Der FEX war pünktlich, diesmal ging es am BER zügig voran. Vielleicht wird doch noch ein anständiger Flughafen daraus. Mit Easy Jet im Direktflug nach Rom. Zu den geänderten Regeln gehört, dass man kein Kabinengepäck mehr mitnehmen darf, es sei denn, man bucht ein spezielles Ticket. Das hatte ich in der endlos langen Gebrauchsanweisung übersehen und werde streng verwarnt. Mein Koffer verschwindet und taucht zum Glück in Rom am Gepäckband wieder auf. Corona hat die Welt komplizierter gemacht, das wird uns bleiben.
Wir nehmen ein Taxi zum Hotel. Der Flughafen liegt ziemlich weit draußen, aber der Transfer ist für vier Personen billiger, als würden wir den Leonardo-Express zum Hauptbahnhof und anschließend die U-Bahn nehmen. Leider sind die Straßen der Stadt verstopft. Ein Fußballspiel ist zu Ende gegangen, zur Freude der Fans. Unser Fahrer steuert uns unbeeindruckt und kunstvoll durch den Stau. Zum Glück gibt es auch in Rom Busspuren, die für Taxis nutzbar sind. Wir brauchen nicht mehr als die 50 Minuten, die uns am Flughafen versprochen wurden. Eine Glanzleistung, die wir entsprechend belohnen.
Unser Hotel ist nur 250 Meter von der Spanischen Treppe entfernt, wir sind also mittendrin. Natürlich erweisen wir dem ehemaligen Treffpunkt englischer und deutscher romantischer Dichter sofort unsere Referenz. Von den Schäden, die ein arabischer Oligarch anrichtete, als er mit seinem schweren Geländewagen die Treppe befahren ließ, weil er glaubte, so schneller ans Ziel zu kommen, ist nichts mehr zu sehen. Die sechsstellige Rechnung hat er, ohne mit der Wimper zu zucken, beglichen.
Neben vielen Touristen und Einheimischen ist auch die Polizei präsent. Sie scheucht alle auf, die sich auf die Treppe setzen wollen. Würde sie das nicht tun, wäre innerhalb kürzester Zeit kein Durchkommen mehr möglich.
Am nächsten Morgen starten wir unsere Erkundung. Ich bin das dritte oder gar vierte Mal hier, habe aber erstaunlich wenig Erinnerungen an die Stadt. Das liegt wohl daran, dass ich mich bisher nur in politischen Gruppen durch die Ewige bewegt habe – von Attraktion zu Attraktion, aber kaum zu Fuß. Das hole ich jetzt nach und bin bezaubert. Hier gibt es noch die vielen kleinen Läden, in deren Schaufenster zu blicken sich lohnt, weil sie mehr als die übliche Markenware bieten. Die meisten italienischen Männer schlumpfen immer noch nicht in Trainingshosen oder Shorts durch die Straßen, sondern bewegen sich in eleganten Anzügen, als wären sie gerade dem neuesten Film entstiegen. Leider ist es nicht mehr opportun, Menschen einfach zu fotografieren, ich hätte gern drei Römer vor einem Barbierladen abgelichtet. Der Chef hatte zwei Kunden vor die Tür begleitet, hielt noch ein kurzes Schwätzchen mit ihnen und setzte sich dann mit einer Zeitung vor seinen Spiegel, um sich vor seinem nächsten Auftrag über die neuesten Nachrichten zu informieren.
Die meisten Häuser sind saniert, mit viel Fingerspitzengefühl. Rom ist kaum zerstört worden, die hässliche Moderne ist an den Rand gedrängt. Auf einem Hof sehen wir antike Plastiken an der Wand, die seit tausend Jahren dort eingemauert sind. Ein steinerner Sarkophag, wie sie im Pergamonmuseum stehen, diente Jahrhunderte als Wasserbehälter. Das hat man bei der Restaurierung geändert und den Wasserhahn abmontiert. Der Geist der Geschichte, die hier erzählt wird, ist ungebrochen.
Irgendwann landen wir am Pantheon. Der Platz davor ist brechend voll. Man muss sich in eine Schlange stellen, um das Gebäude betreten zu können. Es geht aber schnell. Im Inneren staunen wir über die Genialität der Architektur. Der gesamte Raum wird nur von einem Loch im Dach beleuchtet. Wir hätten gern gesehen, wie das aussieht, wenn starker Regen fällt, aber offensichtlich funktionieren die kunstvoll im Boden eingelassenen Abflüsse hervorragend. Der Zeitgeist ist auch in dieses historische Gemäuer eingezogen. Es sind dutzende Fotos von Menschen nichteuropäischer Herkunft aufgestellt, versehen mit irgendwelchen Statements. Niemand hält sich dabei auf, manche stehen auch so, dass man beim besten Willen nichts lesen könnte.
Die Menge zieht ihre Fotorunde. Das Handy in der Hand. Gesehen wird das Ganze kaum noch anders als auf dem Bildschirm. Wir bleiben stehen, um die kunstvollen Details zu bewundern – die Porphyr-Säulen, die den Kaisern vorbehalten waren. Aber auch auf dem Fußboden ist Porphyr eingearbeitet, ein Zeichen, wie wohlhabend die Gemeinde immer gewesen ist. Leider kam ich nicht umhin zu bemerken, wie wenig Respekt den großartigen Hinterlassenschaften unserer Vorfahren noch entgegengebracht wird. Auf einem der kostbaren Altäre hat sich ein Dreijähriger niedergelassen. Er bearbeitet mit seinen Füßen die Marmorwände. Seine Mutter und Großmutter stehen daneben und sehen zu. Erst als ihnen zu langweilig wird, holt die Oma das Kind von seinem selbsternannten Spielplatz.
Den Trevi Brunnen können wir kaum sehen, so dicht ist er von Selfiemachern umlagert. Dabei wird rücksichtslos gedrängelt und geschubst. Auch hier zählt nur das Foto. Was Anderes ist auch kaum möglich. Erstaunlicherweise ist es in der Gasse nur hundert Meter weiter wieder ganz ruhig. Wir machen uns auf zum Palazzo Doria Phamphilij, dessen Kunstsammlung die Fürstenfamilie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Hier verschlägt es einem die Sprache, was Jahrhunderte von Geld und gutem Geschmack bewirken können. Die imponierende Sammlung von Gemälden und Skulpturen ist in Wandelgängen untergebracht, die sich um den ganzen Innenhof ziehen. Ab und zu muss man Nebenräume besuchen, in denen besondere Kostbarkeiten untergebracht sind, zum Beispiel ein Gemälde von Vélasquez, das Papst Innocent X zeigt, der so lebendig wirkt, als könne er jeden Augenblick seinem Bild entsteigen. Daneben eine Büste desselben Papstes von Bernini, dem unübertroffenen Meister der Skulptur. In einem anderen Raum hängen 3 Caravaggios. Eine wunderbare Darstellung der „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“, die der Künstler mit 22 Jahren gemalt hat. Daneben eine „Reuige Magdalena“, für die er sichtbar dasselbe Modell wie für die Maria im Fluchtgemälde genommen hat und die das Kleid einer stadtbekannten Prostituierten trägt. Daneben verblasst Johannes der Täufer, der die Gruppe vervollständigt.
Berlin hatte einst 6 Caravaggios. Vier sind im Flakturm Friedrichshain in den letzten Kriegstagen verbrannt. Man kann hier erahnen, wie groß der Verlust war.
Ob Tizian, Guido Reni, Dürer, Breughel – alles, was Rang und Namen hat, ist in der Sammlung vertreten. Geführt wird man von einem Audioguide, der von einem Angehörigen der Familie, die immer noch in den privaten Teilen des Palastes wohnt, besprochen wurde. Man erfährt nebenbei viel über den Bau und seine liebevolle Pflege über die Jahrhunderte. Zum Beispiel besteht der Boden der Spiegelgalerie aus Backsteinen, die über Jahrhunderte mit Bienenwachs poliert wurden und eine warme Tönung angenommen haben, als wären sie nicht Stein, sondern Holz.
Wer die Galerie besichtigt, sollte nicht versäumen, anschließend das Café der Galerie zu besuchen. Der Sinn für Qualität und Schönheit, der das Haus auszeichnet, setzt sich dort fort. Die Stunde, die wir dort verbrachten, diente dazu, die überwältigenden Eindrücke zu verarbeiten und uns wieder in den Alltag zu wagen.
Wenn ich nichts von Rom gesehen hätte, als diese Galerie, hätte sich die Reise schon gelohnt.