Bildungswüste Deutschland!

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Von Gastautor Prof. Dr. Reinhard Franzke

Seit Jahren ist es merkwürdig still geworden um die Bildung. Selbst die Alternativmedien schweigen. Ist nun alles in Ordnung? Erst kürzlich wurde die „Digitalisierung der Bildung“ angeschoben. Brauchen wir diese Reform? Was brauchen wir überhaupt für eine „gute Bildung“? Was sind die Mängel und Defizite des Bildungssystems? Seit einiger Zeit verweisen Politik und Medien auf leckende Dächer, unappetitliche Toiletten? Würden dichte Dächer und neue Toiletten das Bildungsniveau anheben? Ich war lange Zeit in Kenia. Dort sind die Dächer und Gebäude wirklich marode und die Toiletten unerträglich, denoch ist dort das Bildungsniveau wesentlich höher. Wo also liegt das wirkliche Problem der deutschen Bildungsmisere?


9 Seiten pro Schuljahr!

Nehmen wir ein Beispiel. Vor mir liegt ein Schulhefter Biologie (5. Klasse; Realschule). Er umfasst ganze neun „Arbeitsblätter“ oder 18 Seiten für den Zeitraum von einem Halbjahr. Unter Berücksichtigung der Infodichte (Text pro Seite) reduziert sich die vermittelte Stoff- und Informationsmenge auf 4,5 Seiten. Das sind hochgerechnet 9 Seiten pro Schuljahr! Behandelt wurden nur zwei Tiere: das Schwein und das Schaf, und zwar sehr oberflächlich. In Kenias Kindergärten (!) schreiben schon die 4-Jährigen ca. 300 Seiten, in den ersten Klassen der Grundschule ca. 400 Seiten pro Fach und Jahr, in den oberen Klasse (5 bis 8) ca. 1.000 bis 2.000 Seiten, in den Slumschulen 450 bis 700 Seiten! Immer in einer Fremdsprache (Englisch), in DIN A5 Heften, eng liniert bei 100-prozentiger Infodichte. Es gibt keine Kopien, keine Arbeitsblätter, keine kindlichen Zeichnungen. (Video: Slumschule Hefte).

Gleichwohl ist dies nur die Spitze des Eisberges. Seit Jahrzehnten beobachten wir einen dramatischen Niedergang der Bildung in unserem Land, dem die Medien recht wenig Beachtung schenken. Dies dokumentieren Analysen
• der neueren Lehrpläne und Schulprogramme (Bewegte Schule u. a.)
• der Schulbücher und Schulhefte(r)
• der neuen Unterrichtsmethoden und modernen Psychotechniken
(vgl. Franzke, „Bildungswüste Deutschland“).

a) Wie diese Studie zeigt, beginnt der dramatische Verfall der Bildung schon im Kindergarten(alter). Während unsere Kinder in Kindergärten meist spielen, toben und lärmen, lernen in Kenia schon die Dreijährigen (!) auf eine faszinierende Art und Weise Rechnen, Schreiben, Lesen und zwei Fremdsprachen, Kiswahili und Englisch, das vom ersten Tag an als Unterrichtssprache fungiert, wobei die Muttersprache die jeweilige Stammessprache ist (www.didaktikreport.de). Schon nach acht Wochen Kita findet der Unterricht der Dreijährigen in beiden Fremdsprachen abwechselnd statt. Während kenianische Kindergärten grundsätzlich Grundschulcharakter haben, verwandeln die neueren Lehrpläne unsere Grundschulen in Kindergärten deutscher Prägung. Nach dem Willen der Bildungspolitiker und Pädagogen sollen die Kinder in der Grundschule ganz viel spielen, malen, basteln, toben, Erfahrungen und Erkundungen machen. Die immer geringeren Wissensmengen müssen sich die Schüler dann meist im Wege des „selbst organisierten Lernens“ selbst besorgen und aneignen.

b) Vergleichbares gilt für die Qualität der Schulbücher. Die neueren Schulbücher für die Grundschule sind meist Bilderbücher auf Kindergartenniveau, so z. B. die Sachbücher der ersten Klassen (Fara und Fu, Bausteine, Mobile, Pusteblume). In fast allen Fächern ist sowohl die angebotene Wissensmenge als auch das fachliche Niveau deutlich niedriger als in der Vergangenheit, und es liegt weit unter dem Niveau der Dreijährigen („Babyclass“) in Kenia. Der Text- und Informationsanteil der genannten Schulbücher für den Sachkundeunterricht liegt in der Regel unter fünf Prozent (in Kenia bei ca. 50 %). Viele Seiten sind leer oder mit kindischen Bildern bestückt. Das Seitenlayout ist häufig fehlerhaft, unverständlich und verwirrend. Meist werden die Kinder nach trivialem Wissen aus dem Kindergarten gefragt oder zum Spielen, Malen, Basteln, bzw. zum „Ausschneiden, Ausmalen und Auf-kleben“ (Klebedidaktik!) animiert. Derart primitive und konfuse Bücher habe ich in Kenia nicht gesehen. Überragend sind auch die Sekundarbücher, die weit über dem Niveau unserer Gymnasien liegen. Kurz, bei uns wurden in den letzten Jahren ganz gezielt strukturierte Lehrbücher durch unübersichtliche und konfuse Fragebücher (Arbeitsbücher oder workbooks) ersetzt, die meist Wissen abfragen, anstatt neues Wissen zu vermitteln. Während bei uns meist nicht einmal ein Fachbuch vollständig durchgearbeitet wird, bearbeiten die oberen Klassen der Grundschule (7., 8. Klasse) vielfach sogar vier Bücher, selbst in den Ferien!

c) Auch die neuen Schulhefter (Sammlungen von Arbeitsblättern) sind eine Schande für die deutsche Kultur. Seitenumfang sowie Stoff- und Informationsmenge sind äußerst gering. Während zum Beispiel Kenias Schüler in der siebenten oder achten Klasse der Einheitsschule über 1.000 oder gar 2.000 Seiten pro Fach und Schuljahr schreiben, schaffen selbst Gymnasiasten vielfach nur einen Bruchteil dieses umfangreichen Lern- und Schreibpensums. In Kenia muss alles mit der Hand geschrieben und selbst gezeichnet werden. Dort gibt es keine Arbeitsblätter, keine Fotokopien und keine Klebedidaktik. In Deutschland dürfen die Schüler nur noch ganz wenig schreiben und auch lesen. Meist müssen sie Lücken in Arbeitsblättern ausfüllen. Während die Informationsdichte (Text pro Seite) in Kenia hundert Prozent beträgt, liegt sie in Deutschland vielfach bei weniger als zehn Prozent (pro Seite oder Heft(er)). In deutschen Hefte(r)n gibt es viele Bild-, Leer- und Klebeteile, in Kenia überhaupt nicht. Kenias Hefte sind grundsätzlich fachsystematisch aufgebaut, deutsche Hefter folgen in der Regel einem chaotischen Themen-Hopping. Während deutsche Hauptschüler zum Beispiel rund 40 Arbeitsblätter oder Seiten im Jahr bearbeiten, schreiben dort schon Vierjährige ca. 200 bis 400 Seiten im Kindergarten. Während in Kenia täglich in jedem Fach jede Seite, jede Zeile, jede Aufgabe vom Lehrer kontrolliert und korrigiert wird (und das bei Klassengrößen von 50, 70 oder gar mehr Schülern), werden deutsche Hefte(r) nur noch selten kontrolliert und korrigiert.

d) Die neuen Unterrichtskonzepte, die seit vielen Jahren in der Lehrerausbildung (Universität, Studienseminare) vermittelt werden, haben die Unterrichtsqualität drastisch abgesenkt. Nach der neuen Unterrichtsphilosophie ist

• selbstständiges Lernen besser als professionelles Lernen,
• die selbstständige Wissensaneignung durch Schüler besser als die professionelle Wissensvermittlung durch qualifizierte Lehrer,
• Methodenwissen besser als Fachwissen,
• willkürliches Themen-Hopping besser als fachsystematisch orientierter Unterricht,
• Methodenvielfalt besser als „Methodeneinfalt“,
• Schülerunterricht besser als Lehrerunterricht,
• spielerisches und bewegungsintensives Lernen besser als diszipliniertes Lernen.

Das ist nicht wirklich haltbar, wie mehr als einhundert Unterrichtsvideos aus Kenia belegen (youtube.com/user/reifranzke.de). Diese „Glaubenssätze“ gelten nur für deutsche Kinder und für die deutsche Pädagogik. Hier nur ein Beispiel von vielen über die angeblich so destruktiven Wirkungen des Frontalunterrichts: Kommt der Lehrer nicht, steht ein Schüler ganz spontan auf und übernimmt den Unterricht, ohne jede Vorbereitung. Die gesamte Klasse akzeptiert ihn und nennt ihn „teacher“, so z. B. in der vierten Klasse. Verlässt der Lehre den Unterricht, setzen die Schüler den Unterricht ganz selbstverständlich fort, ohne Aufforderung durch den Direktor oder Kollegen, unter der Leitung eines Mitschülers, ohne Murren und ohne Disziplinprobleme. Diese „Erziehung zur Selbstständigkeit“ beginnt mit der ersten Woche im Kindergarten in der „Baby-Class“. Ständig übernehmen Dreijährige (!) die Leitung der Lernprozesse und fungieren als Lehrer, und das im Rahmen des angeblich so lernfeindlichen Frontalunterrichts!

 

Der Unfug der „neuen Lernkultur“!

Eine lautlose Revolution gibt es auch auf der Ebene der Unterrichtsmethoden. Gab es früher lediglich eine oder zwei Unterrichtsmethoden, so enthalten neue Methodenlehrbücher und Methodenpools viele Hundert Unterrichtsmethoden, die die Lehrer völlig überfordern und verwirren. Diese neuen Unterrichtsmethoden sollen die professionelle Wissensvermittlung durch die unprofessionelle („selbstständige“) Wissensaneignung, professionelle Lehrervorträge durch äußerst schlichte Schülerreferate und ineffektive Gruppenarbeit ersetzen. Mit anderen Worten: Auch die neuen Unterrichtsmethoden halten die Schüler vom professionellen, effektiven und (fach-)systematischen Lernen ab und animieren die Schüler zunehmend zum Spielen, Malen, Basteln, Umherlaufen, Diskutieren und Präsentieren, vor allem in der Grundschule. Soweit es um „Wissen“ geht, sind die meisten Unterrichtsmethoden Abfrage- und Erkundungsmethoden. Immer seltener wird den Schülern im Unterricht neues Wissen vermittelt, meist werden sie nach Wissen gefragt, das sie von zu Hause mitbringen und/oder sich gegebenenfalls „selbstständig“ und recht (zeit-)aufwendig aneignen und nur selten speichern oder gar auswendig lernen müssen. Auch hier nur ein ausführliches Beispiel der „neuen Unterrichtsmethoden“, mit denen deutsche Politiker und Pädagogen die Schüler „für die Zukunft fit machen“ (Grüne) wollen:

Die Klasse bildet Teams mit Hilfe von Filmdosen, die beim Schütteln unterschiedliche Geräusche erzeugen („Horch mal“, vgl. S. 61). Die Klasse bildet Teams durch das Zuwerfen farbiger Bälle (vgl. S. 62). Die Schüler wandern durch das Klassenzimmer mit Bindfäden unterschiedlicher Farbe und Länge. Sie suchen den passende Faden (vgl. S. 65). Die Klasse wird in Gruppen zerlegt. Jede Gruppe bearbeitet einen Text, den sie durch ein Standbild darstellen („Texthandeln“, vgl. S. 83). Die Schüler sollen einen „Brief an sich selbst schreiben“ (vgl. S. 106). Die Schüler sollen mit Hilfe von Wettersymbolen ihre Gefühlslage darstellen (vgl. S. 108). Die Schüler sollen sich alle auf einen einzigen Schoß setzen (vgl. S. 116). Die Schüler sollen sich Bälle zuwerfen und keinen Zuwurf wiederholen (vgl. S. 117). Die Schüler sollen sich beim Sitzen auf dem Stuhl „bewegen“ (vgl. S. 119). (nach Thal/Ebert, Methodenvielfalt im Unterricht; Auszug aus Franzke, MethodenWahn).

 

Was bereitet hier Stress? Was lernen die Schüler für die Zukunft?

Darüber hinaus wurden in den letzten Jahrzehnten die Lern- und Leistungsanforderungen in allen Bereichen des Bildungssystems ständig reduziert: Die Zahl der Klassenarbeiten und Tests, Anzahl und Niveau der Prüfungsaufgaben, die Bewertungsmaßstäbe u. v. m.. In Kenia schreiben die Schüler der ersten und zweiten Klasse pro Schuljahr ca. 50 Tests mit jeweils 30 oder gar 50 Aufgaben! In Deutschland (Niedersachsen) werden in der ersten keine, in der zweiten drei und in der dritten und vierten Klasse maximal vier Klassenarbeiten geschrieben. In der achten Klasse der kenianischen Einheitsschule werden jede Woche in jedem Fach Klausuren und Tests mit jeweils 60 oder gar 90 Aufgaben geschrieben (youtube: Schultests Kenia). In Deutschland (Nds) sind maximal zwanzig Lernerfolgskontrollen zugelassen. Ein Testheft der achten Klasse aus Kenia umfasst ca. 900 Testaufgaben (pro Jahr, für ein Fach)!

 

In Kenias Slumschulen lernen die Schüler deutlich mehr!

In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass die Bundeskanzlerin noch vor wenigen Jahren die „Bildungsrepublik Deutschland“ versprochen hatte. Davon ist keine Rede mehr. Schlimmer noch: Hinter den Kulissen verwandeln wir die ehemalige Bildungsrepublik Deutschland in eine Bildungswüste. Inzwischen ist die Bildung deutlich schlechter als ihr Ruf. Im Vergleich zu früher und zu vielen anderen Ländern lernen deutsche Schüler immer weniger und immer unprofessioneller. Aufgrund der oben dargelegten Einflussfaktoren ist der Unterricht meist grottenschlecht, was den fundierten Wissens- und Kompetenzzuwachs pro Zeiteinheit betrifft.

Ohne jede öffentliche Diskussion haben Politik und Pädagogik die Qualität der Bildung und des Unterrichts drastisch abgesenkt, den professionellen Unterricht abgeschafft und durch die absurde Idee des „selbstständigen Lernens“ ersetzt, und zwar mit Hilfe einer „neuen deutschen Lernkultur“, neuer Lehrpläne, neuer Schulbücher und Schulhefter, neuer Schulprogramme und Psychotechniken sowie mit Hilfe neuer Unterrichtskonzepte und Unterrichtsmethoden. Immer häufiger müssen sich die Schüler (oder deren Mütter) das minimale Wissen selbst besorgen und selbst beibringen. Und die Lehrer werden zunehmend zu bloßen Zettelverteilern und Aufpassern (höflich „Lernbegleiter“) degradiert.

Gleichwohl versprechen die Parteien nach wie vor eine „gute und bessere Bildung“, die FDP sogar die „weltbeste Bildung“. Das ist der Gipfel der Weltfremdheit. Denn zunächst einmal müsste Deutschland mit den SLUMSCHULEN und Kitas in Kenia gleichziehen. Aufgrund der Bildungspolitik und Pädagogik der letzten Jahrzehnte liegt das Bildungsniveau der ersten Grundschulklassen schon jetzt unter dem Niveau der SLUMSCHULEN und der Kindergartenerziehung (der Drei- und Vierjährigen) in Kenia. In der Regel lernen die Grundschüler in Kenia deutlich mehr und besser als die Kinder deutscher Grundschulen, die meisten Gymnasien eingeschlossen. In kenianischen Slumschulen habe ich vorbildlichen Unterricht in Klassen mit 120 Schülern gesehen (vgl. https://www.youtube.com/watch?v=N4v-1oo1I2E). Diese Lücke wird mit der allseits erwünschten „Digitalisierung des Lernens“ (mit oder ohne Cloud) und der Idee der Integration kulturfremder Zuwanderer mit Sicherheit noch sehr viel größer.

Die aktuellen Bildungsprogramme der Parteien dokumentieren nur allzu deutlich: In Wahrheit will niemand die „Bildungsrepublik Deutschland“. Bildungspolitik, Didaktik und Unterrichtsmethodik haben eher kontraproduktiven Charakter. In Wahrheit verweigern wir unseren Kindern die bestmögliche und international konkurrenzfähige Bildung. Schlimmer noch: In Wahrheit haben wir die Auslese nach sozialer Herkunft drastisch verschärft, statt sie zu mildern – nicht durch das gegliederte Schulsystem, sondern durch die Abschaffung des professionellen Unterrichts, was die bildungsfernen Schichten und die alleinerziehenden und arbeitenden Mütter krass benachteiligt und die Mittelschichten auf teure Nachhilfedienste verweist, wollen sie ihren Kindern eine gute Zukunft bieten. Statt „mehr Chancengerechtigkeit“ gibt es immer weniger, ganz im Gegensatz zu den Wahlversprechen.

Wirklich „gute Bildung“ gibt es bald nur noch in teuren Eliteschulen. Die Mehrheit wird in den Schulen mit den „erfolgreichen Lern- und Unterrichtskonzepten“ (SPD) und mit den neuen „Unterrichtsmethoden“ (siehe oben) für „die Zukunft fit gemacht“ (Grüne). Diese Entwicklung widerspricht ganz offensichtlich dem Wohle Deutschlands und dem Wohl unserer Kinder. Ohne Not zerstört die Kulturnation Deutschland die ehemalige Bildungsrepublik und verweigert den Kindern das proklamierte „Recht auf Bildung“, wie es noch einmal auf dem UN-Nachhaltigkeitsgipfel beschlossen wurde. In Deutschland interessiert sich offensichtlich niemand ernsthaft für die Bildung und schon gar nicht für deren zentrale Mängel. Hat Deutschland wirklich noch ein „Herz für Kinder“? Nein, das ist kein Land, in dem Eltern und schulpflichtige Kinder besonders „gut und gerne leben“ (Merkel). In Kenia müssen sich die Mütter (und Eltern) nicht um die Schule und um den Lernerfolg der Kinder kümmern, sie können sich voll und ganz auf Handel und Gewerbe konzentrieren. Sie können sich auf die Lehrer verlassen, die sich als Wissensvermittler verstehen, und nicht als Zettelverteiler.

Deutschland schafft die traditionelle Bildung und den klassischen Unterricht ab, und fast alle sind begeistert von der neuen „Lernkultur“: Lehrer, Studierende, Professoren, Politiker, Minister, Schulbehörden, Bildungsexperten, Erziehungswissenschaftler, Journalisten, Lehrerverbände, Wirtschaft, Handwerk und Gewerkschaften und natürlich auch die deutschen Eltern, jedenfalls gibt es keine vergleichbare Kritik an der Schule. Nur die kenianischen Schüler, die ich zu diesen neuen „Methoden“ befragt hatte, würden diesen Unterricht strikt verweigern; und die Mütter würden Sturm laufen gegen diesen unprofessionellen Unterricht.

Vor diesem Hintergrund sind die Reformvorhaben der Parteien sowie der selbsternannten Bildungspropheten (Precht, Dräger, Hüther, Lesch u. a.) völlig verfehlt oder gar kontraproduktiv; sie alle führen nur noch tiefer in die Krise. Ohne gründliche Analysen der deutschen Bildungsmisere haben sich die Parteien auf einige wenige Forderungen zur Bildungspolitik geeinigt: Sie wollen angeblich „mehr Geld in die Bildung investieren“, mehr Lehrer einstellen und vermeintlich marode Gebäude sanieren. Doch zur „Verbesserung der Bildung“ brauchen wir nicht mehr Kitas, Ganztagsschulen, Gemeinschaftsschulen, sanierte Gebäude, digitalisierten Unterricht und gebührenfreie Bildungseinrichtungen. Der bloße (gebührenfreie) Zugang zu einer Bildungseinrichtung garantiert noch lange keine „gute Bildung“, solange im Unterricht aus obengenannten Gründen immer weniger und immer unprofessioneller gelernt wird. Insofern gehen alle Bildungsprogramme am Kernproblem vorbei. In Wahrheit liegen die zentralen Probleme ganz woanders: In Kenia lernen die Schüler selbst unter Bäumen, in maroden Gebäuden, bei größter Hitze, eng zusammengepfercht, mit bis zu 120 Schülern, ohne Kopierer, ohne Computer, ohne Cloud, ohne E-Learning und interaktive Tafeln deutlich mehr und besser als unsere Schüler in relativ gut ausgestatteten Gebäuden hierzulande, von einigen wenigen Eliteschulen oder -klassen abgesehen.

 

Rückkehr zum professionellen Unterricht!

Dreh- und Angelpunkt „guter Bildung“ ist die sofortige Rückkehr zu den klassischen Formen des Unterrichts (verächtlich „Frontalunterricht“), zu den professionellen und effektiven Unterrichtsmethoden der Vergangenheit, die die Politik und Pädagogik in den letzten Jahrzehnten schrittweise abgeschafft und durch unprofessionelle und ineffektive Unterrichtskonzepte und -methoden ersetzt haben (vgl. Franzke, MethodenWahn). Das zeigt, dass die vorliegenden Bildungsstudien so gut wie nichts zum wirklichen Ausmaß, zum wahren Charakter und zu den tatsächlichen Ursachen der deutschen Bildungsmisere aussagen und somit wenig hilfreich sind zur Begründung problemadäquater Bildungsreformen. Gleichwohl werden die alten Ziele und Programme fortgeschrieben und die neue „Lernkultur“ von Frau Merkel und von den Medien uneingeschränkt gepriesen (Verleihung des Deutschen Schulpreises 2015). Mit anderen Worten: Im Interesse einer „guten Bildung für alle“ und größerer „Chancengerechtigkeit“ brauchen wir keinen milliardenschweren „Bildungspakt“, keine Digitalisierung, keine intakten Gebäude und Toiletten, obwohl diese in einer Kulturnation selbstverständlich sein sollten. „Mehr Geld“ bedeutet nicht automatisch „mehr Bildung“, solange in den Schulen und Kitas nicht professionell und effektiv gelernt wird – und das steht auf keiner Agenda.

Zur „Verbesserung der Bildung“ brauchen wir in erster Linie eine ideologische Kurskorrektur im Sinne einer anderen, lern- und leistungsorientierten Pädagogik, Didaktik und Unterrichtsmethodik und vor allem eine sofortige Rückkehr zum professionellen Unterricht, in Deutschland als „Frontalunterricht“ diffamiert – für deutsche Pädagogen ein Horror, in Wahrheit der beste, effektivste und egalitärste Unterricht der Welt. Finanzielle Investitionen, Strukturreformen und die Aufhebung des Kooperationsverbots sind zweitrangig und meist sogar kontraproduktiv. Sehr viel wichtiger sind bessere (fachorientierte) Lehrpläne, Schulbücher und Schulhefte(r) sowie eine Rückkehr zu den bewährten Unterrichtsmethoden der Vergangenheit. Das kostet die Steuerzahler keinen Cent, lediglich ein Umdenken in den Köpfen der Bildungsmacher. Und es bräuchte die hoch qualifizierten Lehrer und „Early Childhood Teacher“ aus Kenia in unseren Kindergärten und Schulen (vgl. youtube: Kita in Kenia). Doch diese qualifizierten Kräfte werden nicht ins Land geholt. In der Tat ist es höchste Zeit für eine radikale Wende in der Bildungspolitik und Pädagogik. Die aktuellen Bildungsprogramme der Parteien sind jedenfalls nicht geeignet, die Schüler für „die Zukunft fit zu machen“. Der erste Schritt eines Neuanfangs wäre eine totale Verbannung der „Neuen Lernkultur“ und der modernen Unterrichtsmethoden aus der Schule und die Rückkehr zum klassischen Unterricht, wie man ihn zum Beispiel in Kenias Schulen bislang noch bewundern kann, bis die deutschen Besserwisser kommen. Vielleicht können wir dann in dreißig Jahren wieder Flugplätze bauen, wie andere Länder auch. Retten wir die Bildungsrepublik, bevor es zu spät ist!

Nachwort: Die allseits gewünschte „Digitalisierung“, Integration und Inklusion, die hier nicht behandelt werden, wird den Verfall der Bildung dramatisch beschleunigen. „Digitalisierung“ ist ein Konjunkturprogramm und kein Bildungsprogramm. Leider sind entsprechende Studien, die das belegen, unerwünscht.


Der Autor Prof. Dr. Reinhard Franzke ist Bildungsforscher und Erziehungswissenschaftler.

Zur Vertiefung: „Bildungswüste Deutschland. Das Märchen von der Bildungsrepublik.“ Hannover 2017, 3. Aufl., bei www.alpha-press.de unter info@alpha-press.de (19,80 €)



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