Warum der Antisemitismus uns alle bedroht

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Michael Blume ist ein mutiger Mann. Er beschränkt sich nicht auf ein ruhiges Autoren-Dasein am sicheren Schreibtisch, er ist nicht der Meinung, dass seine Funktion als Antisemitismus-Beauftragter der Regierung Baden-Württembergs ihn als Experten ausreichend ausweist. Nein, Blume geht auch dort hin, wo es gefährlich ist. Mit seinem Team evakuierte er 2015-2016 1100 besonders schutzbedürftige Frauen und Kinder, Opfer des IS, aus dem Irak. Dabei stand er auch am Rand von yezidischen Massengräbern. Blume ist also jemand, der genau hinschaut. Darum hat seine Stimme besonders Gewicht. Deshalb ist sein neues Buch jede Beachtung wert.

Blumes zentrale These ist, dass es ganz falsch ist, vom Antisemitismus als einer Verschwörungstheorie zu sprechen. Theorien seien wissenschaftlich überprüfbare Erklärungen. Es gibt aber keinerlei wissenschaftliche Grundlagen für Antisemitismus. deshalb wäre der erste Schritt, ihn richtig zu benennen als Verschwörungsmythos. Dieser Mythos versetzt Menschen in Angst und Schrecken und löst bei ihnen Hass aus.
Ebenso wichtig ist es Blume zu beweisen, dass es sich bei Juden um keine Rasse handelt. Beides belegt er in einem geschichtlichen Überblick von vorbiblischen Zeiten bis heute. Er arbeitet heraus, dass es sich bei den Semiten um Schriftgelehrte handelt, die sich durch Bildung einen besonderen Platz erobert haben und ihn bis heute behaupten.

„Es waren 2013 auf den Kleinstaat Israel mit rund acht Millionen Einwohnern mit 4789 Patentanmeldungen rund 37-mal so viel entfallen wie auf das benachbarte Ägypten, das mit fast 90 Millionen Einwohnern gerade einmal 129 Patente einreichte. Die gesamte arabische Welt mit weit über 300 Millionen Menschen kam auf rund 1800 Patente, also nicht einmal auf die Hälfte derer aus Israel.“ Diese Tatsache wollte eine deutsche Redakteurin in ihrer Zeitung übrigens nicht gedruckt sehen.

Blume spricht auch den islamischen Antisemitismus an. Dazu hätte man sich aber nähere Ausführungen gewünscht. Statt dessen macht ein sehr lehrreicher historischer Abriss den größten Teil des Buches aus. Die Bibel nennt ägyptische Pharaonen als die ersten Antisemiten. Interessanterweise wurde der Kinderreichtum der jüdischen Gefangenen in Ägypten als Gefahr angesehen. Die Hebräer waren die Ersten, die ihren Glauben in Alphabetschrift niederschrieben und ihre Kinder lesen und schreiben lehrten. Als ersten Begründer einer Schule erinnert das Judentum bis heute an Sem, einen sonst in der Bibel wenig genannten Sohn Noahs. Das Judentum war die erste semitische Religion, der Menschen jeder Herkunft beigetreten sind, indem sie die Schriften erlernten. Sogar in Afrika entstanden einige wenige jüdische Gemeinden.
Die Verwendung von Alphabetzeichen für Religion und Schrift wurde zur Grundlage unserer Zivilisation. Buchdruck und neue Technologien revolutionierten die Verbreitung von Wissen, aber bis heute ist Bildung der entscheidende Faktor für die Weiterentwicklung und damit die Zukunft der Gesellschaft.

Blumes sehr interessanter historischer Herleitung steht leider keine ebenso schlüssige Analyse der gegenwärtigen Probleme gegenüber. So wichtig es ist, den Mythen einer Weltverschwörung entgegenzutreten und so richtig es ist, dass Antisemitismus auch dort existiert, wo es keine Juden mehr gibt und nicht nur Juden umfasst, wäre eine genaue Beleuchtung dieses Phänomens erforderlich. Blumes Annahme, dass jeder Impfgegner Gefahr läuft, zum antisemitischen Verschwörungsanhänger zu werden, halte ich für nicht schlüssig. Seine These, dass der Besitz von Rohstoffvorkommen zu Verschwörungsmythen geradezu einlädt und deshalb die Erneuerbaren Energien die klassische Energieerzeugung schnellstmöglich ersetzen müssten hat etwas von einem Verschwörungsmythos, den Blume eigentlich vehement ablehnt. Böse Energiekonzerne gegen gute Betreiber von „Erneuerbaren“? Das entbehrt jeder wissenschaftlichen Grundlage.

Im Untertitel heißt es : „Wie neue Medien alte Verschwörungsmythen befördern“. Dazu findet man im Buch leider zu wenig. Natürlich haben auch Verschwörungsmythen durch die sozialen Netzwerke und andere technologische Möglichkeiten weitere Verbreitung gefunden. Genauso richtig ist aber, dass die Aufklärer gegen Antisemitismus dieselben Möglichkeiten haben, breite Wirkung entfalten zu können. So sind in jüngster Vergangenheit etliche antisemitische, vor allem gegen Israel gerichtete Beiträge in den Öffentlich-Rechtlichen von den unabhängigen Medien aufgedeckt und thematisiert worden. Damit erfüllen diese neuen Medien eine für die Demokratie unverzichtbare Kontrollfunktion.

Natürlich hat Blume Recht, wenn er in den rechtsstaatlichen Institutionen den besten Garant gegen Verschwörungsmythen sieht. Aber diese Institutionen sind nicht gottgegeben, sondern müssen von Demokraten verteidigt und vor Missbrauch und Abbau geschützt werden. Auch dabei spielen die neuen Medien eine Rolle.

Insgesamt ist es ein sehr lesenswertes Buch, das aber viele Fragen offen lässt und deshalb zur Diskussion einlädt.



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