Die Verbannung von Freiheit und Verantwortung zugunsten der Gesinnung unter dem Vorwand des Gemeinwohls

Veröffentlicht am

von Gastautor Josef Hueber

Freiheit, einer der großen Leitbegriffe deutscher Literatur in den Epochen des Sturm-und-Drang und der Deutschen Klassik, ist in der gegenwärtigen Phase der Anti-Aufklärung im Archiv politischer Ideale abgelegt worden. Die Krake Öffentliche Meinung umschlingt zunehmend das Recht auf Dissens .Dies betrifft sowohl die Ebene der Politik als auch die individuelle, freie Lebensgestaltung der Bürger.

DAS SCHERBENGERICHT DES 21. JAHRHUNDERTS
Ganz so weit sind wir noch nicht. In der griechischen Antike war es Brauch, im sog. Scherbengericht politisch inkorrekte Bürger im öffentlichen Leben zu deaktivieren und sie in die Verbannung zu schicken. Die Namen von Störenfrieden ritzte man auf Tontafeln. Die am häufigsten genannte Un-Person wurden daraufhin zehn Jahre verbannt. Erläuternd auf Wikipedia: “Im heutigen Sprachgebrauch hat sich Scherbengericht zu einem geflügelten Wort entwickelt, mit dem meist politisch motivierte Aktionen und Methoden bezeichnet werden, mit denen unliebsame oder unbequeme Personen ausgeschaltet werden sollen.”

Die Verbannung von unliebsamen Bürgern hat heute eine andere, gleichwohl nicht harmlosere Form angenommen. Nicht erzwungener physischer  Ortswechsel ist die Sanktion für den Widerstand gegen die Diktatur des Mainstreams. Schlimmer noch, die Strafe für mangelnde Konformität besteht dieser Tage  im Entzug der Freiheit mittels psychologischer Isolationshaft. Das Ziel dahinter ist die Zermürbung der Persönlichkeit aufgrund zunehmender Zweifel an sich selbst.

ZERMÜRBUNG – DIE TAKTIK ZUR GLEICHSCHALTUNG IN DIKTATUREN
Wie funktioniert das?  Die ständige Konfrontation des Abweichlers  mit allseits applaudierten Meinungen, die öffentlich – vor allen Dingen in den Medien – perpetuiert werden, die ständige Konfrontation mit deren Statthaltern, ob unbekannt oder in freundschaftlicher Beziehung, die im Bekenntnisfall stets die abweichende Position nicht auf Augenhöhe gelten lassen, sondern mit sozialer Verachtung strafen –  diese Dauerkonfrontation bedeutet einen zunehmend überfordernden  psychischen Kraftakt, der unschwer zu Resignation oder Einknicken vor der Übermacht der Massendenke führt.

DIE DEUTUNGSHOHEIT DER GESINNUNG ÜBER DIE VERNUNFT
In Anlehnung an Max Webers Unterscheidung von Gesinnungsethik und Verantwortungsethik lässt sich feststellen, dass die „richtige“  Gesinnung in nahezu allen Bereichen des Lebens, ob im Privaten oder im Öffentlichen, gerade auch in den entscheidenden nationalen Zukunftsfragen die Deutungsmacht an sich gerissen hat, Aspekte der Verantwortung ignorierend oder umdeutend. Der damit verletzte, aber legitime  Freiheitsanspruch sowohl der Gemeinschaft als auch des Einzelnen und die damit verbundene Verantwortung werden erkenntnisverachtend außer Kraft gesetzt. Im Zuge dieses Prozesses fand und findet immer noch statt die fortschreitende Entmachtung rationaler und verantwortbarer und damit ethisch vertretbarer Kriterien für weichenstellende politische, soziale und wirtschaftliche Entscheidungen.

DIE ZUWANDERUNG IST DIE “MUTTER ALLER PROBLEME” (SEEHOFER)
Geradezu modellhaft steht hierfür die für Europa, aber auch für die darin (in Zukunft weiterhin)  existierenden, einzelnen Nationen drängende Schicksalsfrage der Zuwanderung. Die für jede Regierung vorrangig wahrzunehmende Verantwortung für das Wohl des eigenen Volkes wird brachial  umgedeutet und enthoben in eine gesamteuropäische Zuständigkeit, was eine höhere ethische Ebene suggeriert: das Ziel des europäischen Friedens, höchstes Gemeinwohl, dem sich nationales Wohlergehen unterzuordnen hat.

NATIONALE VERANTWORTUNG IN ABREDE GESTELLT
In Wahrheit bedeutet dies in Konsequenz jedoch die Entmündigung nationaler Verantwortungsträger. Diskreditierung, Diffamierung und Stigmatisierung als braungefärbte Chauvinisten erwartet Repräsentanten von Nationen, die sich diesem Prozess der Entmündigung nicht unterordnen wollen. Orbán kennt dieses Lied. Es ist kein Zufall, dass ihn Juncker einst  als „Diktator“ begrüßte.

DAS PRIVATE WIRD POLITISCH GEREGELT
Mangelnde Akzeptanz von Verantwortung in Freiheit hat sich längst auch in den Bereich privater Lebensgestaltung eingenistet. Präziser: Das Private ist im Aussterben begriffen. Was wir essen und trinken, ob wir rauchen, ob wir in Urlaub fliegen, welches Auto wir fahren (und ob), unser Bild von Familie und Erziehung, das wir leben und unseren Kindern vermitteln möchten, ja selbst, ob wir politisch korrekt, d.h. genderkorrekt sprechen – die Beispiele können endlos fortgesetzt werden – nahezu alles wird zunehmend öffentlich oder staatlich angemaßter Fürsorge zugeteilt und von dort aus bestimmt. Stets mahnt für Dissidenten der erhobene Zeigefinger des Gemeinwohls als Legitimation für die Entmündigung des Individuums durch den Staat bzw. die windschnittige öffentliche Meinung.

DIE UNTERWERFUNG ALS AUSDRUCK VON FREIHEIT
Warum lassen wir uns das alles gefallen?
Das Gefühl von Freiheit hat der Untertan offensichtlich nur, wenn man ihm die Last der freien Entscheidung und Verantwortung abnimmt. Dostojewski gibt uns dieses Psychogramm in seiner Erzählung Der Großinquisitor aus dem Roman Die Brüder Karamasow. Der Großinquisitor zieht ein deprimierendes Resümee menschlicher Befindlichkeit: „Fünfzehn Jahrhunderte haben wir uns mit dieser Freiheit abgequält – jetzt ist es mit ihr zu Ende, gründlich zu Ende. Du glaubst das nicht? Doch wisse, dass diese Menschen gerade heutzutage mehr als je überzeugt sind, vollkommen frei zu sein; und dabei haben sie selbst uns ihre Freiheit gebracht und sie uns gehorsam zu Füßen gelegt.“

 



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