von Josef Hueber
Der Kampf gegen Antisemitismus läuft auf Hochtouren. Die Betroffenen zeigen jedoch wenig Hoffnung auf Erfolg. Gibt es ein geschichtliches Modell der friedlichen Koexistenz von Juden und Muslimen, das zukunftsweisend sein kann? An der Antwort auf diese Frage scheiden sich die Geister.
(Die Übersetzungen aus dem Englischen stammen vom Autor)
DER AUSSICHTSLOSE KAMPF GEGEN DIE WINDMÜHLE ANTISEMITISMUS
Dem Einfallsreichtum bei der Suche nach Möglichkeiten, den wachsenden Antisemitismus des beginnenden 21. Jahrhunderts in Europa in den Griff zu bekommen, sind kaum Grenzen gesetzt. Verbale Bekenntnisse zum entschlossenen, unbeirrbaren Kampf dagegen, die Installation von Antisemitismusbeauftragten, Nie-wieder- Veranstaltungen zur Erinnerung an die Verbrechen an Juden, bis hin zum Dauereinsatz der Rassismuskeule gegen Andersdenkende – sogenannte „Neonazis“ – das alles scheint ein Kampf gegen Windmühlen zu sein, die, von Judenhass angetrieben, nicht zum Stillstand gebracht werden können.
Es wirkt dabei nicht beschwichtigend, wenn eine Allensbach-Umfrage für die FAZ feststellt, dass Antisemitismus in Deutschland statistisch nachweisbar abnimmt. Man kommt nicht umhin, Orwells Wahrheitsministerium zu assoziieren, geschaffen zur Ausradierung der Realität, mit dem Ziel, eine neue Wirklichkeit zu zeichnen.
CHOREOGRAPHIE DER BETROFFENHEIT – OHNE WIRKUNG
In den Medien als besonders wirksam, in der Wirklichkeit jenseits inszenierter Bilder jedoch wirkungslos, erweisen sich staatstragende, mit Regierungsvertretern und ernsten Gesichtern und dunkler Trauerkleidung beeindruckend choreographierte Veranstaltungen gegen Antisemitismus. Daran mangelt es europaweit nicht. Sie häufen sich nicht zufällig in einer Zeit, in der antisemitische „Vorfälle“ zunehmen. Zuletzt von Staatspräsident Macron nach Schändung eines jüdischen Friedhofs vorgeführt.
DER FEUERBALL STEIGT AUF
Es hilft alles nichts: Nur wer blind ist, weigert sich, den Feuerball des Antisemitismus am Horizont Europas aufsteigen zu sehen. Wenn selbst ein israelischer Minister Juden auffordert, Frankreich den Rücken zu kehren und auszuwandern, offenbart dies, was jetzt ist und bald sein wird, und nicht, was man versucht, wegzubeschwören und klein zu halten: nackter, brutaler Judenhass. Die Alarmglocken läuten, die Bewohner der brennenden Häuser können und wollen nicht mehr mit Beschwichtigungsritualen narkotisiert werden.
GESCHICHTE WIRD WEICHGEZEICHNET
Ein Versuch, die unheilvolle Pest, der Juden in der Gegenwart weltweit ausgesetzt sind, durch historischen Verweis zu relativieren, war vor kurzem in der US-amerikanischen Presse zu lesen.
Fareed Zakaria, Journalist muslimischen Glaubens, veröffentlichte am 14.2.2019 in der Washington Post einen Artikel mit dem Titel „Antisemitismus hat sich in der islamischen Welt wie ein Krebsgeschwür verbreitet“ (“Anti-Semitism has spread through the Islamic world like a cancer“). Er gesteht zwar, dass es, laut einer Untersuchung der Anti-Defamation-League in 100 Ländern, eine erschreckende Zunahme besonders an muslimischem Antisemitismus weltweit gibt, folgt aber einer Argumentation, die zunächst verblüffend beruhigend wirkt. Er beruft sich in diesem Zusammenhang auf den vor noch nicht langer Zeit verstorbenen Bernard Lewis, einen bekannten britisch-amerikanischen Publizisten, dessen Fokus auf Orientalistik und Islamgeschichte lag.
F. Zakarias’ Thesen-Kette, Lewis’ Buch The Jews of Islam folgend, lässt sich so darstellen:
Im Mittelalter lebten Juden und Muslime in einer Art sozialer und intellektueller Symbiose friedlich zusammen, was sogar freundschaftliche Beziehungen ermöglichte. Es war ein Verhältnis, das in der westlichen Welt vergebens seinesgleichen sucht. („no parallel in the Western world“). Juden waren zwar nur Bürger „zweiter Klasse“, aber sie wurden in größerem Ausmaß toleriert und gefördert als in christlichen Gesellschaften. („tolerated and encouraged to a far greater degree in Muslim societies than in Christian ones“).
ISARAEL TRÄGT MITSCHULD DURCH STAATSGRÜNDUNG 1948 ?
Zakaria nennt zwei Ursachen für den modernen Antisemitismus unter Muslimen. Zum einen wurde er, B. Lewis folgend, gegen Ende des 19. Jahrhunderts durch europäischen Einfluss im Nahen Osten grundgelegt. Es kam dadurch zu muslimischen Bewegungen, aufgrund derer der Begriff Antisemitismus zum ersten Mal zu Recht angewandt werden kann. In der arabischen Welt, so B. Lewis, wurde die britische Herrschaft in großen Teilen des Mittleren Ostens als diskriminierend empfunden, weil man das Gefühl hatte, dass die Juden als Minderheit bevorzugt und sie, die Muslime, benachteiligt wurden. Muslime begannen daraufhin, antisemitische Klischees, wie z. B. die Praxis der sog. jüdischen Ritualmorde, aus Europa zu importieren. Antisemitische Schriften wurden jetzt ins Arabische übersetzt, darunter das bekannteste Werk Die Protokolle der Weisen von Zion, eine antisemitische Schmähschrift, die den Juden eine beabsichtigte Weltherrschaft unterstellt.
Ein zweiter Grund für muslimischen Antisemitismus war die Staatsgründung bzw. Unabhängigkeitserklärung Israels im Jahr 1948. Sie bewirkte eine Intensivierung der antisemitischen Haltung unter Muslimen. Arabische Führer, wie Abdel Nasser, mit [nicht genannten] Ausnahmen, ließen den bereits vorhandenen Antisemitismus gedeihen oder förderten ihn sogar.
Die gesamte Argumentation F. Zakarias ist der sich auf B. Lewis stützende, verdeckte Versuch, das Verhältnis zwischen Muslimen und Juden historisch weichzuzeichen und glauben zu machen, dass es im Gegensatz zu dem gegenwärtig anwachsenden Judenhass Phasen gab, in denen die Dinge zwischen beiden Kulturen und ihren Repräsentanten recht gut liefen, wenn da nicht zuerst die Europäer, dann die als Unrecht empfundene Staatsgründung Israels gewesen wären. Die implizite, unterstellte Schlussfolgerung ist offensichtlich: Man müsse sich Orientierung aus der Geschichte holen, dann wäre Frieden zwischen Juden und Muslimen in der Gegenwart machbar. Was damals möglich war, warum sollte das heute nicht möglich sein?
Wenn allerdings das Historische, wie F. Zakaria das zumindest zwischen den Zeilen nahelegt, als Modell des Machbaren in der Gegenwart angedacht werden kann, dann ist es geboten, die Darstellung des Historischen auf seinen Wahrheitsgehalt hin zu hinterfragen.
„DIE BOTSCHAFT HÖR’ ICH WOHL, ALLEIN MIR FEHLT DER GLAUBE“
Bat Ye’or, eine renommierte Islamforscherin, zeichnet ein anderes Bild. Es basiert auf jahrzehntelangen historischen Studien, die in der Fachwelt größte Beachtung finden.
In ihrem Buch Understanding Dhimmitude untersucht sie die Stellung von Nicht-Muslimen, sog. Dhimmis, in muslimischen Gesellschaften. Sie zeigt eine Vergangenheit auf, die nicht von Symbiose und gelegentlich sogar freundschaftlichen Beziehungen zwischen Muslimen und Dhimmis gezeichnet ist, wie B. Lewis dies nahelegt.
Wissenschaftlicher Sorgfalt verpflichtet, erwähnt sie zunächst die Schwierigkeiten der Quellenforschung: „Jüdische und christliche Dhimmi-Gemeinschaften, die unter islamischer Herrschaft lebten, waren kaum in der Lage, ihre dunklen Perioden offen zu beschreiben und zu analysieren, da dies die Muslime beleidigt hätte, indem sie behauptet hätten, dass das muslimische Gesetz oder die muslimische Herrschaft ungerecht oder fehlerhaft sei. Eine solche Kritik war nach islamischem Recht strengstens verboten. “
Was sie in ihrem Buch schildert, ist eine Geschichte der praktizierten Unterdrückung der Juden und Christen in muslimischen Gesellschaften. Beide Gruppen hatten demnach als Dhimmis keine rechtliche Gleichstellung, sondern standen unter ständiger Lebensbedrohung, wenn sie sich den von ihren Unterdrückern gesetzten Regeln nicht unterordneten – was folglich so gut wie nicht möglich war.
Wie sah dieser Dhimmi-Status konkret aus? Bat Ye’or schreibt:
„Ein Dhimmi-Volk ist ein Volk, dessen Land durch den Dschihad islamisiert wurde. Die Existenz dieses Volkes oder dieser Gemeinschaft wird unter muslimischer Herrschaft unter zwei wesentlichen Bedingungen toleriert: Sie muss ihr Recht, auf ihrem eigenen Land zu leben, durch eine Huldigung an die muslimische Gemeinschaft zurückkaufen, und sie muss akzeptieren, gedemütigt zu werden und sich der muslimischen Dominanzgruppe unterordnen zu lassen. Dieser Vertrag impliziert, dass nicht-muslimische Völker kein uneingeschränktes Recht auf Leben haben. Sie haben nur eingeräumte und bedingte Rechte, die eine Hierarchie schaffen zwischen einer übergeordneten Gruppe, die das Recht auf Leben gewährt und auch zurückziehen kann, und einer untergeordneten Gruppe, die für die eingeräumten Rechte dankbar ist und für immer in eine Situation der Verpflichtung gerät.“ ( Hier eine englischsprachige Rezension des Buches Dhimmi in The Jewish Magazine )
NUR DIE WAHRHEIT HAT ZUKUNFT
Es besteht offensichtlich die Gefahr, der Versuchung zu erliegen, eine gemeinsame, friedfertige Zukunft zweier Kulturen herbeizuträumen und dafür aus dem Nährboden der Geschichte Argumentationshilfe zu beziehen.
Die Wahrheit darf dabei nicht auf der Strecke bleiben.