Es soll Thüringer und Sachsen-Anhaltiner oder Niedersachsen geben, die bis nach Bregenz am Bodensee pilgern, um eine schöne Opernaufführung unter freiem Himmel zu erleben und noch nie bei den Thüringer Schlossfestspielen in Sondershausen waren. Zugegeben, mit der Bodenseekulisse kann der Lustgarten des Barockschlosses nicht mithalten, aber was die Qualität der Aufführungen betrifft, sehr wohl. Das hat das Ensemble des TNLOS, Theater Nordhausen und Lohorchester Sondershausen mit seiner neuesten Produktion Die Entführung aus dem Serail von Wolfgang Amadeus Mozart erneut bewiesen.
Das Bühnenbild ist von zurückhaltender Raffinesse. Mit ganz wenigen Utensilien und vielen Farben wird eine exotische Atmosphäre gezaubert, die den europäischen Projektionen, was der Orient sein soll, entspricht. Es entfesselt die Phantasie der Zuschauer und lädt sie ein, sich ganz der Musik und dem Geschehen hinzugeben.
Schon bei der Ouvertüre wurde klar, dass es sich um eine Inszenierung (Regie Saskia Kuhlmann) handelt, bei der Bewegung und Musik auf den Punkt übereinstimmen.
Ein Dschinn, gespielt von Matilda Lorenz, zieht ein Modell des Schiffes, auf dem Konstanze, ihre Zofe Blonde und deren Verlobter Pedrillo gekapert wurden auf die Bühne, als sei sie in der Musik geboren worden. Kurz darauf setzt SuJin Bae vom Thüringer Opernstudio mit der Sehnsuchtsarie der Konstanze hohe Maßstäbe für das Können der Sänger, die von allen eingehalten wurden.
Die Entführung aus dem Serail ist eine der bekanntesten Opern Mozarts, manche seiner Arien sind in Wien und anderswo zu Gassenhauern geworden. Das trifft nicht nur auf das berühmte Duett von Pedrillo und Osim „Vivat Bacchus! Bacchus lebe!“ zu. Es ist daher leicht, der Handlung zu folgen. Angesichts der jüngsten Entwicklungen, die zu einer intensiven Auseinandersetzung mit islamischen Kulturen geführt hat, überrascht, wie aktuell die Oper wirkt.
Etwa wenn Blonde dem Haremswächter Osim, der um sie wirbt, klar macht, dass sie als frei geborene Engländerin niemals seine Sklavin sein könnte. Voll entfalten kann Amelie Petrich ihr Talent in der Szene mit Osim, als sie ihm klar macht, was sie statt dessen von einem Mann erwartet: „Mit Zärtlichkeit und Schmeicheln“ will sie erobert sein und Petrich demonstriert das bis in die Fußspitzen. Das haut den groben Klotz Osim, der von Michael Tews brillant in Szene gesetzt wird, einfach um. Mozart erweist sich wieder einmal als Meister der Verführung.
Auch der Dritte im Bunde, Pedrillo (Brett Spranger), bringt neben seiner ausdrucksstarken Stimme beträchtliche darstellerische Fähigkeiten ein.
Als Kontrast dazu wirkt das Liebespaar Belmonte und Konstanze ernst und getragen. Beide haben schwierige Partien zu bewältigen und taten das meisterhaft. Das Publikum quittierte jeden einzelnen ihrer Auftritte mit Beifall und Bravo-Rufen.
Die Arien der Konstanze hatte Mozart seinerzeit der berühmten Koloratursopranistin Caterina Cavallieri auf den Leib geschrieben. Ich bin sicher, dass der Meister mit SuJin Bae nicht unzufrieden gewesen wäre.
Mit der Entführung begann Mozart die Reihe seiner reifen Meisterwerke. Die Oper entstand, als er im Privatleben sein Ziel, unabhängiger Komponist zu werden, erreichte. Gegen den Willen seines Vaters heiratete er Konstanze, die nicht zufällig die Namensgeberin seiner Opernheldin war. Man spürt in der Musik deutlich die Liebe Mozarts zu seiner zukünftigen Frau, aber auch die Dramatik ihrer Beziehung.
Die Oper wurde noch im Auftrag Kaiser Josephs II. geschrieben, der ein Nationalsingspiel als Gegenstück zur italienisch geprägten Hofoper haben wollte. Sie war von Anfang an ein großer Erfolg und war für den erst seit einem Jahr zugezogenen Mozart der Durchbruch in Wien. Die Entführung ist nach Ignaz Umlaufs Bergknappen (1778) und Antonio Salieris Rauchfangkehrer (1781) die erste deutsche Oper.
Kaum zu glauben, dass dieses Werk schon weit über 200 Jahre alt ist, denn der Schluss entspricht ganz den heutigen Zeitgeist.
Als Bassa (der Pascha, Statthalter einer osmanischen Großprovinz) in Belmonte des Sohn seines schlimmsten Widerschers erkennt, der ihn aus der Heimat vertrieb und ihm seine Geliebte geraubt hatte, widerstand er seinem ersten Impuls, ihn und Konstanze umzubringen. Er ließ sie und ihre Diener statt dessen frei mit der Begründung, er würde die Methoden von Belmontes Vater so verachten, dass er sie sich niemals zu eigen machen würde. Dabei hatte ihn Belmomtes und Konstanzes Abschiedsduett vor ihrer vermeintlichen Hinrichtung gerührt. Die Menschlichkeit triumphiert über die Herrschsucht – das kann man als ein Lebensthema Mozarts begreifen, das uns heute noch Leitbild sein kann.
Der Schlussapplaus des Publikums musste durch den Abgang der Künstler von der Bühne beendet werden, sonst hätte es noch viel länger geklatscht und ein Eiserner Vorhang war auf der Parkbühne nicht vorhanden.
Den Thüringern, Sachsen-Anhaltinern und Niedersachsen kann man nur raten, nicht in die Ferne zu schweifen, wenn das Gute, das man nicht verpassen sollte, so nah liegt. Aber auch eine weite Reise lohnt sich unbedingt, das kann ich versichern.
Weitere Vorstellungen: 5.7., 7.7., 12. 7., 14.7. , 20.7., jeweils 20.00 Uhr im Lustgarten des Schlosses Sondershausen.