Die Ideologie der Menschenrechte und das Ethos des Menschseins

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Der Titel von Rudolf Brandners Beitrag aus der Werkreihe von Tumult, erschienen bei Manuscriptum, verwirrt. Wer könnte etwas gegen Menschenrechte haben, die als unumgängliche Reaktion auf die Schrecken des totalitären letzten Jahrhunderts, insbesondere des Zweiten Weltkriegs ausgerufen wurden? Wer sich dennoch an die Lektüre macht, wird mit neuen Erkenntnissen belohnt.

„Mit der UN-Charta und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR 1948) wurde der Weg beschritten, die Leitvorgaben staatlichen Handelns von den Rechten der Einzelnen her zu redefinieren. Eine nicht geringe Rolle spielte dabei auch, die mangelnde Rechtsgrundlage der Nürnberger Prozesse noch nachträglich aufzuarbeiten und vorsorglich zu institutionalisieren […] Die AEMR sollte zumindest das Legalitätsprinzip herstellen, aber auch dies gelang nicht. Sie wurde nicht völkerrechtlich verbindlich.“ Vor allem die Sowjetunion, aber auch die Länder des damaligen Ostblocke, sowie Saudi-Arabien und Südafrika enthielten sich bei der Abstimmung. Auch dem Internationalen Gerichtshof, der erst in den 1990er Jahren institutionalisiert wurde, traten viele Länder nicht bei, allen voran die USA.

Was ist der Hauptkritikpunkt an der AEMR? Der Staat ist der Adressat der Menschenrechte. Gleichzeitig ist der Staat derjenige, der die Menschen vor Rechtsverletzungen schützen soll, die er selbst begeht. Wir haben das in den Corona-Jahren erlebt. Der Staat setzte die Freiheitsrechte seiner Bürger wegen einer angeblichen Gefahr durch eine globale Pandemie willkürlich außer Kraft. Er schützte also die Rechte nicht, sondern wandte sich gegen die Bürger.

Der Staat ist nicht mehr „als ethisches Gebilde der Gemeinschaft ihrer rechtlichen Selbstorganisation, sondern […] selbstständige, den Einzelnen entgegengesetzte Macht.“ Die Einzelnen wiederum sind nicht „kulturgeschichtlich gebildete Personalitäten, die durch ein generationenübergreifendes, erfahrungsgeschichtlich auskristallisiertes Gemeinschaftsethos die staatliche Ordnung fundieren“. Sie sind nur noch „Mensch überhaupt“.

Waren die Menschenrechte der ersten Generation noch Abwehrrechte gegen die Übermacht des Staates, verwandelten sie sich mit dem „Sozial- und Zivilpakt“ (1966/1976) in politische Anspruchsrechte wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Art. Das ist keine einfache Erweiterung der Menschenrechtskonzeption, sondern ein Umbruch. Der Staat wird zunehmend zum Fürsorgestaat, der „den Menschen als mehr hilfloses, seiner freien Selbstverantwortung entkleidetes, ohnmächtiges Bedürfniswesen“ betrachtet. Das heißt, der Staat ist einerseits bedrohliche Übermacht, andererseits fürsorgliche Allmacht.

„Unter westlicher Führung wird der Menschenrechtsdiskurs zur universalistischen Moral und entwickelt sich zum transnationalen Katechismus einer vereinheitlichten Staatstheorie, die darauf abzielt, alle menschheitsgeschichtliche Vielfalt in einem indifferenten Welteinheitsstaat aufzuheben – der „global governance“ supranationaler Institutionen. Auch das wurde in den Corona-Jahren deutlich an der Rolle der WHO, die nun mit einem neuen Pakt als nicht gewählte Institution globale Allmacht in Sachen Gesundheitspolitik bekommen soll.

„Der allgemeine Begriff „Mensch“ wird als „Menschheit“ zum geschichtliche Realsubjekt hypostasiert und auf seine innerweltliche Lösung qua Befreiung von allem Negativen entworfen. Erst vor diesem Hintergrund entfaltet sich in der Moderne die totalitäre Gewalt des Politischen, die den Einzelnen der bedingungslosen Herrschaft eines gesellschaftlichen Kollektivs unterwirft[…]“.

Das ist der Nährboden für den neuen, diesmal globalen Totalitarismus, den Vordenker wie Klaus  Schwab, Gründer des Weltwirtschaftsforums und seine Anhänger offen in ihren Reden und Büchern beschwören. Dabei läuft die „Gewährleistung“ von Menschenrechten immer mehr auf gnädige „Gewährung“ hinaus. Auch das konnten wir in den Corona-Jahren erleben. „Impflinge“ wurden für gehorsames Empfangen nicht zugelassener Gensubstanzen mit temporärer Rückgabe ihrer Freiheitsrechte belohnt. Auch die Wiedereinsetzung der Freiheitsrechte nach dem Ende der Pandemie ist nur zeitweilig. Es gibt bereits Stimmen, die fordern, für das Klima die Freiheitsrechte auszusetzen.

„Von Anfang an kollidiert die universell intendierte „Menschenrechtserklärung“ mit dem von der UN-Charta zugleich verkündetem Selbstbestimmungsrecht der Völker.“ Dieses kulturelle Selbstbestimmungsrecht der Nationalstaaten steht gegen seine universalistische Auflösung in supranationale Institutionen. Tatsächlich gibt es bereits mehrere Menschrechtserklärungen, zum Beispiel die islamische, die unter dem grundsätzlichen Vorbehalt der Scharia steht. Die afrikanisch von Banyul zielt im Sinne eines postkolonialistischen „nation building“ darauf ab, die von den ehemaligen Kolonialherren willkürlich gezogenen Grenzen durch Identitätsbildung nachträglich zu rechtfertigen, obwohl sie Stammeskulturen zerrissen haben. Dies kollidiert mit der UN-Charta.

Brandner untersucht auch den Begriff der Würde. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, so steht es im Artikel 1 des Grundgesetzes, statt des ursprünglich in Erwägung gezogenen: „Der Mensch ist nicht für den Staat da, sondern der Staat für den Menschen.“

Aber was ist Würde? Wie steht es mit der Würde eines Menschen, der zu einer Planzenexistenz reduziert an medizinischen Apparaten hängt? Wie steht es um die Würde bei Kniefällen vor den Shitstorms des Zeitgeistes.

Würde, so unser Freiheitsdichter Friedrich Schiller ist vor allem widerstehen gegen den Naturtrieb, sich wegzuducken als „Ausdruck einer erhabenen Gesinnung, die gerade in Schmerz und Leiden, der Bedrohung durch Krankheit und Tod als Ruhe und Gelassenheit hervortrete und sich auch in allen Schicksalsschlägen nicht vom Unglück oder erfahrenen Unrecht affektiv überwältigen ließe.“

Schaut man dagegen bei Google unter Artikel 1 nach, heißt es: „Das Grundgesetz schreibt vor, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Das bedeutet, dass niemand die Würde eines anderen verletzen darf. Mit verletzen ist nicht nur schlagen, schubsen und prügeln gemeint.“ Die beiden Zitate belegen, wie sehr die geistige Entwicklung unserer Gesellschaft retardiert ist.

Das hat Folgen. Brandner führt das „berühmt-berüchtigte“ Urteil von Richterin Renate Jäger am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Gäfgen-Prozess an. Gäfgen ist der Kindesmörder, der ein Kind entführt hat und dem der Vernehmer Schmerzen angedroht hat, wenn er den Aufenthaltsort des Kindes nicht nennt, von dem man zu diesem Zeitpunkt noch hoffen konnte, dass es lebt. Damit machte sich der Vernehmer der Verletzung des Folterverbotes schuldig und wurde von Gäfgen verklagt. Das Urteil zugunsten des Kindesmörders „nimmt für die Geltung individueller Rechte (Folterverbot) die Aufhebung der Rechtsgemeinschaft selbst in Kauf. Die vorsitzende Richterin Jäger urteilte: „Es darf auch dann nicht gefoltert werden, wenn der Bestand des Staates auf dem Spiel steht.“ Das heißt. Der Kollaps der Rechtsordnung wird in Kauf genommen um der Rechte eines Mörders willen.

Brandner: „Indem die menschenrechtliche Sakralisierung des Einzelnen zur moralideologischen Verabsolutierung von Einzelrechten führt, vernichtet sie die Rechtsgemeinschaft und reißt damit alle Einzelnen mit in den Abgrund“.

Das wäre die Rückkehr zum Kampf aller gegen alle.

Rudolf Brandner: Die Ideologie der Menschenrechte und das Ethos des Menschseins“ Manuscriptum 2022



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