Nachdenken über Markus Wolf

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Am 19. Januar jährt sich der Geburtstag von Stasi-Spionagechef Markus Wolf zum 100. Mal. Es wird vermutlich etliche Artikel und Sendungen dazu geben. Der Mann war von 1952 bis 1986 der Chef der Hauptverwaltung Aufklärung, also der Auslandsspionage der Staatssicherheit der DDR. Er war eine Legende, ein „Mann ohne Gesicht“, bis ihn der geflüchtete HVA-Mitarbeiter Werner Stiller auf einem Foro identifizierte, das Wolf bei einem Einkauf in Schweden zeigte. Danach wurden die Auslandsaufenthalte für Wolf schwieriger, aber nicht unmöglich. Die HVA verfügte über eine hervorragende Passfälscherwerkstatt.

Nie ist ein Stasi-Spion wegen eines unprofessionellen Passes aufgeflogen. Deshalb galten sie als die besten der Welt.

Wolfs 4500 Mitarbeiter waren gut ausgebildet und verstanden sich als Elite. Sie agierten weltweit und saßen, besonders in der Bundesrepublik, in Spitzenpositionen. Das wurde einer erschreckten Öffentlichkeit nachdrücklich vor Augen geführt, als der engste Berater von Kanzler Willy Brandt, Günter Guillaume, enttarnt wurde, was zum Rücktritt von Brandt als Kanzler führte. Das war ein schwerer Rückschlag für die HVA. Die hatte 1972 dafür gesorgt, dass ein Misstrauensvotum, initiiert vom damaligen Unions-Oppositionsführer Rainer Barzel, scheiterte. Zwei Unionsabgeordnete wurden mit je 50 000 DM bestochen, um gegen Barzel zu stimmen. Die DDR-Führung war daran interessiert, dass Willy Brandt Kanzler blieb und die von ihm auf den Weg gebrachten Ostverträge nicht scheiterten.

Wie tief die Staatssicherheit in die Geschichte der Bundesrepublik eingegriffen hat, wird wohl nie auch nur annähernd ans Tageslicht kommen. Als durch Zufall die Beweise entdeckt wurden, dass der Mörder von Benno Ohnesorg, Kriminalobermeister Karl-Heinz Kurras, ein Mitarbeiter der Staatssicherheit war, gab es Bemühungen, dies nicht an die Öffentlichkeit dringen zu lassen. Zum Glück war das nicht von Erfolg gekrönt.

Die Tochter des von der RAF ermordeten Bankiers Jürgen Ponto, Corinna, entdeckte in der Akte ihres Vaters Hinweise darauf, dass die HVA mindestens einen Führungsoffizier für die Betreuung der RAF abgestellt hatte. Als ihnen der Boden zu heiß wurde, hat die DDR RAF-Terroristen Unterschlupf geboten.

Der Angriff auf den Nato-Oberkommandierenden Alexander Haig wurde auf einem Übungsplatz, in der DDR trainiert.

Es gab 10 000 Inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit in der Bundesrepublik. Die saßen in den Wirtschaftsetagen, Redaktionen, Verwaltungen, im Bundestag. Aber es gibt kein Interesse, diese Leute zu enttarnen, was möglich wäre, nachdem Kopien der so genannten „Rosenholz-Akten“, die von der CIA im Winter 1989 aus der Stasizentrale in Berlin herausgeholt wurden, um die Stasispione in den USA zu enttarnen, von der Regierung Clinton an Deutschland übergeben wurden.

Ein Antrag der FDP während der schwarz-gelben Regierung Merkel, alle Bundestagsabgeordneten seit 1949 auf Stasimitarbeit zu überprüfen, wurde an die Ausschüsse überwiesen und nie bearbeitet. Jede Fraktion hatte peinliche Enthüllungen zu befürchten.

Enttarnt wurden lediglich einige „Romeos“, speziell ausgebildete Offiziere, die einsame Bonner Sekretärinnen umgarnten, zum Teil sogar heirateten, um an Informationen aus wichtigen Büros zu kommen.

HVA-Chef Wolf war keineswegs der Gentleman, als den er sich in seinem zweiten Leben ausgab. Er war selbst aktiv. Er wurde zwei Mal rechtskräftig verurteilt: Wegen Landesverrats und Bestechung zu sieben Jahren Gefängnis und wegen Freiheitsberaubung, Nötigung und Körperverletzung. Keine der Strafen musste Wolf antreten. Er war inzwischen ein gern gesehener Gast in Talkshows und tourte durch die Buchläden und Hörsäle Westdeutschlands.

Das zweite Leben des Markus Wolf hatte 1986 begonnen, als er überraschend seinen Dienst quittierte und zum Privatier mutierte. Wenige Jahre zuvor war sein Bruder Konrad gestorben, der als Regisseur höchstes Ansehen in der DDR genoss, vor allem bei den Kritikern des SED-Regimes. Markus Wolf begann an einem Buch zu arbeiten. „Die Troika“, erschien 1989 und überraschte durch kritische Offenheit. Inwieweit sich Wolf auf nachgelassene Manuskripte seines Bruders stützte, bleibt umstritten.

Dieses Buch sollte offensichtlich Wolfs Ruf als Reformer begründen. Er plante, es auch in Westdeutschland vorzustellen, was durch einen gegen ihn erlassenen Haftbefehl verhindert wurde.

Wolf trat als Redner auf der Großdemonstration am 4.November 1989 am Alexanderplatz auf, die maßgeblich von dem noch weitgehend unbekannten Gregor Gysi als Gegenstück zu den Leipziger Montagsdemos mitorganisiert worden war. Wolf warb für eine Reform des Sozialismus und wurde dafür ausgebuht, wie Gysi, der Rechtssicherheit statt Staatsicherheit forderte.

Beide avancierten später im Westen.

Wolf, offenbar im Sinne von Lenins „Jede Köchin muss den Staat regieren können“, profilierte sich als Kochbuchautor, sehr zum Entzücken der Linken.

Dass die Öffentlichkeit das Wohlwollen, das Wolf von manchen Medien entgegengebracht wurde, keineswegs teilte, erlebte ich in einer Talkshow, zu der mich der legendäre Talkmaster Erich Böhme eingeladen hatte. Wolf war sein Stargast in einer Sendung, in der es um den Spendenskandal von Helmut Kohl ging. Böhme versuchte zu Beginn in fast devoter Weise, Wolf dazu zu verleiten, sein angebliches Wissen über die Affäre zu offenbaren. Der ging nicht darauf ein, machte aber ein Pokerface, was andeuten sollte, dass er durchaus mehr wüsste, als er zugeben wollte.

Als ich dran war, sagte ich, dass ich klar machen wolle, was hier passiert: Einem wegen Freiheitsberaubung verurteilten Straftäter sollen Informationen gegen den Kanzler entlockt werden.

Ehe mich Böhme wegen meiner Aufsässigkeit tadeln konnte, wurde ihm mitgeteilt, dass die Telefone in der Redaktion heiß liefen, weil die Anrufer mich unterstützen wollten. Nach der Sendung lud Böhme immer in die elegante Bibliothek des Hotels. Wolf wollte nicht mitkommen, wenn ich dabei wäre. Er musste draußen bleiben.

Mit seiner letzten Ehefrau zog Wolf in das Berliner Nikolaiviertel, ein Vorzeigeprojekt der SED. Später fand auch die Gedenkbibliothek für die Opfer des Kommunismus dort ein Domizil. Ich habe es immer als ausgleichende Gerechtigkeit empfunden, das Wolf bis zu seinem Tod gezwungen war, den Anblick der Gedenkbibliothek vor seinen Fenstern zu ertragen.



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