Corona und der Tod der Nagelstudios

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Von Gastautor Michael Wolski

Künstliche Fingernägel sind schon seit Jahrtausenden bekannt, waren aber immer der Elite vorbehalten. Mit den, von Hollywood produzierten Schönheitsidealen und den technischen Möglichkeiten (Erfindung des Nagellacks vor 100 Jahren, kurz danach die Möglichkeit künstliche Nägel aufzukleben und haltbar zu bemalen) entwickelte sich in den USA zur Mitte des letzten Jahrhunderts eine eigene Branche – das Nagelstudio.

Als ich vor 30 Jahren in New York war, faszinierten mich die langen Tische in den Studios, wo bis zu 25 Damen wie die Hühner nebeneinander auf der Stange saßen und geduldig ihre Finger der gegenüber sitzenden Nagelmodellistin entgegenstreckten, um dann nach etwa einer Stunde und $50 ärmer, sie der Welt zu präsentieren.

Aus den USA kamen in den 80ern die künstliche Fingernägel und deren Verzierung (Nail Art) nach Europa und eroberten die Herzen, nein: Finger der jungen und nicht mehr ganz so jungen Damen. Vom Privileg der Elite wurde es zum Privileg pubertierender Mädchen und überwiegend gewerblich Beschäftigten.
Bis Mitte der 90ern Jahre erfolgte das Aufbringen von künstlichen Nägeln und die Verzierung in Deutschland in Kosmetiksalons, dann entwickelten sich spezialisierte Nagelstudios. In Berlin konnte man diese Änderung sehr gut beobachten, entwickelten doch seither insbesondere Vietnamesinnen dieses Business.

Kosmetiksalons, da preislich anders aufgestellt, zogen sich aus der Nagelmodellage zurück (was nicht heißt, dass es noch einige gibt, die sie anbieten).
Seither sind sowohl in umgebauten Ladengeschäften der Innenstadt als auch in den Einkaufszentren diese Nagelstudios nicht mehr wegzudenken.
Die Statistik berichtet von etwa 60.000-65.000 Nagelstudios bundesweit, die 2019 einen jährlichen Umsatz von knapp 5 Milliarden Euro machten. Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Kleine Anfrage der SPD von 2019 im Landtag von Baden-Württemberg, die zum Nachdenken reizt. Damit gab es 2019 fast genau so viele Nagelstudios wie Kosmetiksalons (60.000), die allerdings nur 1,8 Milliarden Euro erwirtschafteten.

Ab heute müssen wir allerdings in Bezug auf Nagelstudios in der Vergangenheitsform sprechen. Denn in allen Bundesländern gibt es jetzt Regelungen zur maximalen Besucheranzahl in Geschäften und bei Dienstleistern. In Berlin heißt es: „Die Besucherzahl ist zu regulieren. Es gilt der Richtwert von einer Person pro 20 m² Geschäftsfläche. Gewerbe mit kleineren Räumlichkeiten dürfen Kund*innen nur einzeln bedienen.“
Wartezonen gibt es nicht mehr, nur noch Behandlung auf gebuchten Termin.
In einem Kosmetik- oder Nagelstudio in der Etage, Gesamtfläche von 75 qm, mit 4 Zimmern und einer Rezeption könnten also gleichzeitig 5 Kundinnen bedient werden.

Allerdings dürfen jetzt nicht in allen Bundesländer Nagelstudios öffnen, beispielsweise ist in Berlin und Baden-Württemberg keine Wiedereröffnung geplant.
In den Bundesländern, wo Nagelstudios wieder öffnen durften, wurde jetzt das Geschäftsmodell „Walk in“ verboten und zusammen mit der Limitierung der Anzahl paralleler Besucher erweist sich beides als Totengräber.

Denn profitabel können Nagelstudios nur betrieben werden, wenn viele Kundinnen gleichzeitig behandelt werden. So waren bei einer durchschnittlichen Größe von 50-75 qm oftmals 12-18 Tische im einzigen Behandlungsraum vorgesehen, manchmal nur etwa 12, ergänzt mit 4-6 Fußpflegeplätzen unmittelbar nebeneinander. Da eine 1:1 Bedienung erfolgt, hielten sich bisher maximal bis zu 36 Personen auf 75 qm Fläche auf!
Das ist jetzt Geschichte.
Jetzt gelten Abstandsregelungen und – beispielsweise in Berlin – für einen Besucher 20 qm Fläche. In NRW heißt es:
Die Anzahl von gleichzeitig im Geschäftslokal anwesenden Kunden darf eine Person pro zehn Quadratmeter der Verkaufsfläche im Sinne des Einzelhandelserlasses NRW nicht übersteigen.

Diese Regelungen verhindern auch in den Bundesländern, wo Nagelstudios wieder öffnen durften, einen wirtschaftlichen Betrieb. Nagelstudios sind in den 1B-oder 2A-Lagen der Städte und in Einkaufszentren angesiedelt, also da, wo die Gewerbemieten mit am höchsten sind. Eine Monatsmiete netto kalt für einen Quadratmeter Ladenfläche kostet dort mindestens 25 €. Hinzu kommen Nebenkosten und Umsatzsteuer. Bei einer Auslastung eines Studios mit 60 qm Fläche und parallel nur 3 oder 6 Kunden rechnet sich das Business nicht mehr.

Jetzt werden einige Kosmetiksalons versuchen den wegbrechenden Umsatz durch die Aufnahme von Nagelmodellistinnen zu kompensieren, haben diese Damen doch alle ihre Kundinnen, die regelmäßig zum Auffüllen kommen müssen.
Die Besitzer dieser Nagelstudios müssen nun umdisponieren. Es wird für sie schwer werden, schnell aus den Mietverträgen auszusteigen.

Einzige Alternative wäre es, in die Etage zu ziehen. Denn die Miete von Büro-und Praxisflächen (Etage) zu Ladenmieten (Parterre) in der City von Großstädten und Metropolen (die sog. 1B-Lagen) hat etwa ein Verhältnis von 1:3 bis 1:5. Ob es aber kurzfristig dort geeignete freie Räume gibt, bleibt abzuwarten.
In der Zwischenzeit werden die Kundinnen nervös, denn das regelmäßige Auffüllen der Gel-oder Acrylnägel können sie nicht selber machen und sie werden sich kritisch fragen, ob sie diese Acryl-oder Gelnägel noch weiterhin haben wollen.
Stirbt damit auch dieser Trend, sich mit künstlichen Nägeln, deren Bemalung und Bestücken mit Glitzersteinen zu schmücken?
Sehen wir auch hier ein Ende des amerikanischen Traums?

Eine weitere Triebkraft, die auf dieses Ende zusteuert, wäre die einsetzende Rezession und die notwendige Neuaufstellung der privaten Budgets.
Denn eine Neu-Modellage kostet etwa 40-60 €, das Auffüllen aller 3 Wochen etwa
20-30 €. Sind das dann die Euros, die man zukünftig nicht mehr übrig hat?



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