Ist der Westen global gescheitert?

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Dieser Frage ging das 22. von Peter Krause initiierte Ettersburger Gespräch dieser Saison mit der Ethnologin und Politikwissenschaftlerin Susanne Schröter im vollbesetzten Gewehrsaal von Schloss Ettersburg nach.

Schröters Ausgangsthese, der Westen sei die freieste,  wohlhabendste und sozialste Region der Welt,  nirgendwo würden die Freiheitsrechte des Individuums stärker geschützt, hätten Frauen im Kampf für Gleichberechtigung mehr erreicht, könnten sexuelle, ethnische und religiöse Minderheiten ihre Anliegen besser geltend machen, nirgendwo profitiere die Bevölkerung mehr von steuerbasierten sozialen Einrichtungen, einem hoch entwickelten Gesundheitssystem sowie kostenloser Bildung, klingt heute fast schon subversiv. Denn das Erfolgsmodell Westen ist dabei, an inneren Widersprüchen zu zerbrechen und von äußeren Kräften dekonstruiert zu werden.

Der Westen, so Schröter, scheint zu scheitern. Verantwortlich dafür „ist eine krude Mischung aus Hybris und Selbsthass, die gleichermaßen zum Aufstieg von Diktatoren wie zur Eliminierung fundamentaler demokratischer Errungenschaften führt“.

Schröters Stärke ist, dass sie ihre Analysen bar jeder Polemik, sondern faktenbasiert, von geradezu skrupulöser Wissenschaftlichkeit vorträgt. Besondere Glaubwürdigkeit hat sie dadurch gewonnen, dass sie schon extreme Angriffe souverän pariert und damit unwirksam gemacht hat.

Als Beispiel des westlichen Scheiterns in der Außenpolitik zieht sie an diesem Abend den desaströsen Einsatz in Afghanistan heran. Hier versuchte der Westen, ungeachtet des verheerend geendeten sowjetischen Versuchs eine sozialistische Gesellschaft zu implantieren, eine Demokratie nach westlichem Gusto einer von Stammestraditionen beherrschten Region militärisch aufzuzwingen. In seiner Hybris übersah er dabei, dass er keine Unterstützung bei der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung hatte.

Er bildete Soldaten und Polizisten aus, die nach dem Abzug der westlichen Alliierten sofort zu den Taliban überliefen, er gründete Mädchenschulen, die sofort nach Einmarsch der Taliban wieder geschlossen wurden. Aus Deutschland gab es sogar ein Gender-Programm für eine Gesellschaft, deren Hauptproblem der Analphabetismus ist.

Die westliche Gesellschaft, so Schröter schwankt zwischen Selbsthass und Selbstüberschätzung, die ihre Urteilsfähigkeit trüben.

„Der Angriff der russischen Armee auf die Ukraine war nur möglich, weil man die von Putin stets offen zur Schau gestellte Aufrüstung nicht als Bedrohungsszenario einstufte. Das gilt besonders für Deutschland. Selbst die Überfälle Russlands auf seine Nachbarstaaten hinderten deutsche Politiker nicht, weiterhin an der Mär Wandel durch Handel festzuhalten und die Abhängigkeit in besonders vulnerablen Sektoren voranzutreiben.“

Nun sitzt Europa, und besonders Deutschland, in der Putin-Gasfalle. Aber anstatt aus diesem Fehler zu lernen, ersetzt die Ampelregierung russisches Gas durch Lieferungen aus den Golfstaaten, „ausnahmslos islamistische Diktaturen, die durch endemische Menschenrechtsverletzungen und eine extrem patriarchalische normative Ordnung auffallen.“

Diese Doppelmoral zerstört nach Schröter die Glaubwürdigkeit des Westens. Ein weiteres Beispiel für diese Doppelmoral ist die „feministische Außenpolitik“, die nicht verhindert, dass Kriegsgerät nach SaudiArabien geliefert wird.

Und was soll man von einer verbalen Unterstützung des Kampfes der iranischen Frauen halten, wenn gleichzeitig in unserem Land das Kopftuch als Zeichen von Selbstbestimmung und Emanzipation bezeichnet wird?

Solche Widersprüchlichkeiten, diskreditieren „das große Projekt des Westens, nämlich die weltweite Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit…“. Dieses Projekt wird vom globalen Süden zunehmend abgelehnt. Der Westen reagiert auf diese Ablehnung mit Hochmut und devoter Zerknirschung.

„Weiß sein wird in der weißen Welt zum Stigma, im postchristlichen Sinn zur neuen Erbsünde, und gerade Angehörige der privilegierten weißen Mittelschicht kultivieren einen skurrilen Kult, in dem sie öffentlich ihre Schuld, rassistisch zu sein, bekennen. Sie werden von Personen unterstützt, die sich als Opfer westlichen Rassismus oder anderer vermeintlich diskriminierender Praktiken inszenieren. Da die Anerkennung eines Opferstatus in der Regel mit finanziellen Zuwendungen belohnt wird und ein lukratives Geschäftsmodell darstellt, lässt sich gegenwärtig eine Multiplizierung von selbst ernannten Opfergruppen beobachten.

Auf der Gegenseite wurde der heterosexuelle alte weiße Mann zur ultimativen Hassfigur. Die Folgen sind alles andere als trivial. Die Idee der Gleichheit aller Bürger weicht einem identitätspolitischen Furor, der Menschen nach äußerlichen Merkmalen, sexuellen Gewohnheiten und, sofern es Muslime betrifft, auch nach Religionszugehörigkeit gliedert. In angelsächsischen Ländern wurden Arbeitsverträge gekündigt, weil die Hautfarbe der Angestellten als unpassend für ein diverses Zeitalter betrachtet wurde, und manch einer schwadroniert darüber, dass Weiße nicht mehr publizieren oder keine Führungspositionen mehr bekleiden sollten.“

Die Welt, in der ich aufgewachsen bin, in der Hautfarbe keine Rolle mehr spielte, ist passé. Durchgesetzt werden die neuen Normen mit rigiden Sprachregelungen. Dazu gehört Gendern, die Erfindung immer neuer Akronyme, die zu einer Art Geheimsprache mutieren. Die Bevölkerung versteht die im Wochenrhythmus entstehenden Abkürzungen nicht mehr und ist damit vom Diskurs ausgeschlossen.

„Mit verordneten Sprachregelungen möchte man die Bevölkerung zur Anerkennung der neu geschaffenen Realitäten nötigen und setzt damit implizit an das alte kommunistische Ideal der Erschaffung eines neuen Menschen an, der in der Diktatur des Proletariats geschmiedet werden sollte. Auch die Meinungs-, Presse-, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit geraten unter Druck. Verboten werden soll alles, was Lobbygruppenvertreter als verletzend empfinden könnten, und dies betrifft selbst schlichte Erkenntnisse der Naturwissenschaften. Ein großer Teil der Bevölkerungen westlicher Länder lässt sich von der Aggressivität, mit der die neue Welt errichtet wird, einschüchtern und zieht sich in eigene Parallelstrukturen zurück. Einige schließen sich extremen Organisationen an.“

Was kann man dagegen tun, wurde Schröter in der anschließenden Diskussion gefragt.

Widersprechen, lautete ihre Antwort. Das kann jeder, aber niemand sollte allein gelassen werden. Deshalb sei es wichtig Strukturen von Gleichgesinnten zu bilden, zwanzig oder fünfzig Widersprüche sind immer wirkungsvoller als einer. Wir leben in keiner Diktatur, deshalb sollte jeder seine Angst überwinden.

Sind die inneren Feinde des Westens in der Mehrheit? Nein, denn die Mehrheit der Bevölkerung unterstützt ihre Bestrebungen nicht. Die schweigende Mehrheit muss sich nur klar machen, dass Schweigen als Zustimmung gewertet wird. Deshalb ist es hohe Zeit, seine Stimme zu erheben!

Die Zitate entstammen Schröters Buch „Global gescheitert?“, Herder 2022, sind aber etwa so im Vortrag verwendet worden.

Die erste Auflage ist bereits vergriffen, die zweite noch nicht ausgeliefert, aber bereits verkauft. Restexemplare sind im Internet noch erhältlich, zum Beispiel hier:

 

 



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