Der Mythos vom Rechtsradikalismus als primäre Bedrohung von Juden

Veröffentlicht am

von Gastautor Josef Hueber

DER JUD’ HAT SEINE SCHULDIGKEIT GETAN – DER JUD’ KANN GEHN
Zum Exodus jüdischer Bürger aus Europa

Nach der Zerstörung des Zweiten Tempels haben Juden nahezu zwei Jahrtausende lang Europa kulturell geprägt. Städte wie Wien, Berlin, Warschau, Prag u.a. legen dafür Zeugnis ab. Ende dieses Jahrhunderts werden sie lediglich einen “jüdischen Friedhof” hinterlassen. So prognostiziert Joel Kotkin die Folgen der jüdischen Auswanderung aus Europa als Konsequenz des anwachsenden Antisemitismus in dem Artikel „Judenrein Europe“.

Der zentrale Gedankengang sei hier thesenhaft skizziert.
Hitler hat, so Kotkin, von Anfang an klargestellt, dass das Ziel seiner Politik ein von Juden gereinigtes Europa ist. Die harte These des Autors: „Europa erfüllt die nationalsozialistische Zielvorgabe” im europaweiten Antisemitismus, der sich nicht nur in Deutschland breit macht. Nicht konform zeigt sich der Autor mit der weit verbreiteten These, dass die sog. extreme Rechte die primäre Bedrohung für die Juden sei. Lediglich 13% antisemitischer Gewalttaten haben, gemäß einer Studie aus Oslo, einen rechtsradikalen Hintergrund. Antisemitische Gewalt werde vorrangig von Muslimen, besonders von den in jüngster Zeit zugewanderten, verübt. Über 50% antisemitischer Vorfälle kommen laut Studie zudem aus der linksextremen Szene.

JÜDISCHES LEBEN IN EUROPA – GESTERN UND HEUTE
Im Jahr 1920 lebten in Europa mehr als 50% der weltweit verstreuten Juden, es waren viele ihrer kreativsten, dynamischen Gemeinden. Heute sind es nur noch 10%. Dies darf jedoch nicht nur auf den Holocaust zurückgeführt werden. 1939 lebten 9,5 Mio Juden in Europa, am Kriegsende 3,8 Mio, und heute, mehr als ein halbes Jahrhundert danach, sind es nur noch 1,5 Mio.

Städte, wie Wien, Berlin, Warschau, Lublin, Riga, Kiew und Prag, einst „Perlen jüdischen Lebens“, beherbergen nur noch so viele Juden, wie heute  eine beliebige texanische Vorstadt Einwohner hat. Moskau, London und Paris sind noch -die Städte mit den größten Anteil von Juden, der Rest lebt in der Neuen Welt oder in Israel. Frankreich, obwohl noch Heimat für die größte jüdische Population in Europa, hatte 1939 mehr jüdische Bewohner als heute, und ihre Zahl scheint abzunehmen. In Osteuropa, das 1939 das Zentrum der jüdischen Welt mit 8 Millionen Juden war, leben heute weniger als 400 000 Juden. 1933 lebten in Deutschland 500 000 Juden, heute nur noch etwa ein Drittel davon. Wien, Wahlheimat von Sigmund Freud, Gustav Mahler, Theodor Herzl und Geburtsort von Arnold Schönberg, hatte 1923 200 000 Juden. Heute leben dort nur noch etwa 10 000 unter 1,7 Millionen Einwohnern, viele von ihnen Flüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion.

UNGARN – ORBAN ALS ZIELSCHEIBE ANTISEMITISCHER VORWÜRFE
Ein interessantes Phänomen stellt Ungarn dar. Man schätzt die Zahl der dort lebenden Juden zwischen 47 000 und 100 000. In Budapest gibt es 17 Synagogen. Diese relativ stabile jüdische Gemeinde befindet sich ironischerweise in einem Land, dessen Regierungschef Orban als faschistisch und antisemitisch  diffamiert wird. Kotkin sieht Orban als deutlich engagierter pro-Israel als etwa Macron oder Merkel, die als “Vorbilder der liberalen internationalen Ordnung” gelten. Orban hat sogar einen offiziellen Holocaust-Tag eingeführt. Die Jüdische Rundschau titelte am 11. Mai 2019 : „Ungarns Juden denken nicht an Auswanderung.” Anni Fisher, Tochter eines Holocaust-Überlebenden, obwohl nicht begeistert von Orbans Rhetorik, räumt anerkennend ein: „Seine Einwanderungspolitik hat verhindert, dass der in anderen europäischen Hauptstädten allzu verbreitete virulente Islamismus in Budapest Fuß fasst. Die Juden hier leben gut, nicht schlecht”. Dennoch sieht sie keine große Zukunft für Juden in Ungarn.

Kotkin teilt die Meinung von Serge und Beate Klarsfeld, beide profiliert in der Verfolgung von NS-Verbrechen, wonach die politische Rechte nicht eine annähernd große Bedrohung für Juden darstellt wie das Bündnis zwischen Islamisten und der politischen Linken. Die Bedrohung jüdischer Existenz spiegelt ihrer Meinung nach “ einen größeren Kulturkampf wider, der gegen die westliche Zivilisation” gerichtet ist. „Betrachtete  Hitler die Juden als gefährliche Fremdkörper innerhalb der europäischen Kultur, so beschuldigt die Linke sie heute, zu sehr mit europäischen  Werten verbunden zu sein.” Auf eine (leider nicht näher genannte Studie) Bezug nehmend, konstatiert Kotkin, dass kaum 50% der Europäer Israel ein Existenzrecht einräumen.

BLICK IN DIE ZUKUNFT
Die Summe von Kotkins Analyse : „Europa wird in naher Zukunft nicht ganz judenrein werden. Aber die Zeichen des Niedergangs [ jüdischen Lebens] sind überall wahrnehmbar, und der damit verbundene Endpunkt scheint unausweichlich. Die Kräfte von Geschichte, Politik, Antisemitismus und Migrationsmustern bedeuten den vorhersehbaren Untergang des Judentums in Europa.” Schon vor einem halben Jahrhunert habe der Soziologe Georges Friedman die These angesichts der „aktuellen Trends“ vertreten, dass „die jüdische Zukunft überwiegend israelisch werden” könnte.

 



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