Dreißig Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, der, wie wir jetzt wissen, nicht zum Ende der Geschichte, zum globalen Sieg der Demokratie geführt hat, befindet sich Europa in tiefen Turbulenzen und Selbstzweifeln. Wenn man sich die Frage stellt, wie es dazu kommen konnte, ist eine nahe liegende Antwort, dass die Geschicke Europas nach dem Zweiten Weltkrieg von einer Generation gestaltet wurden, die von einer heute kaum noch vorstellbaren Gewalterfahrung geprägt war.
Dieses Thema ist von betroffenen Literaten aufgegriffen worden. Für Deutschland seien nur Siegfried Lenz, Arno Surminski, Walter Kempowski, aber auch Christa Wolf genannt. Kaum in den Blick genommen wurde die Tatsache, dass diese Generation ihre Traumata mehr oder weniger verdeckt und unbewusst an ihre Nachkommen weiter gegeben hat. Noch die Enkel leiden an den Folgen. Das wird erst allmählich erkannt und thematisiert. Es ist das große Verdienst von Sabine Rennefanz, sich dieses prägenden Problems in ihrem neuen Roman „Die Mutter meiner Mutter“ angenommen zu haben. Kaum hatte ich die ersten Seiten dieses Buches gelesen, konnte ich es nicht mehr aus der Hand legen. Nur unterbrochen vom unumgänglichen Nachtschlaf habe ich es in einem Zug ausgelesen.