Die unheimliche Stille nach dem Buttersäureanschlag auf das Buchhaus Loschwitz

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Ein Zwischenruf des Schriftstellers Uwe Kolbe

Sie haben Recht, Oliver Reinhard!
Sie haben Recht, es gibt viel zu wenig Aufruhr nach dem Attentat auf das Buchhaus Loschwitz. Belasse ich es also nicht bei Emails an die angegriffenen Buchhändler. Nicht dabei, ihnen selbstverständlich zur Seite zu stehen, als ihr Kunde und quasi Nachbar. Belasse ich es nicht bei der Reaktion im Postfach von Mitarbeiterinnen der Dresdner Feuilletons.
Mutmaßliche Freundinnen von anonymen linksradikalen Meinungsäußerungen an Dresdner Brücken oder frisch renovierten Schulwänden haben das Buchhaus Loschwitz angegriffen.
Brandsatz und Buttersäure durch die Schaufensterscheibe ist hier nicht nur ein Angriff auf ein Geschäft in Zeiten der Pandemie. Es ist nicht nur ein Angriff auf ein selbständiges, von „Staatsknete“ unabhängiges, Steuern zahlendes Unternehmen. Es bedeutet nicht nur einen Angriff auf Bücher nach anrüchiger Tradition. Der schmutzige Sprengsatz, ins Wohnhaus der Besitzerfamilie geworfen, nimmt alles in Kauf, was sich bei einem Anschlag auf schlafende Menschen denken lässt.


Nun aber, liebe Freundinnen und Freunde des offenen Worts, das stets willkommen ist, wenn es von der eigenen Seite klingt – diesmal tut es das nicht! Es soll und es muss auch von der anderen Seite kommen. Sonst ist der vielbeschworene gesellschaftliche Diskurs im Eimer. In dem Sinne, wie Buchhändler Jörg Stübing aus der Dresdner Neustadt den Dissidenten George Orwell zitiert, aus dem seinerzeit unterdrückten Vorwort zu „Farm der Tiere“: “Falls Freiheit überhaupt irgendetwas bedeutet, dann bedeutet sie das Recht darauf, den Leuten das zu sagen, was sie nicht hören wollen.”
Mein kurzes offenes Wort gilt meinem verehrten Kollegen Durs Grünbein. In der „Sächsischen Zeitung“ vom 22. April 2021 wird er neben seiner Verurteilung des Anschlags auf das Buchhaus Loschwitz mit dem Satz zitiert, er hoffe, „dass daraus kein politisches Kapital geschlagen wird…“
Nun, lieber Durs – was denn sonst? Wäre das Ziel des Attentats ein anderes gewesen, ein multikulturelles, ein von antibürgerlichen Schwäbinnen besetztes Haus, das Lokal eines Vereins, an dem die Regenbogenfahne weht – was wäre geschehen? Es wäre jede Menge „politisches Kapital“ daraus geschlagen worden.
Näher heran an die Vorgänge in der Nachbarschaft: Hätte eine politisch rechts einzuordnende Phalanx von Musikern, Künstlern, wohlsituierten Lokalpatrioten im Mai 2020 verhindert, dass ein gewählter Kulturamtsleiter wegen Verbindungen ins linksradikale Milieu vor Amtsantritt wieder davongejagt worden wäre (in Umkehrung dessen, was Jörg Bernig in Radebeul widerfahren ist) – hätte da etwa nicht „politisches Kapital“ in größter Münze Stadt und Land geflutet?
Ich schenke mir Beispiele von Geschehnissen auf Dresdner Straßen, bei denen 2020 sogar Menschen ums Leben kamen – nicht nur das Ganze in der Umkehrung zu denken zu geben, sondern festzustellen, dass eben kein politisches Kapital daraus geschlagen wurde. Vielleicht, weil es sich menschlich verbietet. Vielleicht, weil der übliche Aufschrei, es könnte jemand von der falschen Seite Beifall klatschen oder Nutzen ziehen, eine andere Partei als die gute, eine andere Öffentlichkeit als die, die immer Recht hat, vieles unterdrückt, was miteinander besprochen werden sollte? Was unbedingt kontrovers diskutiert werden sollte? Mindestens so lange wie der Brexit im britischen Unterhaus und gerne länger?
Vielleicht unterbleibt zum Beispiel die konservative Meinungsäußerung – als Kapital im gesellschaftlichen Gespräch – zu oft, weil sie umgehend unter das Feuer des „Nazi“-Geschreis gerät? Und weil dieses Geschrei sich juristisch und medial des Beistands versichert hat und nur zu gewiss sein kann? Lieber Durs, du weißt, was alles der Buchhändlerin Susanne Dagen unterstellt wird, was so gut wie unwidersprochen über sie verbreitet werden darf, was zum Boykott ihres Geschäfts durch boykottbereite Elbhangbewohner geführt hat. Jede und jeder im Land weiß es ja, kann es nachlesen und nachhören.
Nun haben sich welche verpflichtet gefühlt, dem Wort die Tat folgen zu lassen. Herr Reinhard von der „Sächsischen Zeitung“ hat Recht: Es wird viel zu wenig Kapital daraus geschlagen, aus diesem andauernden und groben Mit-zweierlei-Maß-Messen.



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