit nichts gegen die atmosphärische Perspektive gesagt werden soll.). Die Luft ist oft hell, streublau, ganz anders das frühe Atelierbild aus seiner Studienzeit, wo das Licht von außen kalt, ja eisig ist. Dort noch, in Das Atelier arbeiten die beiden jungen Künstler ohne Zuschauer „in Front zueinander und miteinander […] ihre Vitalität im Spiegelgefecht konditionieren[d], sehr ernst und auch etwas komisch“ (S. 121) – 24 Jahre später ist das Gefecht als Die Darbietung (S. 94) draußen und die Frau blickt in dessen Richtung an den Kämpfern vorbei.
Die Figuren in den Bildern schauen sich selten an, schauen meistens aneinander vorbei, sind wie – gegen ihren Willen? – hingestellt. Auch wenn sie aus dem Bild herausschauen, blicken sie den Betrachter nicht an. Der Mann, der mit strengen Blick durch das Fenster zum Nebenraum des Musikzimmer (S. 90) auf uns schaut, und vor allem das übergroße Porträt in Lichtjahr (S. 63) ist eine Ausnahme: Die Schauspielerin, halb über die Schulter gedreht, hinter ihr eine gewundene Treppe zu einer Balustrade, schaut mit klarem, vielleicht fragenden Blick auf den Betrachter. Sie schaut nicht in den Raum, wo eine Frau mit einer Taschenlampe – suchend, aber nicht zum Naheliegenden, sondern in die Ferne blickend – auf einer ebensolchen Balustrade steht, zu der eine ebenso gewundene Treppe führt.
Anders die Kinder: Sie stehen oft – dahinplatziert – frontal zum Betrachter mit direktem, fragenden, vielleicht auch vorwurfsvollen, nachdenklichem Blick, statisch und zugleich in sich gekehrt und für den außen Stehenden kaum zugänglich (S. 17, 35, 46, 59, 79, 91, 93, 103). Sehen sie durch uns hindurch? Sind die Kinder die Hoffnung?
Die Hoffnung ist, daß man nicht wissen kann, was die Zukunft bringt. Wer behauptet, das von ihm Gewollte sei der Fortschritt, ist entweder ein Illusionist oder ein unverschämter Demagoge. „Wohin weiß man erst, wenn Ankunft droht. Entwicklung bleibt ein Abenteuer, ob Solo oder im Duett, mit schwarzen oder weißen Rollen. Ein feierlicher Akt im trivialen Dasein, solange der Gestaltungswille trägt! Hoffen wir auf dessen Unerschöpflichkeit als wesentlichstes Element!“ (S. 36)
Gelobt sei schließlich das Layout, gestaltet von Caroline Kober und Axel Krause. Und die Herausgeberin des prächtigen Buches für den Druck auf griffigem Papier, der die Gemälde präzise und ohne überflüssigem Glanz wiedergibt: Susanne Dagen. Danke!