von Gastautor Steffen Meltzer
In Berlin wird ab sofort hart und konsequent beim Verdacht einer Straftat durchgegriffen. Endlich! Strafanzeige und Strafbefehl erfolgen zeitnah. (In Berlin ist ein Jahr Bearbeitungsdauer „zeitnah“.) Ganz besonders eifrig ist man, wenn es darum geht, einen Polizeibeamten abzustrafen. 10 km nicht genehmigter, aber gefahrener Umweg mit dem Dienst-PKW, lassen alle Alarmglocken läuten. Einsatzalarm, Gefahrenstufe rot! Ab sofort wird scharf geschossen, um die 12 Euro Schaden wieder einzutreiben. Die Strafe im Namen des Volkes lautet: Mit 1500 Euro, zu zahlen per Strafbefehl von 30 Tagessätzen in die Staatskasse, sind Sie dabei. Ansonsten: Gerichtsverhandlung fällig. In dieser Stadt herrschen Zucht und Ordnung, wer hätte das (noch) geahnt.
Es gibt hoffentlich Gendertoiletten am Gericht?
Anders im benachbarten Brandenburg, hier spielen diese Art Toiletten bisher keine solche herausragende Rolle wie in Berlin. Dafür ist man einmal mehr voll des Eigenlobs über die eigenen polizeilichen Führungsqualitäten in der Spitze der Befehlskette.
Im SPD-geführten Brandenburger Innenministerium, erlebte kurz vor den Landtagswahlen die Erfolgs- und Schönschreibekultur eine neue Sternstunde ungeahnter Krönung. Es wurde aus dem Ministerium ein Brief, datiert auf den 18. Juni 2019, an die Vorsitzende des Brandenburger Innenausschusses, Klara Geywitz (SPD) übersandt.
Darin ging es unter anderen auch um die Anzahl der internen Beschwerden durch Polizeibeamte.
Ich zitiere aus dem höchst offiziellen Schreiben:
„Auch wenn sich die Anzahl der internen Anliegen und Beschwerden im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt hat, kann nach hiesiger Einschätzung daraus nicht abgeleitet werden, dass sich die Zufriedenheit der Polizeibediensteten insgesamt verschlechtert hätte. Vielmehr ist anzunehmen, dass sie sich kritischer mit ihrem Arbeitsumfeld auseinandersetzen und sich nicht scheuen, aktiv verändernd und gestalterisch Einfluss zu nehmen. Als Beleg für aktives Beschwerdemanagement zeigt sich zugleich, dass in den Organisationseinheiten eine Kultur der Offenheit und Verantwortung herrscht und der Umgang mit so auf eine positive Fehlerkultur hinweist.“
Diese Schlussfolgerungen muss man erst einmal sacken lassen. Die Verdoppelung der Beschwerden sind nach ministerieller SPD-Lesart demnach ein echter Erfolg.
Bevor man sich verwundert die Augen reibt, nochmal:
Die Verdoppelung der internen Beschwerden zeigt eine „Kultur“ der Offenheit und Verantwortung und weise auf eine „positive Fehlerkultur“ hin. Darauf muss man erst einmal kommen. Völlig überraschend wäre bereits allein die Tatsache, dass es an „höherer Stelle“ auch nur ansatzweise eine „Fehlerkultur“ gegeben hätte. Ab einer bestimmten Stufe der Karriereleiter ist man nämlich fehlerlos. Dem ist bei den unteren Diensträngen selbstverständlich nicht so, da wird ein kleiner Mitarbeiter aus der Führungsstelle schon einmal zum Abschuss im Innenausschuss freigegeben, (weil er am Telefon eine falsche Auskunft gegeben hatte) und dieser Umstand durch den Minister persönlich als „neue Fehlerkultur“ zelebriert. Als Zuhörer lief mir bei dieser Darbietung ein Schauder über den Rücken. Ebenso als einst eine Politikerin beim TOP „Interne Polizeibeschwerden“ im Innenausschuss auf die absurde Frage kam, wieviel Mobbingfälle es denn im letzten Jahr in der Brandenburger Polizei gegeben hätte? Nach einer hoheitlichen Schockphase wusste der Chef aus der ministeriellen Polizeiabteilung zu berichten: „Nicht bekannt!“.
Ein Anstieg der Messerkriminalität weist auch nicht auf einen besseren Umgang mit Konflikten hin
Einen geradezu sophistischen Eindruck hinterlassen die im Brief benutzten Formulierungen, die die schlechte Botschaft in „Erfolge“ umwandeln. Vielleicht war man diesbezüglich auch bei einer Kartenlegerin, genaues weiß man nicht. Wahrsager, Geistheiler und Polizei haben eine lange gemeinsame Vergangenheit. Um einen stark verbesserungswürdigen Zustand, der auch von explizit hohen Krankenständen gekennzeichnet ist, schön zu reden, bedient man sich der üblichen ausgedachten Floskeln und Phrasen, anstatt mit weiteren Fakten zu argumentieren. Beispiele gefällig?
- „Nach hiesiger Einschätzung“: Wer schätzt das ein? Auf welcher Grundlage? Worauf beruht diese „Einschätzung“?
- „Daraus (kann) nicht abgeleitet werden“: Warum nicht? Aber das Gegenteil ableiten kann man? Auf welcher faktenbasierten Annahme?
- „Vielmehr ist anzunehmen“. Schon wieder eine ganz persönlich-subjektive Annahme anstatt Fakten.
- Die Verdoppelung der Beschwerden weisen auf eine positive Fehlerkultur hin? Woher nimmt man diese „Annahme“ auf Grundlage welcher Fakten? Ich behaupte das Gegenteil! Ein Anstieg der Messerkriminalität weist ja auch nicht auf eine bessere Fehlerkultur hin, nur mal so nebenbei …
Jetzt einmal zur Realität, als die Potsdamer Medien noch kritisch über polizeiliche Zustände berichteten.
Von der Schönschreibekultur zur Realität
Schon am 12.11.2014 berichtete die MAZ:
„Hohe Arbeitsbelastung, wenig Wertschätzung, Gehorsamspflicht und sogar Mobbing: Die Verbitterung bei den Polizisten in Brandenburg ist groß.“
Polizeipfarrer Sven Täuber legte darin nach: „Es gibt ältere Kollegen, die sagen: Das ist nicht mehr meine Polizei! Oder welche, die mit Leib und Seele Polizist sind, aber trotzdem mit dem Bandmaß die Tage bis zu ihrem Ruhestand zählen, weil sie im Dienst zu wenig Wertschätzung erfahren. Ich kenne aber ein Beispiel, wo ein Beamter ein halbes Jahr lang jeden Morgen gesagt bekommen hat: Räum endlich den Schreibtisch, du kriegst keine Arbeit, wir wollen jemand anderen hier! Das ist für mich Mobbing. Aber der Kollege hat keine Mobbing-Anzeige erstattet, er hatte dazu keine Kraft mehr und hat sich krank gemeldet. Da wird Mobbing als Personalpolitik betrieben.“ Und er gibt noch einen drauf:
„Die Kollegen beklagen aber eine Schönschreibe- und Erfolgsmeldekultur wie zu besten DDR-Zeiten.“
Da halte ich es mit einem Satz des Landesvorsitzenden der DPolG Peter Neumann: Wer kritisiert, dessen Karriere ist beendet! Und natürlich gibt es Mobbing als Führungsinstrument:
„Das sei symptomatisch‘ für die Polizeiführung des Landes, so Neumann: ‚Probleme werden teils ignoriert oder kleingeredet‘.“
Hat die märkische Polizei etwa ein Mobbingproblem? „Die Problematik wird sehr bedeckt behandelt“, sagt Peter Neumann, Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG).
Ein stellvertretender Sprecher des Landespolizeipräsidiums verkündet stolz: Von 2006 bis 2014 habe es lediglich drei (!) Mobbingfälle in Brandenburg gegeben. Ist die Brandenburger Polizei eine Insel der Glückseligkeit? Natürlich nicht. Muss man nicht glauben. Es gab ja immerhin sogenannte „Mobbingbeauftragte“? Hierzu sagt Neumann: „Die Aufklärer sind Interne. ‚Es müssten völlig unabhängige Leute sein, die solche Fälle untersuchen. ‚Schließlich stünden die Beauftragten oft selbst in Abhängigkeit zu kritisierten Vorgesetzten‘.“
Volltreffer, genauso ist es! Mobbingbeauftragte waren bisher dazu da, Mobbing unter den Teppich zu kehren, wenn sie nicht gerade für die Opfer ganz abgetaucht sind oder gleich ganz die Tatsachen zu Ungunsten des Beamten verdreht haben. Finger weg von diesem Beauftragtenunwesen, das sind oftmals Alibifunktionen. Auch neue Erfindungen zur „Konfliktbewältigung“ darf man getrost mit allergrößter Skepsis betrachten, denn die Akteure sind die Gleichen geblieben. Alter Wein in neuen Schläuchen.
Wenn es Probleme in der Polizei des Landes Brandenburg gibt, geht stattdessen die Angst um, Rechtsanwalt Axel Weimann: „Doch die meisten haben noch viele Dienstjahre vor sich und fürchten um ihren Job.“
Was soll inzwischen besser sein? Kann ja auch gar nicht, denn die Akteure an der Spitze dieser Organisation sind, bis auf wenige Ausnahmen, die Gleichen geblieben. Diese müssten anfangen, sich selbst zu verändern, im hohen Alter, am Ende einer langen Karriere, die nicht nur erfreuliche Spuren an Menschen hinterlässt. Das ist faktisch ein Ding der Unmöglichkeit.
Einige Beispiele aus der Gegenwart
Die „Schießstand-Affäre“ in Brandenburg wurde, traditionell üblich, einfach ausgesessen. Im Gegensatz zu Berlin gelang es zu verhindern, dass sich die betroffenen Trainer organisieren und ihre Einwände und Forderungen öffentlichkeitswirksam artikulieren. Besser nicht, wenn man auch befördert werden will. Die Angst geht einmal mehr um. So berichtete die Journalistin Gabi Probst im RBB, dass ein geplantes Interview zu den Zuständen in den Raumschießanlagen ausfallen musste, weil es der Beamte mit der Angst zu tun bekam.
Minister Schröter behauptet zwar immer, jeder Beamte könne sich an ihn persönlich wenden, doch das sollte man besser nicht machen. Es ist eine Floskel und vertane Zeit, denn eine Antwort bekommt man, im Gegensatz zum abgegebenen ministeriellen Versprechen, auch nach über einem Jahr nicht. Viel Lärm um nichts und noch weniger als ein Sturm im Wasserglas.
Jetzt erwischte es nach einer Meinungsverschiedenheit sogar den Abteilungsleiter „Polizei“. „Innenminister Schröter stellt Kritiker kalt“, berichtete die PNN. Der Minister würde versuchen, ein „äußerst heikle Thema zum Ende der Legislatur versanden zu lassen – und gleichzeitig klammheimlich Kritiker abzustrafen“. Im Streit um die Kennzeichenerfassung hatten sich in der Polizei verschiedene Fronten aufgetan. Auch hier obsiegte wie üblich die höhere Dienststellung und nicht das bessere Argument. Der Unterlegene nahm sich einen Rechtsanwalt und klagt gegen seine unfreiwillige Versetzung. Wenn es einen an der Spitze der Nahrungskette erwischt, setzt sich sogar der Hauptpersonalrat für den „Mitarbeiter“ ein: der Personalrat als Interessenvertretung der Polizeiführung.
Freilich, klagen kann man immer, nur muss dann jedem klar sein, vor Gericht zu gewinnen, ist nicht so schwer, aber die Rache des Apparats ist süß. Anstatt es sportlich zu sehen, sind persönliche Verletzungen und das sprichwörtliche Elefantengedächtnis vorprogrammiert. Besser, man steht dann schon am Ende seiner Laufbahn. Die Atmosphäre der Angst ist ein wichtiges Führungsinstrument. Daran ändern auch gut ins Bild gesetzte Schönschreibebriefe nichts.
Steffen Meltzer, Autor von „Ratgeber Gefahrenabwehr: So schützen Sie sich vor Kriminalität – Ein Polizeitrainer klärt auf”
Der Artikel erschien zuerst auf „Tichys Einblick“.