Einen Vorgeschmack auf den Mentalitätswandel in den USA bekommt man schon, wenn man mit United Airlines von Berlin nach New York fliegt. Die hübschen Stewardessen in ihren adretten Uniformen waren gestern. Die politisch korrekte bunte Crew von heute ist dem Pensionsalter nahe und ziemlich vollschlank. Da können wenigstens keinem Passagier unziemliche Gedanken kommen. Aber freundlich sind sie, auch wenn die Bordverpflegung nicht mehr für die letzten Reihen reicht. Weil Vegetarier und Veganer Extra-Würstchen bestellen können, gibt es die Möglichkeit, Fluggäste, die leer ausgegangen sind, mit den veganen Resten zu beglücken.
Unser Flug kam pünktlich in Newark an. Auf dem Riesenflughafen kann man leicht die Orientierung verlieren. Aber keine Bange: Service is our first priority, ist eine häufig zu sehende Werbung. Tatsächlich stehen überall uniformierte Angestellte herum, die den hilflosen Passagieren die jeweiligen Automaten erklären, die Tickets ausspucken, die man früher von solchen Angestellten in die Hand gedrückt bekam. Schnell stellt sich heraus, dass diese Fachkräfte nur wissen, was sie zu erklären haben. Sie nach dem Weg zum Flughafen-Express nach NY zu fragen, ist zwecklos.
Zu meinem Hotel hätte ich die U-Bahn nehmen können, aber ich beschloss, den Broadway entlang zu Fuß zu gehen. Das war nicht ganz einfach. Einen Tag vor Thanksgiving, dem wichtigsten Feiertag der Amerikaner, schien die Stadt überzuquellen von Besuchern. Die gefühlte Hälfte zog wie ich einen Gepäcktrolley hinter sich her. An jedem Straßenübergang kam es zum Kampf aller gegen alle. Die Fußgänger betraten die Straße noch, wenn die Ampel längst auf Stopp geschaltet hatte und behinderten die anfahrenden Autos. Umgekehrt blockierten die Autos die Übergänge. Von der Gelassenheit der New Yorker, die ich bei früheren Aufenthalten schätzen gelernt hatte, ist nur noch wenig zu spüren. Immerhin wird man immer noch angesprochen, sobald man sich suchend umsieht. Das heißt, in der Menge befinden sich noch ein paar Ureinwohner.
Unser Hotel lag an der 29th Street/ Ecke Broadway und stellte sich als Pendant des Berliner Soho-House heraus. Die Lobby war als solche kaum zu erkennen, weil die zahllosen jungen Leute mit ihrem Laptops auf Sofas, Sesseln Stühlen und auf dem Boden sie in eine Art Großraumbüro verwandelt hatten. Ich glaubte schon, mich in der Tür geirrt zu haben, als ich die Rezeption in der rechten Ecke doch noch entdeckte. Nach dem freundlichen Empfang durch einen heftig an Fingern und Ohren beringten jungen Mann erwartete mich eine unangenehme Überraschung: Meine Visacard erwies sich als nicht einsetzbar. Sie hatte zuvor problemlos in Georgien, Polen, Litauen und Amsterdam funktioniert. Meine Reise schien schon zu Beginn im Desaster zu enden. Mein Hinweis, dass mein Sohn, der zur Zeit in den USA arbeitet, am nächsten Tag mit einer garantiert funktionierenden Kreditkarte käme, führte anfangs nicht dazu, dass ich mein Zimmer beziehen durfte. Erst meine Enkelin, die ich in Berlin angerufen hatte, überzeugte einen anderen Rezeptionisten mit ihrer Engelsstimme, mich aus dem Dilemma zu erlösen. Ich bekam ein sehr schönes Zimmer im elften Stock mit noch unverbautem Blick auf das Empire State Building und konnte mich erst einmal von dem Schock erholen. Zum Glück hatte ich noch genug Bargeld umgetauscht, um bis zur Ankunft meines Sohnes versorgt zu sein.
Was die Visacard betraf, fand ich schnell heraus, dass es nicht nur bei mir Schwierigkeiten gab. Auch bei meinem Sohn funktionierte nur seine amerikanische Firmenkarte. Telefonische Nachfragen ergaben, dass man wegen eines speziellen amerikanischen Sicherheitssystems vor jeder Transaktion bei der Visa-Hotline anrufen müsse, um die betreffende Summe freischalten zu lassen. Das scheint jedenfalls alle Karten zu betreffen, die von Sparkassen ausgestellt wurden. Unbekümmertes Shopping ist so kaum möglich, es sei denn, man deckt sich mit ausreichend Bargeld ein. Sollen die Touristen auf diese Weise sanft dazu bewegt werden, sich mit American Express auszustatten?
In den neunziger Jahren waren die USA noch billig. Man konnte sich mit günstiger Kleidung, Kosmetik und technischen Geräten eindecken und damit einen Teil seiner Reisekosten wieder reinholen. Die Zeiten sind längst vorbei. New York ist sündhaft teuer. Ein Stück Kuchen kostet zwischen 5 und 6 Dollar, ein Croissant ist nicht unter vier Dollar zu haben, für ein Glas Wein muss man 9 Dollar aufwärts hinblättern. Ein Frühstück zu zweit im Le pain quotidien schlägt mit vierzig bis fünfzig Dollar zu Buche, das Thanksgiving-Dinner zu zweit in einem Restaurant in Brooklyn ohne Weinbegleitung mit zweihundertfünfzig. Dafür ist alles bio.
Das vergisst man sofort, wenn man wie wir über die Brooklyn Bridge von Manhattan nach Brooklyn läuft und das großartige Panorama vor Augen hat, welches die nächtliche Stadt bietet. Noch schöner, weil ungestörter, fand ich den Blick vom kleinen Uferpark unter der Manhattan Bridge in der Nähe unseres Restaurants. Hier waren keine Touristen, nur ein paar Hundebesitzer, die ihre Lieblinge Gassi führten. Ab und zu rumpelte ein Zug über unseren Köpfen hinweg, der die innere Ruhe, die sich beim Anblick der grandiosen Kulisse von Big Apple einstellt, nicht stört.
Aber schon dieser Blick zeigt, wie sehr sich NY verändert. Seit meinem letzten Aufenthalt 2005 sind zahllose neue, schmale Hochhäuser entstanden, die wie Schornsteine in den Himmel stechen. Auf der 5th Avenue sahen wir eins, dass ein altes Haus, welches dem Investor offenbar nicht weichen wollte, unter den Arm nahm. Baugrund ist knapp. Die Frage ist, wer hier wohnt. So viel Millionäre kann es gar nicht geben, um all die Appartements zu bevölkern. Hinter die Glitzerfassaden kann man nicht schauen, aber in den alten Blocks ist viel Leerstand auszumachen.
Im Trump-Tower ist dagegen die Welt noch in Ordnung. Hier wird noch nach Männlein und Weiblein unterschieden. Das Trump Café und der Trump-Grill sind bis auf den letzten Platz besetzt. Das ganze Gebäude glänzt im Weihnachtsschmuck. Dem Andrang nach zu urteilen, ist Trumps Popularität außerhalb der linken Filterblase ungebrochen.