Peter Fechter – Ein Drama ohne Ende?

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Von Carl-Wolfgang Holzapfel*

Berlin, 17.08.2023/cw – In NRW gibt es in Warstein eine Peter-Fechter-Straße, in Monheim am Rhein einen Peter-Fechter-Weg.  Auch in Sinntal in Hessen gibt es einen Peter-Fechter-Weg; in Trittau/Schleswig Holstein, in Sulzbach-Rosenberg in Bayern und in Püttlingen, Saarland, gibt es seit vielen Jahren eine Peter-Fechter-Straße. In Deutschlands Hauptstadt Berlin gibt es dagegen auch 61 Jahre nach dem weltweit bekanntesten Mauer-Opfer Peter Fechter keine Straße.

Am 17. August 1962 verblutete der damals 18jährige Peter Fechter buchstäblich unter den Augen der Weltöffentlichkeit unmittelbar vor der trennenden Mauer in der Kreuzberger Zimmerstraße nahe dem alliierten Grenzübergang Checkpoint Charlie. Dass sein qualvoller Tod zum weltweiten Synonym für den Mord an der Mauer wurde, war zwei Männern vor Ort zu verdanken: Dem Westberliner Kameramann Herbert Ernst (* 1939 – 2019), der – eher zufällig in der Nähe des Geschehens – die Bergung und den Abtransport Fechters für alle Zeiten auf Zelluloid festhielt. Sein Film wurde 2010 von der UNESCO ins Weltdokumentenerbe aufgenommen. BILD-Fotograf Wolfgang Bera, der den sterbenden Fechter hinter der Mauer fotografierte.

Fechter schrie fast eine Stunde um Hilfe

Peter Fechter hatte gegen 14:00 Uhr an diesem blutig werdenden 17. August 1962 mit seinem Freund Helmut Kulbeik die Mauer in der Zimmerstraße erreicht. Beide wollten in die Freiheit fliehen. Während Kulbeik die Flucht überraschend schnell gelang, eröffneten die mörderischen  Schützen, Unteroffizier Rolf Friedrich und der Gefreite Erich Schreiber das Feuer aus ihren Maschinenpistolen auf Fechter, der unmittelbar vor der Mauer tödlich getroffen zusammenbrach. Fechter schrie fast eine Stunde um Hilfe, ehe er verstarb.

In Windeseile hatte sich das Geschehen herumgesprochen, sammelten sich Menschen hinter den spontan errichteten Absperrungen der Westberliner Polizei. Während die Ostberliner Grenzposten den Leichnam bargen und abtransportierten, hallten die wütenden Rufe über die Mauer gen Osten: „Mörder! Mörder!“

Die nach dem Mauerfall angeklagten Mordschützen wurden des „Totschlags“ für schuldig gesprochen, der Unteroffizier zu einem Jahr und neun Monaten, der Gefreite zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und acht Monaten „auf Bewährung“ verurteilt.

Die um  Hilfe angeflehten US-Amerikaner am unweiten Checkpoint lehnten seinerzeit eine Hilfe ab, obwohl die DDR-Grenzposten gegen den Auftritt alliierter Soldaten nicht tätig werden durften. Heute wissen wir, dass diese damals heftig umstrittene Entscheidung keine „Selbstfindung“ war. Der diensthabende Offizier am Checkpoint folgte einer direkten Anweisung aus der Hauptstadt Washington.

Bereits 1962 wurden erste Straßenschilder überklebt

Bereits einen Tag nach dem Mord an Peter Fechter wurden Straßenschilder im Umfeld des Tatortes mit seinem Namen überklebt; seither – also seit nunmehr 61 Jahren – tobt eine regelrechte Meinungs-Schlacht um die Umbenennung der Zimmerstraße nach dem Mauer-Opfer Peter Fechter. Dabei nimmt die Debatte immer mehr tragisch-skurrile Züge an. Denn immerhin hatten sich in der Vergangenheit bereits die (ehemaligen) Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) und Klaus Wowereit (SPD) für eine Peter-Fechter-Straße ausgesprochen. Der gegenwärtige Regierende Kai Wegner hatte sich bereits 2012, damals noch als Generalsekretär der CDU, für eine Umwidmung der Zimmerstraße eingesetzt.

Dagegen versuchen sich die für die Zimmerstraße verantwortlichen Bezirke Mitte und Kreuzberg im dialektischen Eiertanz. Mehrfach auf das Thema angesprochen, verweisen die Verwaltung und die Politiker auf die „eigentliche Zuständigkeit“ des jeweils anderen Bezirks. Die Zimmerstraße liegt tatsächlich an der Bezirksgrenze: Die Häuser auf der Westseite gehören zu Kreuzberg, der Straßenzug und die Häuser auf der Ostseite gehören zum Bezirk Mitte. Aber auch andere (Verhinderungs-)Argumente müssen herhalten. So lasse das Straßengesetz nur „Neubenennungen nach Frauen“ zu etc. Dabei war und ist nicht bekannt, dass sich der einstige APO-Revolutionär Rudi Dutschke als Frau deklariert hätte. Trotzdem wurde die ebenfalls historische Kochstraße nach Dutschke benannt. Und das, obwohl in dem zitierten Straßengesetz „Doppelbenennungen“ ausgeschlossen worden waren. Nach Rudi Dutschke war bereits im Bereich der Freien Universität in Dahlem ein „Rudi-Dutschke-Weg“ benannt worden.

Der Kampf um eine Peter-Fechter-Straße

Auch die Vereinigung 17. Juni, ein  nach dem Aufstand von 1953 von ehemaligen Teilnehmern in Westberlin gegründeter Verein, kämpft seit Jahrzehnten für eine Peter-Fechter-Straße. Zum 50. Todestag von Peter Fechter initiierte der Verein eine Unterschriftensammlung, wandte sich im Nachgang immer wieder in zahllosen Schreiben an die Fraktionen in den BVV von Mitte und Kreuzberg und dem Abgeordnetenhaus von Berlin. Mit Schildern „Peter-Fechter-Straße jetzt“ demonstrierten Mitglieder des Vereins an der Peter-Fechter-Stele in der Zimmerstraße während der obligatorischen Kranzniederlegungen durch die Politik und Institutionen.

Auch die Union der Opferverbände (UOKG) schloß sich schließlich der Forderung nach einer Umbenennung an. Noch im letzten Jahr verkündete deren Vorsitzender Dieter Dombrowski, man „habe die BVV in beiden Bezirken angeschrieben und angesprochen und dabei sehr gute Ergebnisse erzielt.“ Es sei nun „eine positive Entscheidung“ zu erwarten. Nur ein Jahr später erklärte Dombrowski (CDU) auf eine Bitte, ein entsprechendes Statement auf einer geplanten Pressekonferenz abzugeben, er könne sich nicht dazu äußern, da man überein gekommen sei, dieses Projekt wegen des Widerstandes der Schwester von Peter Fechter gegen eine Umbenennung gegenwärtig nicht weiter zu verfolgen.

Auch der Vorsitzende der Stiftung Berliner Mauer äußerte sich ggüb. der Vereinigung 17. Juni ähnlich. Um die Zur-Verfügung-Stellung von Räumlichkeiten für eine geplante Pressekonferenz zum Thema „Peter-Fechter-Straße“ und die Einbringung eines eigenen Statements zum Thema gebeten, erklärte dieser, man sei mit der UOKG und der Stiftung Aufarbeitung übereingekommen, das Thema ggw. „nicht weiter zu verfolgen.“ Auch die Stiftung berief sich auf den Widerstand der Schwester, Gisela Geue.

Grundüberzeugungen treu bleiben

Tatjana Sterneberg, bis Juni diesen Jahres im Vorstand der Vereinigung 17. Juni, will diesen Argumenten nicht folgen: „Im Gegensatz zu mehreren Bundesländern hat Berlin bis heute, 61 Jahre nach dem Tod von Fechter, keine Straße nach diesem Symbol der Morde an der Mauer benannt, dies sei nicht mehr nachvollziehbar.“ Noch weniger Verständnis habe die Vereinigung für die „Rückzieher“ mit dem Thema befasster Institutionen, wie der UOKG. Der Dachverband würde ohne „eigenes Engagement auf der Straße“ sehr schnell Initiativen an sich ziehen und lauthals die „eigene Aktivität“ verkünden um sich dann sehr schnell einem politischen Mainstream unterzuordnen. „Schließlich geht es diesen Institutionen  um Geld und Einfluss, das und den nur die Politik vermitteln kann. Da bleiben eigentliche Selbstverständlichkeiten schnell außen vor,“ kritisiert Sterneberg.

Mike Mutterlose, der im Juni neugewählte Vorsitzende der historischen Vereinigung, sieht dies ähnlich: „Wir müssen unseren Grundüberzeugungen, aus denen unsere berechtigten  Forderungen resultieren, treu bleiben. Ansonsten könnten wir unsere Vertretungen von Opfer-Interessen gleich auflösen. Das wäre ehrlicher, als die unendliche Kreierung von an die Politik angepassten  Ausflüchten. Diese Haltung hat auch posthum ein Peter Fechter nicht verdient.“

Eberhart Diepgen hat auf eine Anfrage der Vereinigung, ob diese sein Statement von 2012 für eine Peter-Fechter-Straße aktualisiert erneut einbringen  dürfe, herzlich und positiv beantwortet.  Klaus Wowereit befindet sich in Urlaub und konnte daher (noch) nicht antworten. Der aktuell Regierende Kai Wegner, ebenfalls in Urlaub, wurde über die Senatskanzlei um eine Bestäti-gung seiner 2012 verbreiteten Befürwortung einer Peter-Fechter-Straße gebeten. Diese lag bis Redaktionsschluss noch nicht vor.

* Maueraktivist (1962 –1989), führte seinen  2. Hungerstreik vom 2. – 05.03.1962 am Gedenkkreuz für Peter Fechter durch: „Ihr fahrt nach Leipzig – und die Mauer?“.

V.i.S.d.P.: Redaktion Hoheneck, Berlin – Mobil: 0176-48061953 (1.784).

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