Einer der erstaunlichsten Gegenwartsautoren ist der Schweizer Volker Mohr. Auch sein neuestes Buch, „Die Staubdämonen“, das Anfang diesen Jahres erscheinen ist, scheint die Corona-Krise, ihre Ursachen und ihre Folgen zu beschreiben, obwohl es entstand, bevor die „Pandemie“ auftauchte.
Am Anfang steht immer ein Unbehagen. Man weiß, das etwas nicht stimmt, am fühlt sich aus einem Grund unwohl, dessen Herkunft man nicht genau bestimmen kann. Denn man hat die Vorzeichen übersehen, oder sich einreden lassen, dass die Menetekel nicht relevant seien. Im Buch ist es ein sonderbarer feiner Staub, der sich überall auf das Land legt. Schaltet ein Autofahrer reflexhaft den Scheibenwischer ein, um den Staub von der Frontscheibe zu waschen, verwandelt er sich in einen sichtbehindernden Schlamm, der sich sofort verfestigt. Man muss aussteigen und ihn abkratzen. In den Medien wird pausenlos darauf hingewiesen, dass es seit Wochen nicht geregnet hätte und das die Ursache dieses Staubs sei. Man möchte es glauben, kann es aber nicht wirklich.
In der Realität hat es vor Corona, BSE, Vogel-und Schweinegrippe gegeben. Letztere wurde zur weltweiten Pandemie erklärt, es wurden zahllose Tests initiiert und unnütze wie untaugliche Impfstoffe produziert, die den beteiligten Farmaunternehmen Milliardengewinne bescherten und die am Ende vernichtet werden mussten. Danach schien das Leben normal weiter zu laufen.
Im Buch beschließen die Haupthelden, Lennart und Marie mit dem alten Mercedes des verstorbenen Vaters von Lennart eine Rundreise durch dessen Lebensstationen zu nehmen. Sie entscheiden sich, nicht auf der Autobahn, sondern über die Landstraßen zu fahren. Sie übernachten in einem Landgasthaus. Während der blauen Stunde, die alle Gäste auf der Panorama-Terrasse verbringen, wird die Gesellschaft durch einen lauten Knall aufgeschreckt. Ein großer Stein hatte sich von einem Balkon gelöst und war auf die Terrasse gestürzt, glücklicherweise, ohne jemanden zu verletzen. Der Vorgang ist ein Rätsel, denn das Gebäude scheint grundsolide zu sein. Am nächsten Tag wird ein Handwerker bestellt, der auch keine Erklärung hat, aber den Schaden repariert.
Das Paar fährt weiter. Beim nächsten Halt kaufen sie einer Marktfrau, die gar nicht danach aussieht, ein paar Früchte ab. Im Radio kommt die Meldung über einen Erdstoß, von dem keine Erschütterung ausging. Solche seltsamen Dinge häufen sich, sagt die Marktfrau, die Paula heißt. Sie deutet auf einen Schutthaufen, wo vor Kurzem noch ein Haus stand, das aus unerfindlichen Gründen eingestürzt ist. Als das Paar weiter fahren will, streikt der Mercedes. Der Staub hat den Motor außer Betrieb gesetzt. Paula bietet Unterkunft in ihrem Haus an, man sie dort sicher, denn einstürzen würden nur die jüngeren Bauten, so viel wisse man, auch wenn es öffentlich nicht zugegeben würde.
Was ist die Ursache für diesen Staub, der sich überall ausbreitet? Lennart und Marie fühlen sich an einen Science-Fiction-Film aus den 60er Jahren erinnert. Invasoren, die als solche nicht zu erkennen waren, setzen diesen Staub gegen die Bevölkerung ein. Seine todbringende Eigenschaft war, dass er den Sauerstoff absorbierte. Wer ihm zu nahe kam, erstickte. Das wurde lange nicht geglaubt, als die Wahrheit endlich ans Licht kam, war es zu spät.
In Paulas Haus erleben Lennart und Marie, wie sich der Staubnebel verbreitet und verdichtet. Wer mit ihm in Berührung kommt, leidet schnell unter Hautausschlag. Als endlich ein bisschen Regen fällt, wird die Luft zwar für kurze Zeit reingewaschen, aber ein Schlamm, der nach dem Trocknen betonhart wird, bedeckt alles. Die Staubwolke entsteht neu. Sie legt den Verkehr lahm.. Immer mehr Gebäude stürzen scheinbar grundlos ein. Im Radio werden pausenlos dieselben Meldungen wiederholt. „Diktierte Meinungsfreiheit“ nennt Marie das.
Es ist ratsam, das Haus nicht mehr zu verlassen. Zum Glück hatte Paula entgegen dem Zeitgeist Vorräte angelegt. Der wachsende Wohlstand hatte dafür gesorgt, dass die Bevölkerung praktisch von der Hand in den Mund lebte. Wenn die Lieferketten zusammenbrachen, war man akut gefährdet. Wie lange der Aufenthalt im Haus noch möglich sein würde, war mehr als ungewiß, denn der Staub drang durch alle Ritzen. Anfangs können sie noch mit ihrem Laptop die Verbindung zur Außenwelt halten, dann bricht das Internet zusammen. Die drei sitzen am Kamin und erzählen sich Geschichten, wie im Decameron. Zu Boccacios Zeiten musste im pestbedrohten Florenz eine ähnliche Stimmung geherrscht haben.
Die Rede kam auch auf die Engländer, die vor zweihundert Jahren in einem extrem kalten und regnerischen Sommer sich am Genfer See die Zeit mit Naturphilosophie und Dichtung vertrieben. Eine davon wurde weltberühmt: Frankenstein von Mary Shelley. Die Dichterin hatte ein gutes Gespür für die Entwicklung gehabt, die im Golem-Mythos schon früh seinen Ausdruck gefunden hatte und heute in der künstlichen Intelligenz ihren Höhepunkt zu bekommen scheint. Was es bedeutet, dass das world wide web auch am Genfer See seinen Ausgangspunkt genommen hat, bleibt der Phantasie der Leser überlassen. Die Menschen hatten es geschaffen und sich ganz darauf verlassen. Ohne das Netz kommen sie sich wie in einem Schattenreich vor.
Was es mit den Staubdämonen auf sich hat, erfahren Lennart und Marie nicht aus dem Netz, sondern in der Realität. Das Virus hatte den Beton überfallen. Man ging immer davon aus, dass Viren nur Pflanzen, Tiere und Menschen befallen konnten. Man hatte dabei übersehen. dass auch Steine leben, auf ihre eigene, zeitferne Weise.Und so zerfällt in Mohrs Roman alles zu Pulver, was in den letzten 150 Jahren erbaut wurde: Straßen, Brücken, Tunnel., Anlagen, Häuser.
In der Realität zerfallen vor unseren Augen die emanzipatorischen Errungenschaften der letzten 150 Jahre, demokratische Rechte und Institutionen. Beschleunigt wurde dieser Prozess durch den Zusammenbruch des alten Machtsystems vor 30 Jahren.
Das Virus ist nicht zu stoppen oder zu „besiegen“. Aber die Menschen können es bannen, indem sie sich mental stärken und die eigenen Kräfte mobilisieren.
„Dazu muss man jedoch Eigenart entwickeln, Identität, oder nennen wir es Wahrhaftigkeit. Jeder Einzelne, aber auch die Gemeinschaft“.
Mohr beschreibt die Zersetzung, die stattgefunden hat, als ein Gleichnis, ein reales Gleichnis für die Zersetzung unserer Gesellschaft, die sich durch keine Vernetzung aufhalten lässt.
„Voraussetzung dafür war …die Vorstellung, dass alles gleichwertig und damit austauschbar sei. Gleichwertig und austauschbar werden die Dinge jedoch nur, wenn man ihr Immunsystem unterdrückt.“
Das eröffnet dem Virus ein weites Feld. Wenn wir das Immunsystem wieder aufbauen, in dem sich Eigenart regt, beginnt die Abstossung des Virus. Immerhin wird, wenn der Staub sich verzogen hat, nichts mehr sein, wie es war.
Ein kleiner Trost ist, dass die Menschen, die es erlebt haben, die Zeit nach dem Kriegsende vor 80 Jahren als die schönste in ihrem Leben empfanden. In abgeschwächter Form hat sich das in den 90er Jahren nach dem Ende des Kalten Krieges wiederholt.
„Das Alte, Überkommene, war untergegangen, das Neue, das sich bald wieder als das Alte gebaren würde – auf andere Art zwar -, war noch nicht da“.
Ein Zwischenzeit, die uns die Chance gibt, das entstehende Neue so wenig wie möglich wie das Überkommende Alte aussehen zu lassen.
Volker Mohr: „Die Staubdämonen“