Eine Vorkriegsanalyse des Buchs von Dirk Rossmann – Der neunte Arm des Oktopus
Von Philipp Lengsfeld
Hinweis aus aktuellem Anlass (Feb. 25):
Der Text entstand, bevor Wladimir Putin die freie und unabhängige Ukraine angegriffen hat. Trotz der dramatischen Lage scheint mir eine Veröffentlichung immer noch vertretbar, selbst wenn die in Dirk Rossmann’s Buch vorkommenden Akteure Putin, Xi und Schröder sicherlich angesichts der aktuellen Entwicklungen noch mal historisch in einem ganz anderen Licht zu sehen sind. Ich könnte mir auch vorstellen, dass Dirk Rossmann sein Buch im Lichte der Ereignisse jetzt selber deutlich anders bewerten würde.
Letztens habe ich endlich mal das Buch von Dirk Rossmann „Der neunte Arm des Oktopus“ aus dem Jahre 2020 gelesen.
Diese Klimaweltrettungsschnurre des Drogerie-Königs fand ich durchaus unterhaltsam und lesenswert. Vor allem ist es aber ein wirklich tolles Abbild mancher in Deutschland sehr prävalenten Denkungsart.
Die Story ist schnell erzählt und ich hoffe, ich spoilere das persönliche Ende nicht, für alle die dieses Buch noch nicht gelesen haben. Das Setting ist der C02-Klimaweltuntergang.
Am Di, den 8. Mai 2018 sitzt eine deutsche Herren-Skatrunde in Hannover, genauer im „Kokenhof“ in Großburgwedel bei Hannover (ja, genau das Großburgwedel, wo Bundespräsident Wulff sein Haus finanziert hat, was dann letztlich zur meines Erachtens nach unnötigen Abkürzung seiner Amtszeit geführt hatte): Die vier Männer sind Zahnarzt Klaus Schwetje, Unternehmer und (damaliger) Fussball-Hannover 96-Präsident Martin Kind, Alt-Kanzler Gerhard Schröder und natürlich Konzerninhaber Dirk Rossmann. Man kloppt Skat und kommt irgendwann -wie wohl in jeder zünftigen deutschen Skatrunde- beim Thema Weltrettung an – und da es ja auch noch ein ganz besonderer Tag im deutsch-russischen Kalender ist und der Alt-Kanzler Schröder ja bekanntermaßen einen guten Draht zu Präsident Putin hat, kann ihn Dirk Rossmann überreden: Wladimir Wladimirowitsch soll ein Buch lesen, das ihn endgültig erleuchtet: Das Ganze klappt dann auch (das Buch bezieht sich auf den titelgebenden Oktopus, Präsident Putin ist von einem Werk über die Weisheit der Oktopus schwer begeistert, besucht dann auch die Autorin und deren Oktopus, der Beginn einer wunderbaren Klima-Natur-Erleuchtung – diesen Teil des Buches habe ich nicht verstanden, aber ich kenne die Magie des Oktopus-Originalwerks -im Gegensatz zu Präsident Putin bei Dirk Rossmann- auch nicht).
Veranlasst durch das Buch knüpft Putin Kontakte zu Präsident Xi und diese gemeinsam zur zukünftigen Präsidentin Kamala Harris. Die Drei werden sich schnell einig: Die Welt muss vor dem Klimauntergang gerettet werden. Und das geht auch, wenn alle drei zusammenhalten: Drei Systeme, ein Plan: Weltrettung, koste es, was es wolle.
Finden Sie, dass dies alles leicht kraus klingt?
Ja, vielleicht, aber Rossmann scheint es ziemlich ernst zu meinen und er hat die Konsequenzen auch stringent durchdacht: Auf der Mitte des Buches verkündet Präsidentin Harris bei ihrer Inauguration 2025 die neue Linie: Die USA treten mit sofortiger Wirkung aus NATO und Vereinten Nationen aus. Stattdessen gibt es eine Weltregierung der Erleuchteten Drei: Jeder Regierung, jedem Volk, welche bei der Weltrettung nicht mitmachen will werden massiv bedroht. Sie werden „nicht mehr als befreundete Staaten angesehen und müssen mit Sanktionen unterschiedlicher Art rechnen“.
Überall wird instantan eine Art Klima-Planwirtschaft eingeführt: Bezugsscheine für Fleisch, Einschränkung der Fahrleistung, Senkung des Energiebedarfs pro Haushalt, drastische Einschränkung des Flugverkehrs, Vermögenssteuer. Ach so und natürlich auch Abrüstung – die darf natürlich nicht fehlen.
Und soll wohl neben der Vermögenssteuer und dem allgemeinen Verzicht die Gegenfinanzierung sein – jedenfalls im Westen – wie Präsidentes Putin und Xi ihre jeweiligen Länder auf Linie bringen, führt Rossmann nicht weiter aus, will man aber vielleicht auch gar nicht so genau wissen.
Mit Finessen der Klimaforschung beschäftigt sich Rossmann in seinem Werk übrigens eher peripher, mit einer Herleitung hält er sich auch nicht auf, die Klimakatastrophe sieht ja jeder auf der Welt, wenn er oder sie aus dem Fenster sieht (wenn nicht muss man halt noch mal Al Gores Film anschauen oder den ZDF-Wetterbericht). Und auch nicht mit der Lösung: Sein Wundermittel zur Klimaweltrettung scheint ein aggressives Aufforstungsprogramm unter Zuhilfenahme von modernen Züchtungsmethoden (Gen!) zu sein – immerhin schiebt er in der 2100-Rückblende aus der Zukunft ein, dass dieses Programm von den Wissenschaftlern unter höchstem Risiko gefahren wurde.
Ansonsten ist Rossmann im Buch vor allem ein obsessiver Feind des Wachstums, insbesondere des Bevölkerungswachstums.
Die Rossmann-Präsidentin Harris verkündet: „Neben dem Klimaziel und der Schonung der Ressourcen steht für uns das Null-Bevölkerungswachstum auf der Erde im Mittelpunkt“. Und damit es konkret wird: „Noch heute wird der Präsident von Nigeria die sofortige Einführung einer Ein-Kind-Politik verkünden. Die Blaupause wird die Politik Chinas sein“. Nur wenig später fantasiert Rossmann von einer Ein-Kind-Politik in ganz Afrika.
Spätestens an diesem Punkt kommen dem Leser doch erhebliche Zweifel: Hat Konzernlenker Rossmann nicht registriert, dass die kommunistische Ein-Kind-Politik in China krachend gescheitert ist und in mehreren Generationen viel Leid in den Familien erzeugt hat? Und dem Land eine riesige Bürde (Stichwort Überalterung, Stichwort Jungmännerüberhang) beschert hat? Denkt der deutsche Skatspieler ernsthaft, dass ein Präsident Putin ähnliches in seinem Reich jemals anweisen wollen würde?
Dass dies mit Demokratie und Freiheit natürlich alles überhaupt nicht vereinbar ist, ist ja eh klar – aber hier versucht Rossmann ja gar nicht erst groß etwas zu verstecken.
Nein, Freiheit und Demokratie sind die gefährlichsten Risiken für die deutsche Skat-Weltrettung. Deshalb darf die ganze Erleuchtungsarie auch nur unter allergrößter Geheimhaltung stattfinden.
Offene Diskussionen und Kritik sind des Teufels (hat dies Rossmann eventuell von einem Teil der Klimaforschung, die ja neuerdings auch nur noch auf Angst-Emotio-Überwältigung setzen und Diskussionen nur allzu gerne als „Leugnung“ verteufeln?).
Es ist deshalb auch nur folgerichtig, dass die Gegner der Erleuchteten Drei (Xi, Putin und Harris bekommen im Abspann-Ausblick selbstverständlich den Friedensnobelpreis) Länder wie Indien und vor allem Brasilien sind.
Und das ist auch der eigentliche Kern des Buchstoffs – die Erleuchteten Drei haben nicht nur renitente Gegner in Ländern, wie Brasilien und Indien, sondern es gibt auch sinistere Kräfte im Inneren – die erzkonservativen Friedens- und Klimarettungsgegner aus Russland China verbünden sich und versuchen eine Desinformations- und Destabilisierungs-Intrige vom Feinsten: Sie finanzieren und versorgen Brasilien illegal mit hypermodernen Angriffswaffen (mit Hilfe eines schwarz-afrikanischen Mafia-Großwaffenhändlers), schüren kräftig den sich eh anbahnenden Konflikt zwischen dem renitenten Brasilien und den Erleuchteten Drei und haben dann eine genial-perfide Idee: Wenn der latent größenwahnsinnige brasilianische Präsident die Information zugespielt bekommt, dass der Aufmarsch der Erleuchteten Drei (die Klimaweltrettungsgroßmächte ziehen eine Armada vor Brasilien auf, um das Land auf Klimakurs zu zwingen) letztlich nur ein Bluff ist, dann kann er sein Ego und seinen Status durch einen Präventivschlag mit den modernen Waffen stärken. Dies würde dann zur vollständigen Vernichtung Brasiliens führen und damit wäre die Allianz der drei Klimaretter politisch-moralisch am Ende.
Ein Plan so punktgenau, dass er auch beim Skat im Kokenhof, Großburgwedel bei Hannover hätten entstanden sein können.
Dirk Rossmann lässt aber die letztlich grundehrlichen, auch grenzwertig genialen, aber wohl auch für Dirk Rossmann zu dogmatischen Sino-Russo-Konservativen-Kombo-Genossen scheitern. Und zwar an einer Kombination ihrer eigenen Schwächen -der Russe muss dem Chinesen z.B. unbedingt gutes chinesisches Essen in Brasilien genehmigen- und den guten Gegenkräften: Einem ziemlich unbeholfenen Amateur-Spion-Koch, einem coolen, superreichen Fussball-Präsidenten (gut, dass es beim Fussball eine Pause gibt) und einer nicht super-erfolgreichen, aber genialen brasilianischen Geheimdienstoffizierin – der Plan fliegt auf, der fiese schwarz-afrikanisch-muslimische Waffenhändler stirbt durch die kombinierte Abwehrkraft von Koch und Offizierin, der brasilianische Präsident wird abgesetzt, die Invasion abgewendet und der Klimafrieden von Großburgwedel bis Wladiwostok gerettet.
Mein Fazit:
Wenn das Energiewendeproblem in Deutschland nicht so schwerwiegend wäre und die Europakrise durch eine mögliche von Präsident Putin befehligte Invasion der Westukraine nicht so ernst, dann könnte man dieses Buch wohl als bundesdeutsche Realfolklore abtun.
Leider hat Dirk Rossmann aber das niedergeschrieben, was nicht nur in einigen Skatrundenhirnen rumspukt: Das Buch ist durchzogen von einer aus meiner Sicht brandgefährlichen Abneigung gegen Demokratie und Freiheit, von einer tiefsitzenden, fortschrittsfeindlichen, aber extrem missionarischen Weltuntergangsfurcht und von einer geradezu grotesken Hoffnung auf die Gutmütigkeit und Einsicht von mächtigen Autokraten, wie Präsident Xi und Putin.
Ich kann nur hoffen, dass die momentane deutsche und amerikanische Führung – Kamala Harris ist ja tatsächlich Vizepräsidentin geworden – nicht den Rossmann-deutschen Illusionen anhängt.
Der Besuch bei einem Oktopus wird Präsident Putin jedenfalls garantiert nicht auf einen Friedenskurs bringen.
Und Russlands Rolle beim CO2-Weltrettungs-Karusell habe ich nie verstanden – aber dazu müsste ich vielleicht mal in Großburgwedel Skat spielen.
Dieser Text erschien zuerst auf AchGut.com