Von Gastautorin Dagmar Jestrzemski
Um angeblich „grünen“ Wasserstoff zu produzieren, ruinieren globale Konzerne Natur- und Kulturland in Mexiko mit riesigen Windkraftparks und Solaranlagen – Doch der Widerstand feierte erste Erfolge.
Mitte Juli gaben die „Tagesschau“ und der Sender NDRInfo bekannt, dass im Zuge von Mexikos Strategie für sogenannten grünen Wasserstoff ein erstes Projekt in Vorbereitung sei. Wieder einmal sind Deutschland und ein deutsches Unternehmen mit im Spiel. Das 2017 gegründete Wiesbadener Unternehmen HY2GEN AG hat zwar noch keine Praxiserfahrung mit Entwicklung, Bau und Betrieb von großindustriellen Anlagen zur Produktion von Wasserstoff und wasserstoffbasierten Produkten. Dennoch wird beabsichtigt, binnen weniger Jahre in der Nähe von Champotón im Süden von Mexiko im Bundesstaat Campeche Wasserstoff und Ammoniak für den Export „autark“ zu produzieren, womit die Nutzung von sogenanntem klimaneutral erzeugten Wind- und Solarstrom gemeint ist.
Der laut „Tagesschau“ „kleine, verschlafene Ort“ ist mit 31.000 Einwohnern immerhin die größte Stadt im Municipio Champotón. Günstig gelegen am Golf von Mexiko, profitiert Champotón mit seinen zahlreichen Hotels und Ferienwohnungen vom internationalen Tourismus wegen seiner Nähe zu den Maya-Pyramiden und spektakulären Naturwundern auf der Halbinsel Yucatán.
Typischerweise verspricht HY2GEN dem Ort und seinen Einwohnern die Schaffung von 1000 Arbeitsplätzen während des Baus der Anlagen. Die „Tagesschau“ hob die „günstige Lage“ der geplanten Wasserstoff-Fabrik direkt am Hafen hervor. Der Standort sei ideal für den Export von Wasserstoff und Ammoniak vor allem nach Europa. Zudem beinhalte das Vorhaben die Entsalzung von Meerwasser, was angesichts des Wasserproblems in der Region „ein weiterer Vorteil“ sei.
Brutale und rücksichtslose Eingriffe
HY2GEN will 1,1 Milliarden Euro investieren, benötigt aber für die Umsetzung des „Milliarden teuren Projekts“ eine starke Unterstützung von Interessengruppen. Mexiko will laut „Tagesschau“ seine Energiewende „langfristig“ finanziell fördern. Die deutsche Bundesregierung beabsichtigt die Zuwendung „einer Milliardensumme“ ungeachtet der Möglichkeit, dass sich der grüne Wasserstoff als zu teuer für den Import erweisen könnte.
Zynisch und menschenverachtend klingt die Wortwahl der „Tagesschau“, wenn angesichts der für die Wasserstoff-Fabrik zu erbauenden gigantischen Windparks und Photovoltaik-Anlagen (PVA) kein Gedanke an die davon betroffene, überwiegend indigene Bevölkerung der Region verschwendet wird: Bald schon würden sich „um den Windmast (von Champotón) Solarpaneele und Windkraftanlagen tummeln“.
Nicht erst jetzt, da immer mehr vom zukünftigen Import von grünem Wasserstoff nach Deutschland die Rede ist, verschweigen die tonangebenden Medien die grausame Wahrheit, dass Windparks und PVA in Lateinamerika und Afrika seit jeher brutal und rücksichtslos in den Lebensräumen der ländlichen Bevölkerung mittels lokaler Handlanger durchgesetzt werden. Dasselbe gilt für den Abbau von Rohstoffen, der infolge des steigenden Bedarfs aufgrund von immer mehr Windrädern und PVA stetig zunimmt und ganze Regionen verseucht.
Investoren und Profiteure dieser Industriesektoren sind neben den regionalen Eliten jeweils Konsortien aus Europa, Kanada und den USA. Verschwiegen wird der deutschen Öffentlichkeit dementsprechend auch die für den Wasserstoff-Hub in Mexiko benötigte gigantische Anzahl von Windrädern und ausgedehnten PVA, offenbar um Irritationen im Hinblick auf unsere Vorstellung von einer umwelt- und klimafreundlichen Energiewende zu vermeiden. Das Beispiel von Lüderitz (Namibia) lehrt, dass für die Produktion von grünem Wasserstoff mindestens 650 Windräder und PVA von der Größe mehrerer Tausend Fußballfelder errichtet werden müssten und für Champotón wohl auch bereits geplant sind.
Bei ihrer Berichterstattung über das Projekt behauptete die NDRInfo-Moderatorin, dass es in Mexiko bislang noch kaum Windparks gebe. Tatsächlich gab es in Mexiko aber bereits 2022 65 Windparks, davon allein 28 auf dem windreichen Isthmus von Tehuantepec im Süden des Landes. Die Falschmeldung passt in ein Schema des Totschweigens der Hintergrundgeschichten aus dem globalen Süden, wo die Menschen seit 20 Jahren zunehmend dem auch sehr stark von Deutschland ausgehenden Öko-Kolonialismus ausgeliefert sind und es in noch viel größerem Ausmaß werden sollen.
Indigene sind besonders betroffen
Für den „autarken“ Betrieb von Wasserstoff-Fabriken müssten Windparks und PV-Anlagen von zehnfacher Größe als bislang in den Wohn- und Wirtschaftsgebieten der indigenen Bevölkerung errichtet werden. Die Zerstörung ganzer Ökosysteme und der Lebensräume von Millionen Menschen wäre eine direkte Folge. Zudem sind ein sicherer Betrieb und die Kontrolle von derart ausgedehnten Industriegebieten einschließlich der technischen Infrastruktur so gut wie ausgeschlossen. Alle dafür Verantwortlichen nehmen sträflicherweise in Kauf, dass schleichende Umweltkatastrophen durch ausgetretenes Öl und giftigen Industriemüll programmiert sind.
Allein die einschlägigen Artikel auf der Internetseite „Amerika21.de“ wären für den Sender NDRInfo hinreichend für eine wahrheitsgetreue, umfassende Berichterstattung gewesen. Auf dem Portal berichten Journalisten seit Jahren über das Leid und die Wut der Menschen in Lateinamerika über die Zerstörung ihrer existentiellen Lebensgrundlagen durch profitgierige europäische, kanadische und US-amerikanische Windkraft- und PV-Konsortien.
Proteste zeigen endlich Wirkung
So berichtete „Amerika21“ über den Kampf der Gemeinden auf dem Isthmus von Tehuantepec gegen weitere Windparks. Die Einwohner der Region litten seit mehr als zehn Jahren unter einer massiven Invasion von multinationalen Unternehmen, die Windparks errichten, so weit das Auge reicht, ohne die Rechte der lokalen indigenen und bäuerlichen Bevölkerung zu berücksichtigen.
Erstmals scheiterte im vergangenen Jahr der Bau eines Windparks auf der Landenge im Süden Mexikos am hartnäckigen Widerstand der zapotekischen Gemeinde Unión Hidalgo. Damit machten die Mexikaner erstmals die Erfahrung, dass der Kampf gegen die ausländischen Windpark-Investoren gewonnen werden kann. Für das deutsche Unternehmen HY2GEN könnte es also durchaus schwierig werden, die Industrialisierung der Landschaft und des malerischen geschützten Hafens von Champotón durchzusetzen.
Anfang Juni 2022 stand die Tochtergesellschaft von EDF Renouvelables, Eolicas de Oaxaca, kurz vor dem Beginn der Arbeiten am Windpark in Unión Hidalgo, dem vierten in dieser Region im Bundesstaat Oaxaca. 62 Windräder sollten auf einer Gesamtfläche von 4708 Hektar errichtet werden, überwiegend auf landwirtschaftlichen Flächen.
Dem Widerstand der Einwohner gab „Amerika21“ eine Stimme: „Wir sind entschieden gegen die Errichtung dieses neuen Windparks, der zynisch als ‚Gunaa Sicarù‘, ‚schöne Frau‘ bezeichnet wird, da wir wissen, dass die Windparks am Isthmus von Tehuantepec ausschließlich Energie für bestimmte multinationale Konzerne wie Coca-Cola oder Walmart produzieren. Die Erträge kommen nicht der einheimischen Bevölkerung zugute, die ironischerweise weiterhin viel Geld für ihren Strom bezahlen muss. Diese Windparks zerstören massiv und unwiderruflich die Ökosysteme des Isthmus von Tehuantepec. Daraus resultieren Vogelsterben, Lärmbelästigung, mikroklimatische Veränderungen, Ölabfluss aus den Turbinen und das Verschwinden von Fischen und Garnelen aus der Lagune.“
Am 13. Juni verkündeten „Amerika21“ und „labournet.de“: „Die staatliche Bewilligung für den Windpark Gunaa Sicarú wurde rückgängig gemacht. Somit gilt das Projekt offiziell als gescheitert.“ Aufgrund des hartnäckigen Widerstands der betroffenen Einwohner und zusammen mit Nichtregierungsorganisationen sei es gelungenen, die Umwandlung der Landschaft in ein Industriegebiet mit weitreichendem ökologischen Schädigungspotenzial abzuwehren. Die Kündigung dieser Verträge sei ein historisches Ereignis für die Verteidigung des Landes, des Territoriums und der natürlichen Ressourcen der Agrar- und indigenen Gemeinschaften in Mexiko und dem übrigen Lateinamerika.
Wachsende Kritik auch in Afrika
Auch in Afrika werden sich Menschen gegen die Klimawende-Investoren erheben. Im Norden Kenias ahnten die Menschen 2008 nichts von ihrer geplanten Enteignung und erst recht nichts von der verheerenden Dürre, die nach der Inbetriebnahme des Lake-Turkana-Windparks (LTWP) im Norden des Landes mit 342 Windrädern ab 2019 einsetzen sollte.
Im April 2015 stellte das Portal „truthout.org“ („Heraus mit der Wahrheit!“) anlässlich des Projekts LTWP die Frage: Wer profitiert eigentlich von der Absicht der Regierung, die Energieerzeugung durch Windkraft voranzutreiben? „Wir sind 400 Kilometer nördlich von Nairobi. Dorthin soll der Windstrom geliefert werden. Einige Kilometer vor dem Areal des geplanten Windparks endet die von den Chinesen gebaute gepflasterte Straße vor dem verschlafenen Dorf South Horr. Hierher sollen die Windräder aus dem 1200 Kilometer entfernten Hafen von Mombasa transportiert werden.“
Weiter schreibt „truthout.org“: „Die Dorfältesten berichteten uns, dass LTWP-Agenten 2008 Fotos von allen Personen vor ihren Häusern gemacht hätten. Der Chief Simon beauftragte einen Dorfbewohner, die Dokumente für ihre Manyatta (Dorf der Massai) zu holen. Er brachte Papiere von LTWP mit der Überschrift ‚Lake Turkana Wind Power Limited‘. Den Text in englischer Sprache ‚Acknowledgement of Relocation of Project Affected Structures (Manyatta’s)‘ konnte niemand aus dem Dorf lesen. Jedes Papier war mit einem Daumenabdruck unterzeichnet. Was bedeutet, dass das Land jetzt nicht mehr den Massai gehört. Sie haben auch keinen Anspruch auf Entschädigung, da das Gebiet für 99 Jahre an das Lake Turkana Wind Farm Projekt verpachtet wurde.“
Dieser Artikel erschien zuerst in der Preußischen Allgemeinen