Wie sich Seehofer listig an Söder rächt, und wie wir der fünften Amtszeit den Weg ebnen
Von Hans Heckel auf PAZ
Das sieht ihm wieder ähnlich, dem Seehofer Horst. Markus Söder hatte ihn unlängst vom Posten des CSU-Vorsitzenden verdrängt. Das hat Seehofer dem Jüngeren nie verziehen, denn seitdem hat der Bundesinnenminister in München nicht mehr viel zu melden. Immer schlecht für einen CSU-Bundesminister, denn das lässt auch seine Macht in Berlin merklich schrumpfen.
Aber so kam es nun mal. Söder, nun Ministerpräsident und CSU-Chef in einem, triumphierte und mag sich gedacht haben, den alten Rivalen mit dessen Entthronung endlich abgeschüttelt zu haben. Tatsächlich lief gerade in jüngster Zeit alles prächtig für den jugendlich gebliebenen 53-Jährigen. In der „Lockdown”-Krise konnte Söder in der Rolle des harten Hundes hervorragend punkten. Am Ende spülte ihn der öffentliche Zuspruch sogar ganz von selbst in die Riege der möglichen Merkel-Nachfolger, ohne dass Söder sich selbst ins Spiel bringen musste. Besser geht es nicht.
Dachte man. Doch dann kam Seehofer aus dem Gebüsch, die Taschen voller alter Rechnungen mit dem von ihm herzlich verachteten Söder, um Rache zu nehmen. Maliziös brachte der Innenminister eine zündende Idee auf, die das Zeug hat, alle (vor allem: Söders) Ambitionen auf die künftige Kanzlerschaft zu Brei zu verarbeiten: Angela Merkel könnte, durch Corona gestählt, doch einfach noch einmal kandidieren im Herbst 2021, sinniert Seehofer öffentlich.
Wir wollen uns gar nicht vorstellen, wie das bei den hoffnungsfrohen Nachfolgekandidaten eingeschlagen ist. Nicht bloß Söder, der bislang ja nur heimlich mit dem Kanzlergedanken spielt, auch Friedrich Merz und Armin Laschet müssen entgeistert sein und werden bittere Flüche an die Adresse des alten Bayern geschleudert haben. Aber was schert’s den? Seehofer hat für sich nichts mehr vor, und es heißt ja nicht umsonst: Nehmt euch in Acht vor alten Männern, die nichts mehr zu verlieren haben. Wie wahr!
Und nicht weniger vor Frauen, die auch nicht mehr die Jüngsten sind. Warum eigentlich nicht?, wird sich Merkel fragen. Noch mal vier Jahre, und es sind 20. Das hat nicht mal Bismarck geschafft!
Aber was sagen die Deutschen dazu? Weitere vier Jahre Merkel? Wollen wir das? Da müssen die Medien ran, Merkels treueste Verbündete. Und wie sollen sie uns einstimmen? Am besten in bewährter Methode: In den vergangenen 20 Jahren ist es denen gelungen, jede große Debatte dermaßen zu moralisieren, dass am Ende nur noch eine sagbare Meinung übrig blieb und jede Gegenrede als Teufelsgebräu verdammt wurde. Euro oder Krieg, Grenzöffnung für jeden oder wir sind alle Rassisten, für „Klimaschutz” und Energiewende oder die Welt geht unter: Jede Frage wurde so sorgsam wie brutal in „Gut” und „Böse” geschieden. Es klappte glänzend, so auch jetzt: Angelehnt an die bösen „Klimaleugner” betritt der „Lockdown”-Kritiker als menschenverachtender „Corona-Leugner” die Bühne.
Sobald sich die Ewig-Kanzlerin entschieden hat, ein weiteres Mal aufs Regierungsamt zu zielen, führen wir daher das Brandmal des „Merkel-Leugners” in die Debatte ein, um jede Widerrede gegen eine fünfte Amtszeit der Übergroßen aus dem Weg zu ballern.
Sicher, Sie haben ja recht: „Merkel-Leugner”? Das Etikett ist natürlich Unsinn. Niemand leugnet die Existenz der Frau. Aber macht das was? Unsinn waren die beiden anderen „Leugner”-Vorwürfe schließlich auch. Keiner der Angeklagten hat je die Existenz des Klimas oder jenes Virus geleugnet, sie wollen nur anders damit umgehen. Doch darum ging es gar nicht. Beim „Leugner”-Vorwurf geht es ums Ergebnis, nicht um die Substanz. Hinter allen „Leugnern” funkelt nämlich finster der „Holocaust-Leugner” hervor, daher die enorme Wirkung des Etiketts, und deshalb benutzt man es so gern.
Schade bloß, dass die Kanzler-Entscheidung nicht schon dieses Jahr fällt. Sonst hätte man die Sache durchziehen können, ehe die düpierten Möchtegern-Diadochen auch nur „Hoppla!” sagen können. Bis 2021 kann dagegen noch einiges passieren, und dies und das kündigt sich sogar schon an. Nichts Gutes, wie man zugeben muss.
Der Enthusiasmus, mit welchem sich die Deutschen in die Drangsal des „Lockdown” haben scheuchen lassen, beginnt zu bröckeln. Warum? Nun, manche Maßnahmen könnten als Mahnmal eines außer Kontrolle geratenen Verbotswahns in die Geschichte eingehen. Beispiele, die man so oder ähnlich wohl aus jeder Stadt kennt: An einem beliebten Hamburger Park ist die öffentliche Toilette geschlossen. Wieso? „Weil wir Corona haben”, belehrt uns die Außer-Haus-Verkäuferin im kleinen Café nebenan in einer für hanseatische Verhältnisse bemerkenswerten Pampigkeit. Wie es scheint, hat man die junge Frau schon öfters mit dieser Frage belagert, bis es ihr zu viel wurde.
Das Resultat des sanitären „Lockdown” ist wenige Meter weiter gut zu erschnüffeln, wo die Passanten stechender Uringestank umwabert, der sich aus großen Eibenbüschen Richtung Spazierweg ausbreitet. Zwischen der provisorischen Pinkelecke und dem Café haben die Behörden ein paar öffentliche Turngeräte mit weiß-rotem Absperrband vergattert. Die Leute turnen am Rand des Bereichs und greifen von außen nach den Geräten, einer neben dem anderen. Etwas weiter weg ist selbst ein kleines Balancierseil behördlich umwickelt, obwohl darauf ohnehin nur einer zurzeit sein Gleichgewicht üben kann. Daneben hat es ein Kinder-Fußballtor getroffen. Überhaupt haben sie die Spielplätze ja alle dichtgemacht. Die Gören hocken daher eng an eng daneben auf der Straße, wo man ja auch spielen kann. Die Mütter haben es sich im Pulk auf der Bank gemütlich gemacht. Abstand?
Dass nun alles wieder gelockert wird, wird auch der Furcht der Politik geschuldet sein, dass die Bürger die Sache ansonsten selbst in die Hand genommen hätten. Wenn der staatlich verordnete Unsinn nämlich allzu dreist ins Auge sticht, können selbst die regelbraven Deutschen zu Anarchisten mutieren. Das wollen wir lieber nicht riskieren, wo wir sie gerade so schön fest an der Leine haben.
Damit die Leute nicht frech werden, gilt es, ihnen ordentlich Angst zu machen vor der „zweiten Welle” der Infektion. Zweite Welle? Wieso „zweite”? Hatten wir denn überhaupt schon eine erste, wo die Leute in den Krankenhäusern auf den Gängen lagen und das Gesundheitssystem am Rande des Kollaps wankte? Nein, hatten wir nicht.
Das ist ein Problem, dessen Lösung sich die Verantwortlichen mit aller Hingabe widmen. Die Statistik-Kosmetiker arbeiten emsig an der Konstruktion einer sogenannten „Übersterblichkeit”, also an Kurven, die beweisen sollen, dass während (also: wegen) der Corona-Ausbreitung insgesamt mehr Menschen als sonst in Deutschland verstorben sind. Leider geben die Zahlen von Januar bis März nichts dergleichen her. Mal sehen, wie Lothar Wieler vom RKI das so interpretiert, dass das Gegenteil herauskommt. Wir sind sicher: Er findet einen Weg.