Am Anfang dieser Woche kam es ausgerechnet am Tag der Einweihung des Denkmal von Gisozi in der Hauptstadt Kigali für die 800 000 Opfer des Völkermords in Ruanda zu einer peinlichen Offenbarung. Der Staatspräsident Paul Kagame, seine Jeannette Nyiramongi Kagame, der Kommissionspräsident der Afrikanischen Union Moussa Faki Mahamat und leider auch der angeblich Gicht-geplagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, entzündeten die Flamme des Gedenkens, die dort für die nächsten 100 Tage brennen wird.
Juncker wirkte wie ein Symbol für die Verfassung der EU. Er stand unsicher, desorientiert herum und war sichtlich nicht Herr seiner Bewegungen. Beinahe hätte er mit seiner Fackel die Präsidentengattin angezündet, wenn sie ihm nicht resolut entwunden worden wäre.
Europa kann sich kaum noch auf den Beinen halten, hat aber das Potential, zum wiederholten Mal die Welt anzuzünden.
Dass es ausgerechnet am Gedenktag des Völkermords zu diesem Verfall kam, verstärkt das Menetekel noch. Der Völkermord in Ruanda war keine unvorhersehbare Katastrophe, sondern ein Genozid mit Ansage, die von der UNO und vom Westen und seinen Institutionen konsequent ignoriert wurde.
Der kanadische General Roméo Antonius Dallaire, Kommandant der UN-Friedenstruppe in Ruanda, hatte im Januar 1994 von einem Informanten erfahren, dass alle Tutsi in Ruanda auf Todeslisten namentlich erfasst worden waren und die Hutu-Miliz Waffenlager besaß. Deshalb forderte er schon vor Beginn des Mordens eine massive Aufstockung seiner Truppe auf 4500 Soldaten. Außerdem bat er um ein Mandat, das den Einsatz von militärischer Gewalt erlaubte. General Dallaire war davon überzeugt, den drohenden Völkermord dadurch verhindern zu können.
Der UN-Sicherheitsrat blieb unbeeindruckt und verweigerte beides, die Truppenstärke blieb bei 2548 Mann. Damals war übrigens der hochgelobte UN-Generalsekretär Kofi Annan für die Friedensmissionen zuständig. Der Kommandant der Blauhelme bat Annan um die Erlaubnis, wenigstens die Waffenlager ausheben zu dürfen. Vergeblich.
Innerhalb weniger Stunden, sagte der General, kam die Antwort, dass er keine Erlaubnis habe, weil es nicht seinem Mandat entspräche und er die gesamte Mission gefährden würde.
Als das Morden begonnen hatte, sah die UNO immer noch keinen Handlungsbedarf. Im Gegenteil. Je mehr Tote es gab, desto geringer wurde die Zahl der UN-Blauhelme. Am 21. April 1994 beschloss der UN-Sicherheitsrat, die Friedenstruppe in Ruanda auf 500 Mann zu reduzieren. Dieses eklatante Versagen der UNO und ihres Sicherheitsrates wird bis heute beschwiegen.
Statt der Vereinten Nationen beendete eine Rebellenarmee geflohener Tutsi, die Ruandische Patriotische Front, in einem kurzen, aber heftigen Bürgerkrieg den Völkermord. Zu spät für 800 000 innerhalb von dreizehn Wochen gemordete Menschen. Wobei meist nur Männern ein schneller Tod durch einen Schuss oder Machetenhieb beschieden war – Frauen wurden in der Regel verstümmelt, gefoltert, vergewaltigt und verblutend liegen gelassen.
Nur literarisch ist das unfassbare Versagen der UNO und des Westens aufgearbeitet worden. Der kanadische Schriftsteller Gil Courtemanche machte es sich in seinem Roman „Ein Sonntag am Pool in Kigali“ zur Aufgabe.
An diesem Hotelpool in Kigali 1994 trafen sich Entwicklungshelfer, Botschaftsangestellte, Journalisten, Geistliche, Prostituierte, Politiker und alle, die in Ruanda das Sagen hatten, um ihre Freizeit zu genießen, während draußen vor dem abgeschirmten Gelände ein kühl geplanter Genozid begann. Sie alle zogen es vor, die sich immer deutlicher abzeichnende Entwicklung zu ignorieren, statt Alarm zu schlagen. Das grausame Morden wäre zu verhindern gewesen, aber die dafür geschaffenen Institutionen erwiesen sich als unfähig oder unwillig.
Die UNO hat dieses Versagen nie aufgearbeitet, also auch nichts daraus gelernt. Trotzdem wird ihr von der Politik immer mehr das Recht zugestanden, die globale Entwicklung zu lenken.
Das dies keine gute Idee ist – dafür ist Ruanda ein warnendes Beispiel.