Wie aus Freunden Probleme werden, wie Wahrheiten unsere Werte beleidigen, und was man (nicht) verschweigen darf

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Der satirische Wochenrückblick
mit Hans Heckel

Immer wenn du denkst, das übertrifft keiner mehr, kommt jemand daher, und setzt noch einen drauf. Einen wie diesen hier: Der Fußballverein Werder Bremen stoppt den Verkauf eines Fan-Schals, der die Verbundenheit des Klubs mit dem Nachbarverein Atlas Delmenhorst zeigen sollte. Warum? Auf dem Schal steht die Losung „Auf gute Freunde“, was zu Entrüstungsstürmen führte. Begründung: Teile der Atlas-Fanszene stimmten nicht mit den „Werten“ überein, für die Werder stehe. Soll heißen: Einzelne Delmenhorster Fußballfreunde stehen im Verdacht, politisch nicht auf Regierungslinie zu sein.

Außerdem verweise der Spruch „Auf gute Freunde“ auf ein Lied der Rockgruppe „Böhse Onkelz“. Die Band tummelte sich in den 80er Jahren in der „Rechtsrock“-Szene herum. Also zu der Zeit, als das SED-Regime noch an der Mauer Menschen erschoss, Oppositionelle ins „Gelbe Elend“ von Bautzen sperrte und deren Kinder zwangsweise wegadoptieren ließ. Die Linkspartei, wie die SED mittlerweile heißt, gilt heute sogar bei ersten CDU-Politikern als möglicher Partner.

Den „Onkelz“ geht es da anders, obwohl sie schon vor 26 Jahren bei „Rock gegen Rechts“-Konzerten mitmachten und tausendfach beteuert haben, wie geläutert sie seien. Arme Kerle! Was sind das nur für Zeiten, wo nicht einmal ein derart zerknirschter Opportunismus belohnt wird?
Andererseits, was soll das heißen, „Zeiten“? Als wenn unsere Gegenwart etwas Außergewöhnliches an sich hätte! Nein, nein, der politische Gleichschaltungskult, dem an der Weser und im ganzen Land immer hingebungsvoller gehuldigt wird, der ist keineswegs neu in der Geschichte, in der deutschen zumal. Werder-Chef Hubertus Hess-Grunewald stand wegen der Möglichkeit von politischen Abweichlern beim Nachbarklub in Delmenhorst und der „Onkelz“-Bezüge umgehend stramm. Über den Stopp des Schal-Verkaufs sagte er zum „Weser-Kurier“: „Bei der Freigabe der Artikel ist uns diese mögliche Verbindung nicht bewusst gewesen.“ Der Mann lässt sich in Linientreue von niemandem überbieten. Schon vergangenes Jahr dekretierte SPD-Genosse Hess-Grunewald, dass AfD-Wähler keineswegs Fans von Werder sein könnten, wegen der „Werte“. Wir sehen: Er ist ein wachsamer und zuverlässiger Parteikämpfer.
Das kann man nicht von allen Fußball-Funktionären sagen, wie wir erfahren mussten: Clemens Tönnies, Aufsichtsratschef von Schalke 04, hat sich schuldhaft in größte Gefahr gebracht. Der Fleisch-Unternehmer kritisierte in einer Festrede zum Tag des Handwerks in Paderborn die Steuererhöhungen gegen den Klimawandel und empfahl, stattdessen lieber jährlich 20 Kraftwerke in Afrika zu finanzieren, denn „dann würden die Afrikaner aufhören, Bäume zu fällen, und sie hören auf, wenn’s dunkel ist, Kinder zu produzieren“.

In feineres Deutsch übersetzt hat Tönnies also allen Ernstes behauptet, in Afrika würden zu viele Bäume gefällt, um Feuer zu machen, und außerdem leide der schwarze Kontinent unter Bevölkerungsexplosion. Wie kommt er nur darauf? Na ja, vielleicht weil’s stimmt?

Was heißt das: Weil’s stimmt! Na und? Ob’s stimmt, ist doch vollkommen egal. Es stimmt nicht mit unseren „Werten“ überein und gibt daher ein „kolonial-rassistisches Bild von Afrika“ wieder, wie Timo Reinfrank von der Amadeu-Antonio-Stiftung klarstellt. Daher seien Tönnies’ Worte „nicht mehr im Rahmen des Tolerierbaren“.

Dass der Beschuldigte seine Formulierung als „unangebracht“ zurücknahm und sich entschuldigte, reicht einem wie Reinfrank noch lange nicht. Im schneidenden Ton eines Schauprozess-Anklägers urteilt er: Tönnies dürfe sein Amt als Aufsichtsratschef nur behalten, wenn er bereit sei, sich mit seinem „problematischen Weltbild“ auseinanderzusetzen.

Ja: Kritik und Selbstkritik − nur das kann den verlorenen Bürger Tönnies jetzt noch retten. Oder auch nicht. Soll er mal die „Böhsen Onkelz“ fragen. Doch überhaupt: „Kritik und Selbstkritik“ − dass diese gute alte Diktatur-Methode zur Disziplinierung von Selbstdenkern und Freirednern heute wieder so unverstellt Anwendung findet, lässt jedes Stalinistenherz aus der Mördergrube springen!

Zurzeit müssen wir ohnehin alle Register ziehen. In wenigen Wochen sind schließlich Landtagswahlen in den zwei besonders gefährdeten Ländern Brandenburg und Sachsen. Aus diesem Anlass hat sich eine ansonsten recht bürgerliche Tageszeitung den märkischen AfD-Spitzenkandidaten Andreas Kalbitz kräftig zur Brust nehmen wollen.

Der hat beispielsweise einem alten britischen Soldaten bei einem Filmprojekt geholfen. Der 2006 verstorbene Mann namens Stuart Russell lebte, so erfahren wir, in der Nähe der Wewelsburg bei Paderborn. Das macht ihn offenbar schon an sich verdächtig, denn die Burg war ja einst das Zentrum der SS.

Aber es wird noch verdächtiger: In dem Film geht es um den Vormarsch der 1. Gebirgsdivision im Zweiten Weltkrieg, er endete 1942 im Kaukasus. Dass die Division im Jahr darauf an schweren Kriegsverbrechen in Griechenland beteiligt gewesen sei, werde aber mit keinem Wort erwähnt, kritisieren die Journalisten.

Ja, warum auch, es ging doch um den Vormarsch bis in den Kaukasus, nicht um die Zeit danach, möchte man einwenden. So geht das aber nicht, „mit keinem Wort erwähnt“ heißt nämlich nichts anders als: absichtlich verschwiegen!

Das sollten wir uns hinter die Ohren schreiben: Wer künftig beispielsweise eine Geschichte über Kolumbus’ erste Entdeckungsfahrt schreibt und sie bei der Landung auf den Bahamas enden lässt, der hat die Ereignisse danach bewusst verschwiegen. Wer von Wartburg-Autos, Spreewaldgurken oder meinem bevorzugten Geschirrspülmittel („Fit“ aus Zittau-Hirschfelde) erzählt, ohne dabei ausführlich auf die Mauertoten, politischen Gefangenen und Zwangsadoptierten in der DDR einzugehen, der hat die Verbrechen des SED-Regimes absichtlich verschwie… Ach nein, in dem speziellen Zusammenhang verfahren wir irgendwie anders. Und warum verfahren wir in dem speziellen Zusammenhang irgendwie anders?

Erstens, weil das Thema ganz einfach Gurken war und nicht Mauer. Und zweitens, weil wir aus ideologischen Gründen nicht wollen, dass das SED-Regime in allzu schlech… − das „Zweitens“ verschweigen wir lieber.
Also zurück in den Wahlkampf, zu Kalbitz. In dem langem Zeitungsartikel lesen wir allerhand über die finsteren Umtriebe des Politikers. Der Film von Russell, bei dem Kalbitz geholfen hat, „macht den Eindruck“ einer „geschickten Hitler-Verehrung“, denn Dinge seien „unkritisch übernommen“ worden, manches in dem Streifen „wirke“, als „versuchten“ die Autoren von etwas abzulenken, wird ein Experte zitiert, der angibt, ihm „scheint“ der Film etwas „zu suggerieren“. Erst recht weit unten erfahren wir, warum Kalbitz dem Briten wohl geholfen hat: Er war sein Schwiegervater.

Später heißt es noch, Kalbitz sei in einem kleinen Verein von Hobby-Historikern drin gewesen, der schon deshalb verdächtig ist, weil ihn einst ein SS-Veteran gegründet hat. Wir kennen den Verein nicht. Was die Zeitung weglässt, ist das Detail, dass der Vereinsgründer schon elf Jahre tot war, als Kalbitz da aufkreuzte.

So schwurbelt und schwiemelt es sich von Andeutung zu Andeutung, ohne Kalbitz mit einem konkreten Vorwurf festnageln zu können. Zum Schluss gipfelt der Beitrag in einem Satz, der einen nach der Lektüre dieses endlosen Geschwiemels aufheulen lässt: „Vielleicht besteht das Geschick des Andreas Kalbitz heute jedenfalls darin, keine ausgearbeitete Ideologie vorzutragen, sondern es bei Assoziationen zu belassen.“

Ist das nicht klasse? Eine ganze Zeitungsseite lang um den heißen Brei herumtanzen, ohne einen konkreten Punkt anbringen zu können, und danach dem Kritisierten vorhalten, er belasse es bei „Assoziationen“.



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