In Thüringen wird die Demokratie entsorgt

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In einer funktionierenden Demokratie haben die Wähler die Möglichkeit, eine Regierung, die nicht ihren Vorstellungen entspricht, abzuwählen. Das hat zum letzten Mal funktioniert, als die erste GroKo der Regierung Merkel abgewählt und durch eine schwarz-gelbe Koalition ersetzt wurde. Als die Freien Demokraten ihre Wähler im Stich ließen und die Politik der Großen Koalition fast widerspruchslos fortsetzten, flogen sie aus dem Bundestag.

Seitdem liegen große Koalitionen wie Mehltau über dem Land. Verschlimmert hat sich der Zustand, seitdem sich die beiden kleinen Oppositionsparteien im Bundestag, Grüne und FDP, als Regierungsparteien im Wartestand begreifen und, statt die Regierung zu kontrollieren, in einer Einheitsfront zusammen mit den Regierungsfraktionen die einzige Oppositionspartei im Parlament bekämpfen. Mittlerweile hält sich die Regierung in Deutschland für alternativlos, denn notfalls gibt es eine Allparteien-Koalition aller „Demokraten“ gegen den erklärten Wählerwillen. In Sachsen haben zwei Drittel der Wähler konservativ gewählt und eine rot-grüne Regierung unter Führung der CDU bekommen. Was Ministerpräsident Kretschmer unter Missachtung des Wählerwillens noch durchdrücken konnte, ist in Thüringen schwieriger geworden.

In Thüringen ist die rot-rot-grüne Regierung abgewählt worden, aber der Verlust ging auf Kosten der kleineren Koalitionspartner. Die Linke, wie die umbenannte SED heute heißt, konnte sogar Stimmen gewinnen, aber eben nicht genug, um die Verluste auszugleichen. Die CDU, die bisher größte Oppositionspartei im Landtag, fuhr unter ihrem Spitzenkandidaten Mohring noch größere Verluste ein. Sie erzielte nach fast 12 % Minus das schlechteste Ergebnis seit Neugründung des Freistaats und rutschte auf Platz 3 ab. Da ist es schon so etwas wie Realsatire, wenn Mohring verkündete, die Regierung Ramelow wäre abgewählt und müsste von ihm, dem größten Wahlverlierer von allen, ersetzt werden.

Mohring, der den Wahlkampf ganz auf sich als künftigen Ministerpräsidenten zugeschnitten hatte, ist bis heute nicht bereit, die Verantwortung für seine Niederlage zu übernehmen. Im Gegenteil, unter dem Deckmantel seiner angeblichen „staatspolitischen Verantwortung“ versucht er seit vierzehn Tagen auf allen Ebenen durch Kungelei doch noch zu erreichen, was die Wähler ihm verwehrt haben, Ministerpräsident, oder wenigstens Vize von Thüringen zu werden, in welcher parteipolitischen Konstellation auch immer. Was dabei keine Rolle spielt, sind irgendwelche Inhalte, die er oder seine Partei zum angeblichen Wohl von Thüringen voranbringen wollen.

Seltsam still verhält sich Ministerpräsident Bodo Ramelow. Er kann geschäftsführend im Amt bleiben, notfalls bis zur nächsten Wahl. Ehrlicher aber wäre es, wenn er sich im Amt bestätigen ließe. Im dritten Wahlgang wäre ihm der Erfolg sicher. Eine Minderheitsregierung wäre geradezu eine Belebung der brachliegenden Demokratie, denn die Regierung müsste für alle ihre Vorhaben um die Stimmenmehrheit im Landtag kämpfen. Das würde die Parlamentarier reanimieren, die sich positionieren müssten, statt Regierungsvorhaben nur abzunicken. Warum zögert Bodo Ramelow? Es ist, als ob er ein Signal aus dem Kanzleramt erhalten hätte, abzuwarten, bis die Hindernisse für eine Koalition mit der CDU beseitigt sind. Natürlich wäre dies für Ramelow die Königsvariante, denn fortan würde niemand mehr an der Demokratiefähigkeit der SED-Linken zweifeln dürfen.

Bekanntlich haben schon am Wahlabend die öffentlich-rechtlichen Sender für eine solche Koalition getrommelt, ohne Widerspruch aus dem Kanzleramt. Auch Mohring signalisierte schon eine Stunde nach Schließung der Wahllokale, dass er zur „staatspolitischen Verantwortung“ bereit sei. Für alle, die noch nicht verstanden hatten, dass er damit die Koalition mit der Linken meinte, präzisierte er das am nächsten Morgen beim Frühstücksfernsehen. Womit er offensichtlich nicht gerechnet hat, war der Widerspruch der Parteibasis, der sich als so stark erwies, dass Mohring zurückrudern musste. Ramelow konnte nur Schadensbegrenzung betreiben, indem er Mohring offiziell sein Gesprächsangebot entzog, weil der eine SMS von ihm öffentlich gemacht hatte. Das von der Basis erzwungene Gesprächsverbot mit der Linken liegt nun als schweres Hindernis bei der Parteien-Kungelei im Weg.

Mohring, in seinem unstillbaren Drang nach dem Ministerpräsidenten-Posten, versuchte als Notvariante eine Minderheitsregierung zustande zu bringen, von SPD, Grünen, FDP und CDU. Wieder spielen dabei keinerlei inhaltliche Erwägungen eine Rolle, sondern reine Zähltechniken. Die ungeliebte AfD ist in dieser Rechnung durchaus als Steigbügelhalter willkommen. Aber Mohring kann es offensichtlich doch nicht wagen, sein Szenario durchzuziehen. Viel zu unsicher ist, ob er alle Stimmen seiner eigenen Fraktion bekommt. Zwar hat es niemand gewagt, gegen ihn als Vorsitzenden anzutreten, aber sein 60 %-Ergebnis ist mehr als mager. Der Unmut über ihn in der Partei ist noch größer.

In dieser Situation ist eine Initiative von Bürgerrechtlern interessant, die in einer zum offenen Brief umgewandelten Petition den Weg für die SED-Linke in eine Koalition mit der CDU frei machen wollen.

Die Aktion erinnert an den Aufruf „Für unser Land“, mit dem im Spätherbst 1989 Intellektuelle, Künstler und Linke Bürgerrechtler die Herrschaft der SED und den Fortbestand der DDR sichern wollten. Damals hat die Bevölkerung auf der Straße unmissverständlich signalisiert, dass sie keine weiteren Experimente, sondern die Vereinigung will.

Der diesjährige Aufruf zur Unterstützung der SED-Linken nennt sein Ziel nur indirekt. Er fordert eine „Verantwortungsvolle Politik in einem offenen und freien Thüringen“. Jenseits des alten „Lagerdenkens“ solle es zu einer “tragfähigen und stabilen Regierung“ kommen. Als Vorbild werden ausgerechnet die Runden Tische von 1989/90 genannt, wo, zumindest was den zentralen runden Tisch betrifft, die Bürgerrechtler nach allen Regeln der Kunst über den Tisch gezogen und sichergestellt wurde, dass die SED bestehen blieb und weich im vereinten Deutschland landete.

Die einzige Abgrenzung, die es geben soll, ist die Forderung, der „von einem Faschisten geführten AfD eine Absage zu erteilen“.

Wer mit solchen Appellen an die Öffentlichkeit geht, sollte zumindest den Unterschied zwischen Faschismus und Nationalsozialismus kennen. Björn Höcke ist kein Faschist, sondern ein nationaler Sozialist, dessen persönliche Schnittmengen (nicht die seiner Gesamtpartei) mit dem Sozialisten Ramelow größer zu sein scheinen, als die von Linke und (traditioneller) CDU, was schlaglichtartig klar wurde, als Höcke als erster den Vorstoß Ramelows für einen Treuhand-Untersuchungssauschuss unterstützte.

Erstaunlich auch, dass diese Bürgerrechtler, die sich auf die Friedliche Revolution 1989 berufen, die darauf angelegt war, die Macht der SED zu brechen, keinerlei Probleme mit der umbenannten SED haben, die immer noch den „Systemwechsel“ im Programm hat, sich weigert, die DDR als Unrechtsstaat zu bezeichnen, Enteignungen anstrebt, wie in Berlin zu sehen ist, nach wie vor Stasimitarbeiter in die Parlamente schickt und offen linksradikale Aktionen unterstützt. Bodo Ramelow ist sicher kein Radikaler, aber er ist in einer Partei, die nie eine klare Trennung zum Linksextremismus vollzogen hat.

Auch die nach wie vor ungeklärte Frage nach dem Mammutanteil des unter der politischen Verantwortung des letzten SED-Chefs Gregor Gysi verschobenen SED-Parteivermögens, zu dem die Genossen im Bundestagsuntersuchungssauschuss jede Aussage verweigert haben, mit der identischen Erklärung, sie würden sich der Strafverfolgung aussetzen, wenn sie ihr Wissen vor dem Ausschuss offenlegten, ist für diese Bürgerrechtler kein Grund, der SED-Linken nicht wieder an die Macht verhelfen zu wollen. Inzwischen könnten die Genossen ihr Wissen um die verschwundenen Milliarden offenlegen, weil die Delikte verjährt sind, aber eine solche Forderung wird auch von diesen Bürgerrechtlern nicht erhoben.

Wenn es in Thüringen tatsächlich zu einer Linke-CDU-Koalition kommt, dann ist das Allparteien-Kartell für die nächste Bundestagswahl gesichert. Nur noch mit der Linken kann ein Regierungswechsel, wie er in einer Demokratie selbstverständlich sein sollte, verhindert werden. Wir hätten dann ein Land, in dem bürgerliche Positionen keine politische Vertretung mehr haben. Die CDU als Steigbügelhalter für eine Regierung der Linken wäre eine Wiederholung der Situation von 1949, wo die SED nur mithilfe der Blockparteien an die Macht kam. Heute nennt man das nicht mehr „Nationale Front“, sondern „breites Bündnis“, aber der Zweck ist gleich geblieben: Machterhalt um jeden Preis, gegen den Willen der großen Mehrheit der Bevölkerung. Damit ist die Demokratie entsorgt.

Wer schweigt, stimmt zu!



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