Während die Regierung tausende Fachkräfte aus dem Ausland anwerben will, zeigt eine aktuelle Studie, dass allein im vergangenen Jahr hunderttausende Hochqualifizierte Deutschland den Rücken kehrten
Von Josef Kraus auf PAZ
Die Zuwanderung nach Deutschland soll für Fachkräfte aus Nicht-EU-Staaten leichter werden. Pro Jahr sollen es laut Bundesregierung rund 25 000 sein. Dazu hatte der Bundestag am 7. Juni 2019 das Fachkräfteeinwanderungsgesetz beschlossen. 369 Abgeordnete stimmten dafür, 257 dagegen. Gefeiert wurde dies soeben Mitte Dezember mit einen „Fachkräftegipfel“ im Kanzleramt.
25 000? Da fällt einem eine andere Zahl ein: Binnen fünf Jahren sind rund zwei Millionen Migranten/Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Wären die erhofften 25 000 Fachkräfte, sieht man von rechtlichen Implikationen (Schutzstatus, Duldung usw.) ab, nicht aus den zwei Millionen rekrutierbar? Angeblich ja. Der spätere SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz (SPD) meinte 2015: „Was die Flüchtlinge zu uns bringen, ist wertvoller als Gold.“ Daimlers damaliger Chef Dieter Zetsche dachte damals ähnlich: „Genau solche Leute suchen wir doch.“
Überzogene Erwartungen
Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) als wissenschaftliches Institut der Bundesagentur für Arbeit wurde nicht müde, auf das angeblich hohe Bildungsniveau von Flüchtlingen und Asylbewerbern hinzuweisen. Ein Professor Herbert Brückner, tätig am IAB, meinte noch im August 2016 in der „Tagesschau24“, fast die Hälfte der jungen Flüchtlinge habe ein Gymnasium besucht. Woher diese Zahlen? Brückner hatte 123 Flüchtlinge befragt. Das ist alles andere als repräsentativ. Ganz zu schweigen davon, dass international längst nicht alles Gymnasium ist, was sich Gymnasium nennt.
Das ifo-Institut war von Anfang an realistischer: „Zwei Drittel der Achtklässler in Syrien haben 2011, also noch vor Ausbruch des Bürgerkrieges, nicht einmal ein Kompetenzniveau erreicht, das der untersten Stufe des Pisa-Tests entspricht … Der Rückstand der jungen Syrer entspricht vier bis fünf Jahren Schulbildung.“ Das heißt: Sie bewegen sich auf Grundschulniveau. Hans Werner Sinn, ifo-Chef bis 2015, konkretisierte dies: Bei seiner Abschiedsvorlesung sagte er: „65 Prozent der Bevölkerung in Syrien können die Grundrechenarten nicht.“ Sehr wenig Aussagekraft haben auch manche Diplome, die Zuwanderer mitbringen. Der Psychologe Heiner Rindermann von der Universität Chemnitz sprach Anfang 2016 davon, dass Flüchtlinge, die mit einem Ingenieursdiplom aus dem Nahen Osten kommen, eher auf dem Realschulniveau einzustufen sind.
Abwanderung von Qualifizierten
Nun also kommt das Fachkräftezuwanderungsgesetz, das pro Jahr 25 000 Qualifizierte nach Deutschland locken soll. Ein „braingain“ – ein Gewinn an „brain“, also Hirn und Verstand? Nein, denn dieser – wenn er denn kommt – Gewinn wird mehr als zunichte gemacht durch einen dauerhaft massiven „braindrain“, also einen Verlust an „brain“: 2019 wanderten rund 180 000 Deutsche aus. Deren Durchschnittsalter ist 32 Jahre; zu 76 Prozent sind es Akademiker, so eine Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung von Anfang Dezember 2019 mit dem Titel „German Emigration and Remigration Panel“. Seit 2001 sind daraus fast zwei Millionen Emigranten geworden. Deutschland ist längst kein Traumland für „Köpfe“ mehr, wenn sie in anderen Ländern weit mehr verdienen können, dort keine überbordende Bürokratie, keine hohen Sozialabgaben und Steuern haben.
Ansonsten darf man nicht vergessen, dass der Fachkräftemangel in Deutschland hausgemachte Gründe hat. Das sollte man mehr als 14 Jahre nach Antritt von mittlerweile vier Kabinetten einer Bundeskanzlerin Merkel nicht übersehen. Irrwege und Schlafmützigkeiten waren angesagt. Die „Rente mit 63“ wirkte massiv: 2017 ergab eine Auswertung des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), dass die Zahl der Beschäftigten im Alter von 63 bis 65 Jahren in der Branche nach Einführung der neuen Regelung um mehr als zwölf Prozent gesunken war. Über Vorruhestandsregelungen werden zudem pro Jahr hunderttausende Mitarbeiter qua Abfindung in Rente geschickt. Beides sind Maßnahmen zur Vergeudung von Wissen und Können.
Zudem ist das Bildungswesen von gewaltigen Schieflagen geprägt, die maßgeblich verantwortlich sind für einen Fachkräftemangel bei gleichzeitiger Pseudo-Akademisierung: Mitte der 1990er Jahre gab es in Deutschland pro Jahr eine Viertelmillion Studienanfänger, jetzt sind es mehr als eine halbe Million. Seit fünf Jahren haben wir mehr Studienanfänger als junge Leute, die eine berufliche Bildung anfangen. Jetzt haben wir in Deutschland 330 Berufsbildungsordnungen und 17 000 Studienordnungen. Auch das eine völlige Schieflage! Obendrein finden diese „akademischen“ Expansionen vor allem in den „Diskurs“-, also in den Geistes- und Sozialwissenschaften statt, die eher eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst oder im staatlich alimentierten Sektor der Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) garantieren, aber keine Fachkräftelücke schließen lassen.
Stellenabbau überall
Übersehen darf man auch nicht, dass sich Deutschland inmitten eines Abbaus (!) von Arbeitsplätzen befindet. Die Deutsche Bank will 18 000 Stellen streichen, allein in Deutschland eine „substanzielle Zahl“. Bei Continental sollen 20 000, davon 7000 in Deutschland, wegfallen, bei Siemens 10 000, bei VW 7000, bei Ford 5400, bei Thyssenkrupp 4000, bei Airbus „Tausende“ von 12 000, bei C&A 100 Filialen von 450. Auch das ist „braindrain“ – oft genug in die Arbeitslosigkeit. Und ausgerechnet jetzt will man vonseiten des Staates neue Fachkräfte aus Nicht-EU-Ländern anwerben.
Ein Kernproblem bleibt obendrein, auch wenn kaum jemand bereit ist, es auszusprechen: Die wirklich qualifizierbaren und qualifikationswilligen Migranten werden dringendst in ihren Herkunftsländern gebraucht, um ihr Heimatland voranzubringen. Alles andere wäre ein Stück Kolonialismus 2.0. Wie hieß das Motto doch? „Fluchtursachen bekämpfen“.