Von Gastautor Josef Hueber
Überlegungen zur vorrangigen Verantwortung deutscher Politiker für das eigene Volk – am Beispiel Israels
Die Strategie der unscharfen Begriffe
Begriffliche Trennschärfe ist nicht gerade Kennzeichen des gegenwärtigen politischen Diskurses, sofern man überhaupt den Begriff Diskurs für die öffentliche Austragung und den Wettbewerb divergierender Meinungen anwenden kann. Man hat eher den Eindruck von verbalen Schlammschlachten, die seitens der Vertreter der politisch korrekten Elite lediglich zur Verunglimpfung Andersdenkender sowie zu ihrer eigenen moralischen Selbsterhöhung beitragen sollen. Das offensichtlichste Beispiel: Die ständige Wiederholung der Begriffskombination Nationalismus/ Rassismus/ Antisemitismus beabsichtigt einen Zusammenhang herzustellen, der abwegiger nicht sein könnte. Es liegt auf der Hand. Die Nachbarschaft schmutziger Wörter verunreinigt einen Begriff wie Nation und verhilft zu dessen assoziativ erwünschter Diskreditierung. Die Überwindung des Nationalen wird so uminterpretiert zur Überwindung von Unmenschlichkeit und nazigeprägtem Denken. Das Bekenntnis zur eigenen Nation wird – bewusst unscharf – zugleich semantisch gleichgesetzt mit Nationalismus, baugleich mit Chauvinismus. Wer national denkt, ist folglich genotypisch ein Chauvinist, ein überheblich Vorgestriger, den es zu bekämpfen gilt.
Die Stigmatisierung israelischen Selbstverständnisses
Wie sehr dies die mediale Beurteilung von Israels nationalem Denken, sein Verständnis von Nation und Identität, betrifft, ist Gemeinplatz für den kritischen Beobachter. Aktuelles Beispiel ist die Stellungnahme der regierungsgeneigten Medien am Friedensplan des US-Präsidenten Trump, in Israel weitgehend begrüßt. Sie unterstreichen in der diesbezüglichen Berichterstattung stets den (bewusst verschwiegenen, auf der Vernichtung des jüdischen Staates beharrenden) palästinensischen Protest und die damit verbundene Ablehnung. Israel stigmatisierende Formulierungen wie „besetzte Gebiete“ oder „illegale Siedlungen“ sind nur e i n Beispiel dafür, dass das jüdische Identitätsbewusstsein aus der Sicht eines nicht hinterfragbar geltenden Europäismus’ unverständlich bleibt.
Eine persönliche Begegnung auf einer Tagung
Im September 2019 fand an der Universität Eichstätt-Ingolstadt eine Tagung zum Thema „Displaced-Persons-Camps“ statt. Der Hintergrund: „Im Eichstätter DP-Camp lebten zwischen Herbst 1946 und seiner Schließung im Oktober 1949 zeitweise bis zu 1400 Personen. Bei den Bewohnerinnen und Bewohnern handelte es sich zum einen um Überlebende aus den Konzentrationslagern, zum anderen um Juden aus Ostpolen, die während des Krieges zunächst nach Sibirien deportiert worden waren. Nach Kriegsende wurden sie nach Polen repatriiert, wo sie jedoch erneut Pogromen ausgesetzt waren und deshalb nach Deutschland in die amerikanische Besatzungszone flohen.“
Eingeladen waren Zeitzeugen, die eindrucksvoll von ihren Erfahrungen berichteten. Sie lebten entweder als Kinder im Eichstätter Camp, oder sie wurden dort geboren. Nach eigenem Bekunden war es für sie in der Erinnerung keine schlechte Zeit, dennoch fiel es nicht allen leicht, nach Deutschland zu reisen.
Der Sohn einer Zeitzeugin, mit dem mich seitdem ein freundschaftlicher Gedankenaustausch verbindet, ist mir ein wertvoller Kommunikationspartner. Anlässlich der inflationären Nie-wieder!-Veranstaltungen in Deutschland sowie der von Bundespräsident Steinmeier gehaltenen Rede bei der Gedenkfeier in Yad Vashem zur Befreiung von Auschwitz bat ich um seine Sicht der deutschen Israel-Politik und des deutschen Bekenntnisses zum Einsatz für die Sicherheit Israels („Staatsräson!“). Seine Antwort ist – darüber hinaus – ein aufschlussreiches Zeugnis vom israelischen Verständnis der Beziehung Staat/Regierende und Staatsbürger.
(Übersetzung vom Autor):
„Wie du, mein lieber Freund, mich gebeten hast, findest du im Folgenden meine persönliche Zusammenfassung, die zwar nicht die israelische Bevölkerung statistisch repräsentiert, aber ich habe das Gefühl, dass ich sicherlich einen großen Teil davon repräsentiere.
Nach dem Holocaust erkannte die jüdische Führung, dass man in keiner Nation der Welt auf unsere Sicherheit vertrauen konnte. Als keiner der Staaten die Vernichtung von Juden stoppte, als es möglich war (wie z. B. der Beschuss der Eisenbahnen nach Auschwitz). Und die meisten Länder der Welt, darunter auch Großbritannien, das damals Palästina kontrollierte, haben ihre Tore für jüdische Flüchtlinge verschlossen, die versuchten, dem Terror der Nazis zu entkommen. Und da der Rest der Flüchtlinge das Inferno überlebt hat, beschlossen wir, die Richtung der Geschichte zu ändern und ein nationales Heim zu errichten, das jedem jüdischen Menschen Schutz bietet. Heute ist es jedem Juden auf der Welt klar, dass es für ihn einen sicheren Ort auf der Erde geben wird, wenn der Antisemitismus wieder auftaucht. Dieser Ort ist natürlich Israel.
Diese jüdische gegenseitige Garantie ist nicht nur ein leerer Slogan, sondern eine starke öffentliche Politik, die israelische Politiker herausfordert, manchmal bis zur Absurdität. Die israelische Öffentlichkeit verlangt, dass für jeden Israeli oder jüdischen Menschen, der in Gefahr ist, eine Lösung gefunden wird, und dass dafür sogar enorme nationale Ressourcen investiert werden. Manchmal wird sogar nur der Leichnam eines Israeli benutzt, um von seinen Feinden enormen Druck auf den Staat Israel auszuüben.“
Identität wächst aus der Geschichte
Dieses hier zutage tretende Selbstverständnis einer außerordentlichen, aus seiner Geschichte gewachsenen Verbindung zwischen dem Staat und seinen Bürgern, muss deutschen Lesern fremd erscheinen. Wir sind heute dazu angehalten, uns mit der Hinwendung zu etwas Größerem als mit einer überholten deutschen Nation zu identifizieren.