Am 18. März wäre die Grande Dame der DDR-Schriftsteller Christa Wolf 90 Jahre alt geworden. Anlässlich dieses Jubiläums brachte der Suhrkamp-Verlag den Text „Was bleibt“ neu heraus, den Wolf schon 1976 geschrieben, aber erst nach dem Ende der DDR veröffentlicht hatte. Er war Anlass einer großen, kontroversen Debatte, weil er die Überwachung der Schriftstellerin durch die Staatssicherheit, der sie nach ihrem Protest gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann ausgesetzt war, thematisiert. Kurz darauf wurde bekannt, dass Wolf selbst in jüngeren Jahren Inoffizielle Mitarbeiterin der Staatssicherheit war. Diskutanten aus dem Westen warfen Wolf vor, sich einem diktatorischen Regime angedient zu haben. Aus dem Osten wurde ihr übel genommen, nicht von selbst mit ihrer Stasimitarbeit an die Öffentlichkeit gegangen zu sein. Wolf schien die Sache vergessen zu haben, bis sie schmerzhaft daran erinnert wurde.
Ich war damals erschrocken über die Häme und die Unerbittlichkeit, mit der die Debatte geführt wurde, besonders von Menschen, die den SED-Staat nicht selbst erdulden mussten. Bei manchen Beiträgen schien die Lust eine große Rolle zu spielen, eine Ikone der DDR-Literatur vom Sockel zu stoßen.
Christa Wolf war eine der ganz wenigen in Westdeutschland bekannten und viel gelesenen Schriftsteller der DDR, obwohl sie nicht zu den Dissidenten gehörte, die wegen ihrer oppositionellen Haltung eine gewisse Aufmerksamkeit erlangten. Bei Wolf war es ihr Können, mit dem sie überzeugte. Für meine Generation waren die „Kindheitsmuster“, in denen sie über ihre schlesische Kindheit berichtete, ein Augenöffner. Über die Vertriebenen wurde in der DDR nicht geredet. Für meine westdeutsche Freundin war Wolfs Griechenland-Roman dabei, als sie das Land bereiste.
Ich kannte Christa Wolf persönlich. Als ich 1983 wegen meiner Aktivitäten in der kirchlichen Friedensbewegung als Lektorin Berufsverbot bekam, hörte Wolf davon. Sie rief mich an und lud mich zu sich ein. Nach unserem Gespräch schrieb sie an mehrere Politbüromitglieder, wohl auch an Parteichef Erich Honecker und bat, mein Berufsverbot rückgängig zu machen. Sie hatte keinen Erfolg, aber als ich dann als Imkerin meinen Lebensunterhalt verdiente, kam sie regelmäßig, um ihren Bedarf an Honig bei mir zu kaufen. Für diese Unterstützung einer ganz Unbekannten bin ich noch heute dankbar.
Eines Tages stand sie auf dem Balkon meiner Wohnung, schaute auf den Amalienpark und sagte: „Hier möchte ich wohnen.“ Es dauerte kein halbes Jahr und ich konnte die Bücherregale hinter ihren erleuchteten Fenstern sehen. Seitdem standen häufig zwei Stasiautos auf dem Platz; vor ihrer und vor meiner Tür. Diese Erinnerung bleibt.
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