Verachtung nach unten – Wie eine Moralelite die Bürgergesellschaft bedroht-

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und wie wir sie verteidigen können. Das ist der Titel des neuesten Buches von Alexander Wendt. Es ist meines Erachtens das wichtigste politische Buch seit Beginn dieses Jahrtausends, denn es liefert eine klare Analyse des Kulturkampes, der sich vor unser aller Augen abspielt. Vom Zaun gebrochen von einer selbst ernannten Moralelite, deren Ziel es ist, das Erfolgsmodell des Westens, die Bürgergesellschaft, durch tribalistische Verhältnisse zu ersetzen. Wendt zeigt, welche neuen Strukturen sich entwickelt haben und wie sie die Welt, wie wir sie kennen bereits verändert haben. Historiker beschreiben das Römische Reich vor seinem Untergang als einen ausgehölten Koloss auf tönernen Füßen. So könnte man durchaus auch den gegenwärtigen Westen beschreiben. Er steht noch, ist aber bereits innerlich ausgehöhlt und wird einstürzen. Dieser Sturz ist gewiss, der Zeitraum ungewiss. Es sei denn, die noch vorhandenen Bürger machen sich daran, das bereits verlorenen Terrain zurückzuerobern.

Um den Prozess der Tribalisierung zu stoppen, muss er erst einmal als solcher erkannt werden. Bereits Rolf Peter Sieferle hatte in „Finis Germania“ darauf hingewiesen, dass die unkontrollierte Masseneinwanderung in Deutschland zu eine Retribalisierung der Gesellschaft führen würde. Dass die Bundesregierung bereit ist, diesen Prozess nicht etwa zu stoppen, sondern zu befördern, kann man spätestens seit dem Papier der Integrationsbeauftragten der Regierung Merkel Aydan Özogus wissen, dass Regeln des gesellschaftlichen Lebens „einem steten Wandel“ unterworfen“ seien und „permanent“ neu ausgehandelt werden müssten. Das ist die Frau, die behauptet hat, eine spezifisch deutsche Kultur sei „jenseits der Sprache, schlicht nicht identifizierbar“.

Wendt zeigt, dass der Prozess der Zersetzung der bürgerlichen Gesellschaft nicht auf Deutschland beschränkt, sondern global ist. Angetrieben wird er von einer neuen globalen Kraft, einer Tugendbewegung, die alle westlichen Gesellschaften einem permanenten Reinigungsprozess unterzieht. Diese Bewegung, die von den Universitäten ausgeht, hat nichts mit den klassischen Machtstrukturen zu tun, obwohl ihre Methoden denen der historischen Hexenjäger oder stalinistischen Partei- und Gesellschaftssäuberer ähneln. Die Tugendwächter verlangen vom Rest der Gesellschaft Regeln, die sie selbst nicht befolgen. Ihr Furor richtet sich aber keineswegs nur gegen die Unerleuchteten, sondern gegen die eigene Klientel. Je herausgehobener die Position des Tugendhaften, desto größer ist die Fallhöhe bei seinem Sturz und der Triumph derer, die seine Vernichtung bewirkt haben. Wie bei der Hexenjagd oder im Stalinismus genügt die Anzeige, um als schuldig zu gelten. Verteidigung ist praktisch nicht möglich, weil moralische Prinzipien höher stehen als Argumente und selbst die Realität. Heute wird nicht mehr verbrannt, gefoltert oder mit Kopfschuss hingerichtet, heute wird sozial vernichtet. Man kann der Vernichtung auch nicht durch Buße oder Reue entgehen, denn sie wirkt wie ein Brandmal, das man früher Ketzern auf die Stirn drückte. Der Reinigungsprozess trifft keineswegs nur Individuen, sondern ganze gesellschaftliche Gruppen, unabhängig davon, wie die einzelnen Gruppenmitglieder denken oder sich verhalten. So ist nach den Anhängern der kritischen Rassentheorie jeder Weiße des Rassismus schuldig, egal ob Baby, woker Jugendlicher, schuldbewusster, bußwilliger Erwachsener oder reuelose Greisin. Entkommen kann dieser Schuld niemand, abgetragen werden kann sie auch nicht, denn dann stünden die Ankläger eines Tages ohne Thema da. Bei den Kommunisten hatte Leo Trotzki die permanente Revolution ausgerufen, heute ist es die permanente Transformation und der damit verbundene permanente Reinigungsprozess. Wendt liefert zahllose Beispiele dafür, dass es sich nicht um eine graue Theorie, sondern um einen bereits im Gang befindlichen globalen Prozess handelt.

„Mit der großen Anklage-und Reinigungswelle an westlichen Universitäten, in Medien und selbst privaten Unternehmen muss sich jeder wohl oder übel beschäftigen, der eine Antwort auf die Frage sucht, wie sich das Denksystem der Erleuchteten, die keinen Widerspruch dulden, so schnell und fast geleichzeitig im Westen ausbreiten konnte“.

Am Anfang seines Buches steht eine spannende Analyse, warum der „Aufbruch“ von Sarah Wagenknecht scheiterte, obwohl er spontan hunderttausende Unterstützer und kluge Vordenker fand. Letztere dachten aber noch in den alten linken Kategorien, die längst obsolet waren. Ihr neues Bündnis ist erfolgreich, weil es aus diesem Fehler gelernt hat.

Haben die klassischen Linken immer das Recht verteidigt, die da „oben“ zu kritisieren und stürzen zu wollen, ist es heute längst umgekehrt. Kritik an der Regierung ist besonders in Deutschland, nicht mehr opportun. Es wurde von Verfassungschef Haldenwang der Begriff der „Delegitimierung des Staates“ erfunden und die Verfolgungsschwelle auf nicht strafbare kritische Äußerungen gesenkt. Trotzdem ist die Staatsmacht keineswegs das einzige „Oben“. Das neue Oben definiert sich nicht mehr durch traditionelle Macht oder den Kontostand, „sondern durch das Privileg, andere sozial vernichten zu dürfen, ohne selbst dabei das kleinste Risiko einzugehen.“

Es ist, was man in Deutschland gut am „Kampf gegen rechts“ sehen kann, eine „wohlorganisierte und von wenigen Hemmungen belastete Machtentfaltung“ einer Anklagebewegung, die mit Steuergeldern finanziert wird und der die Angeklagten nicht adäquat begegnen können. Sie haben weder die Reichweite der teilnehmenden staatsnahen Medien noch das Geld. Außerdem fehlen die Organisation und die Unterstützer.

 

Wie kann man dennoch den Zersetzungsprozess der bürgerlichen Gesellschaft stoppen? Indem sich die Bürger darauf besinnen, dass sie keine gesichtslosen Kollektivwesen sind, sondern Individuen, die bereit und in der Lage sind, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen, sich vom Staat unabhängig machen und den Mut haben, zu widersprechen. Die woke Ideologie steckt voller Widersprüche, die man nicht müde werden darf, aufzudecken. Man darf den Moralaposteln nicht durchgehen lassen, dass sie sich nicht an die Regeln halten, die sie für andere aufstellen. Die Woken sind sich der Schwachheit und Widersprüchlichkeit ihrer Theorie wohl bewusst – das macht sie angreifbar. Und sie sind neidisch auf diejenigen, die sich die Freiheit nehmen, ihre absurden Unterstellungen zurückzuweisen. Sie präsentieren ihre Ideologie, wie der sprichwörtliche Kaiser seine neuen Kleider. Aber sie sind nackt, wie der Kaiser. Wenn sich das rumspricht, ist es mit ihrer Macht vorbei.

 

Alexander Wendt: Verachtung nach unten, Lau-Verlag 2024



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